Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Wem es gut geht, dem sind wir egal“
In der Vesperkirche wurde über Armut, Klimawandel und Nachhaltigkeit diskutiert
- Ältere Autos werden hoch besteuert, teure E-Autos subventioniert: Was dem Klima helfen soll, trifft oft die besonders hart, die eigentlich selbst Unterstützung nötig hätten. Menschen mit wenig Geld und Vermögen.
In der Ravensburger Vesperkirche in der evangelischen Stadtkirche gibt es nicht nur ein warmes Mittagessen, sondern auch kulturelle Angebote. Am Mittwochabend informierte Johannes Eurich vom Diakoniewissenschaftlichen Institut Heidelberg über Armut und Nachhaltigkeit und Zukunftsvisionen, anschließend wurde mit dem Publikum über das Thema diskutiert.
Was bedeutet Nachhaltigkeit für Menschen, die sich kein Auto leisten können und in einer Sozialwohnung leben? Sie können kein Regenwasser sammeln, kein Gemüse im eigenen Garten ziehen und den Aufzug im Haus zahlen sie mit, ob sie die Treppe nehmen oder nicht. Für alle Tätigkeiten außer Haus sind sie auf den öffentlichen Nahverkehr oder ihre körperliche Fitness angewiesen.
Johannes Eurich machte in seinem Vortrag klar, dass Menschen mit wenig Geld wenig Entscheidungsfreiheit
in punkto Nachhaltigkeit hätten. Dennoch sei der ökologische Fußabdruck von ärmeren Menschen bedeutend besser: weder Flugbenzin, noch Kreuzfahrten, weniger Konsum und sparsamer Verbrauch von Wasser und Strom. „Gesetzliche Vorgaben verstärken oft Ungleichheiten“, so Eurich weiter, möglicherweise weil die Entscheider in der Politik oft wenig Kenntnis von der Armut haben. „Bei uns haben wohlhabende Menschen viele Vorteile“, sagte der Wissenschaftler. Das werde zu Recht als Ungerechtigkeit empfunden.
Rund 40 Personen fanden sich in der evangelischen Stadtkirche ein, um Eurich zuzuhören und die anschließende Diskussion zu verfolgen. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Diakonischen Werk OAB und den Zieglerschen, die gemeinsam mit rund 400 Ehrenamtlichen die Vesperkirche Ravensburg stemmen. Sozial, gerecht und nachhaltig das Klima wandeln sei das Motto der Vesperkirche dieses Jahr, erklärte Ralf Brennecke als Geschäftsführer der Diakonie zu Beginn. Dabei gehe es auch um das soziale Klima, erklärte Brennecke. Mit welchen innovativen Ansätzen kann mehr soziale Gerechtigkeit erreicht werden?
Vor Ort seien Maßnahmen möglich, um die Situation zu verbessern. Eurich zählte auf: Man sollte in benachteiligte Stadtteile investieren, zum Beispiel Grünf lächen schaffen. In Sozialwohnungen gebe es oft viel mehr Verbote: keine Haustiere, keine Balkonbepflanzung und so weiter, auch hier sieht Eurich Verbesserungspotential. Die oft energetisch minderwertigen Sozialwohnungen verursachen hohe Kosten, gerade denen, die sich das eigentlich nicht leisten können. „Armut ist eine Mauer, die der Nachhaltigkeit im Weg steht“, so Eurich. Und wie wäre es mit kostenlosem öffentlichem Nahverkehr? Das sei möglich, viele Städte zeigen das inzwischen, berichtete Eurich.
Im Anschluss an den Vortrag wurde diskutiert: Karin Rothaupt, Schirmherrin der Vesperkirche und Redakteurin bei Radio 7, war es wichtig zu betonen, dass sie jeden wertschätze, der ihr gegenüberstehe. Andreas ThielBöhm von den Technischen Werken Schussental erklärte, „die das Geld haben, sollten auch das Klima schützen“, Flugreisen und Kreuzfahrten sollten dementsprechend mehr kosten. Für sein Unternehmen habe diese Einstellung Konsequenzen im Preissystem: was ist ein faires Preismodell für Menschen, die nicht in Einfamilienhäusern wohnen?
Veerle Buytaert vom Ravensburger Umweltamt erklärte, was die Stadt und der Gemeinderat 2020 im Klimakonsens beschlossen haben, müsse nun umgesetzt werden. Es sei wichtig, möglichst alle Leute mitzunehmen, dazu sei viel Kommunikation nötig. Eurich erklärte, dass von Armut Betroffene an Entscheidungsprozessen beteiligt und damit zu aktiven Teamplayern werden sollten.
Zum Schluss kam ein Gast der Vesperkirche zu Wort, der am selben Tag von Vanessa Raichle von der Zieglerschen zum Thema befragt worden war. Seine Aussage wurde vom Mobilfon ins Mikrofon abgespielt. „Viele Ältere, auch ich, wir haben große Zukunftsangst. Angst, dass wir uns bald nichts mehr leisten können. Jeder guckt nur noch auf sich, die Menschen werden ungeduldiger, aggressiver. Wem es gut geht, dem ist egal, wie es uns geht. Die Politiker sollten mehr auf die Menschen hören, die betroffen sind. “