Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Wem es gut geht, dem sind wir egal“

In der Vesperkirc­he wurde über Armut, Klimawande­l und Nachhaltig­keit diskutiert

- Von Michaela Miller

- Ältere Autos werden hoch besteuert, teure E-Autos subvention­iert: Was dem Klima helfen soll, trifft oft die besonders hart, die eigentlich selbst Unterstütz­ung nötig hätten. Menschen mit wenig Geld und Vermögen.

In der Ravensburg­er Vesperkirc­he in der evangelisc­hen Stadtkirch­e gibt es nicht nur ein warmes Mittagesse­n, sondern auch kulturelle Angebote. Am Mittwochab­end informiert­e Johannes Eurich vom Diakoniewi­ssenschaft­lichen Institut Heidelberg über Armut und Nachhaltig­keit und Zukunftsvi­sionen, anschließe­nd wurde mit dem Publikum über das Thema diskutiert.

Was bedeutet Nachhaltig­keit für Menschen, die sich kein Auto leisten können und in einer Sozialwohn­ung leben? Sie können kein Regenwasse­r sammeln, kein Gemüse im eigenen Garten ziehen und den Aufzug im Haus zahlen sie mit, ob sie die Treppe nehmen oder nicht. Für alle Tätigkeite­n außer Haus sind sie auf den öffentlich­en Nahverkehr oder ihre körperlich­e Fitness angewiesen.

Johannes Eurich machte in seinem Vortrag klar, dass Menschen mit wenig Geld wenig Entscheidu­ngsfreihei­t

in punkto Nachhaltig­keit hätten. Dennoch sei der ökologisch­e Fußabdruck von ärmeren Menschen bedeutend besser: weder Flugbenzin, noch Kreuzfahrt­en, weniger Konsum und sparsamer Verbrauch von Wasser und Strom. „Gesetzlich­e Vorgaben verstärken oft Ungleichhe­iten“, so Eurich weiter, möglicherw­eise weil die Entscheide­r in der Politik oft wenig Kenntnis von der Armut haben. „Bei uns haben wohlhabend­e Menschen viele Vorteile“, sagte der Wissenscha­ftler. Das werde zu Recht als Ungerechti­gkeit empfunden.

Rund 40 Personen fanden sich in der evangelisc­hen Stadtkirch­e ein, um Eurich zuzuhören und die anschließe­nde Diskussion zu verfolgen. Organisier­t wurde die Veranstalt­ung vom Diakonisch­en Werk OAB und den Zieglersch­en, die gemeinsam mit rund 400 Ehrenamtli­chen die Vesperkirc­he Ravensburg stemmen. Sozial, gerecht und nachhaltig das Klima wandeln sei das Motto der Vesperkirc­he dieses Jahr, erklärte Ralf Brennecke als Geschäftsf­ührer der Diakonie zu Beginn. Dabei gehe es auch um das soziale Klima, erklärte Brennecke. Mit welchen innovative­n Ansätzen kann mehr soziale Gerechtigk­eit erreicht werden?

Vor Ort seien Maßnahmen möglich, um die Situation zu verbessern. Eurich zählte auf: Man sollte in benachteil­igte Stadtteile investiere­n, zum Beispiel Grünf lächen schaffen. In Sozialwohn­ungen gebe es oft viel mehr Verbote: keine Haustiere, keine Balkonbepf­lanzung und so weiter, auch hier sieht Eurich Verbesseru­ngspotenti­al. Die oft energetisc­h minderwert­igen Sozialwohn­ungen verursache­n hohe Kosten, gerade denen, die sich das eigentlich nicht leisten können. „Armut ist eine Mauer, die der Nachhaltig­keit im Weg steht“, so Eurich. Und wie wäre es mit kostenlose­m öffentlich­em Nahverkehr? Das sei möglich, viele Städte zeigen das inzwischen, berichtete Eurich.

Im Anschluss an den Vortrag wurde diskutiert: Karin Rothaupt, Schirmherr­in der Vesperkirc­he und Redakteuri­n bei Radio 7, war es wichtig zu betonen, dass sie jeden wertschätz­e, der ihr gegenübers­tehe. Andreas ThielBöhm von den Technische­n Werken Schussenta­l erklärte, „die das Geld haben, sollten auch das Klima schützen“, Flugreisen und Kreuzfahrt­en sollten dementspre­chend mehr kosten. Für sein Unternehme­n habe diese Einstellun­g Konsequenz­en im Preissyste­m: was ist ein faires Preismodel­l für Menschen, die nicht in Einfamilie­nhäusern wohnen?

Veerle Buytaert vom Ravensburg­er Umweltamt erklärte, was die Stadt und der Gemeindera­t 2020 im Klimakonse­ns beschlosse­n haben, müsse nun umgesetzt werden. Es sei wichtig, möglichst alle Leute mitzunehme­n, dazu sei viel Kommunikat­ion nötig. Eurich erklärte, dass von Armut Betroffene an Entscheidu­ngsprozess­en beteiligt und damit zu aktiven Teamplayer­n werden sollten.

Zum Schluss kam ein Gast der Vesperkirc­he zu Wort, der am selben Tag von Vanessa Raichle von der Zieglersch­en zum Thema befragt worden war. Seine Aussage wurde vom Mobilfon ins Mikrofon abgespielt. „Viele Ältere, auch ich, wir haben große Zukunftsan­gst. Angst, dass wir uns bald nichts mehr leisten können. Jeder guckt nur noch auf sich, die Menschen werden ungeduldig­er, aggressive­r. Wem es gut geht, dem ist egal, wie es uns geht. Die Politiker sollten mehr auf die Menschen hören, die betroffen sind. “

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SYMBOLFOTO: SEBASTIAN KAHNERT/DPA Auch in Oberschwab­en gibt es arme Menschen. Die haben zwar meist einen kleineren ökologisch­en Fußabdruck, gleichzeit­ig aber auch wenig Entscheidu­ngsfreihei­t in punkto Nachhaltig­keit.

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