Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Die Freiburger Wurzeln dürfen nie verloren gehen“
Verbindungstrainer Julian Schuster über die Veränderungen beim SC und seine Kindheit mit Jürgen Klinsmann
- Julian Schuster ist der Mann für die Übergänge beim SC Freiburg. Im Trainerteam der Breisgauer ist der 38-Jährige für die Verbindung zwischen Fußballschule und Profis zuständig, bildet die Schnittstelle beider Bereiche. Dass der 38-Jährige eine echte Vereinslegende ist, über 200-mal für die Badener auf dem Rasen stand, kommt ihm beim Umgang mit den jungen Fußballern zugute. Doch hat der Trainer noch höhere Ambitionen, wie er vor dem Landesderby gegen den VfB Stuttgart am Samstag (15.30/ Sky) im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“verrät.
Sie sind in Bietigheim-Bissingen, also etwa 20 km nördlich von Stuttgart geboren, in welcher Vereins-Bettwäsche haben Sie als Kind geschlafen?
Bei mir hat alles mit Jürgen Klinsmann angefangen. Zu der Zeit war er der Spieler, der von allen gefeiert wurde. Die ganzen Bäckereien waren voll mit Jürgen Klinsmann und wenn man zehnmal fünf Brezeln gekauft hat, hat man überspitzt gesagt eine Klinsmann-Tasse bekommen. So fing alles an und ich war absoluter Fan.Das war meine Kindheit und ich hatte wohl eher KlinsmannBettwäsche statt die eines Clubs.
Sie haben sich jetzt geschickt um eine Aussage zum VfB gedrückt. Waren Sie dort nicht Dauergast im Stadion, um ihren Klinsmann anzufeuern?
Natürlich. Wenn man im Stuttgarter Raum aufwächst, hat man selbstverständlich den Bezug zum VfB und das war absolut der Verein meiner Jugend.
Dass Sie am Samstag bei einem Tor der Stuttgarter die Faust ballen, wird wohl nicht vorkommen, doch ist noch eine gewisse Restsympathie für die Brustring-Elf geblieben?
Ich spüre vor allem eine große Dankbarkeit. Der VfB hat mich aus der Bezirksliga geholt und mir ermöglicht, in der damaligen dritten Liga, der Regionalliga Süd, zu spielen. Zudem durfte ich beim VfB in der Marketingabteilung arbeiten. Über all die Jahre hat sich bei mir natürlich etwas verändert, doch man sollte seine Wurzeln immer kennen und ich werde dem Verein immer für die Chance dankbar sein.
Nun trifft im Landesduell ein Champions-League-Anwärter auf einen Europa-League-Anwärter. Hätten Sie diese Konstellation vor der Saison erwartet? Dass Stuttgart so eine Saison
spielt, hätte niemand erwartet und sie haben sich diesen Platz durch tollen und erfolgreichen Fußball absolut verdient. Am Wochenende fehlen beiden Clubs zwar Spieler, die noch beim Afrika-Cup (etwa Stuttgarts Toptorjäger Serhou Guirassy und Silas; Anm. d. Red.) oder Asia-Cup (Freiburgs Ritsu Doan) sind und beiden Mannschaften guttun würden, doch erwarte ich auch so ein gutes Duell. Stuttgart ist ein eingespieltes, gefestigtes Team mit klaren Abläufen und flexibel im Angriff. Es wird sehr anspruchsvoll für uns, doch auch der SC Freiburg hat über die Jahre eine positive Entwicklung genommen. Wir werden dennoch ans Maximum gehen müssen.
Sie spielten zwischen 2005 und 2007 für die zweite Mannschaft der Stuttgarter und anschließend ein Jahr für die Profis, kamen dort auf zwei Einsätze. Das war alles rund um die große Zeit der 2007er-Meisterschaft. Wie war es damals und ist diese Ära mit heute vergleichbar?
Damals kam sehr viel zusammen. Es war eine super besetzte Mannschaft, mit tollen Charakteren wie Fernando Meira, Pável Pardo oder Ludovic Magnin, dazu die vielen jungen Wilden und Armin Veh als genau der richtigen Trainer. Da kam dann eine Dynamik rein und dazu ein Selbstbewusstsein, die das Team zur Meisterschaft getragen hat. Ich erinnere mich noch gern an den letzten
Spieltag gegen Cottbus und das entscheidende Tor und an das, was anschließend in der Stadt los war. Ich durfte ja immer mal wieder mit den Profis trainieren, war im Kader und habe die Feierlichkeiten gerne mitgenommen. Die aktuelle Mannschaft des VfB weist einige Parallelen zur 2007er auf, zum Beispiel das Selbstverständnis und ein wenig die Art und Weise des Spiels. Sie ist aber noch sehr jung, hat noch Entwicklungspotenzial. Doch glaube ich nicht, dass es für etwas Ähnliches wie damals reichen wird.
Kommen wir zum SC Freiburg, dem Club, für den Sie zwischen 2008 und 2018 aufliefen, mit dem Sie zwei Auf- und einen Abstieg erlebten. Hatten Sie auf so eine persönliche Entwicklung und auch die des Clubs bei Ihrem Wechsel gehofft?
So etwas hätte ich mir nie erträumen können. Es ging ja direkt mit dem Aufstieg los. Doch so richtig habe ich den Verein erst mit dem Abstieg kennengelernt. Da habe ich wirklich verinnerlicht, was es bedeutet, der SC Freiburg zu sein. Diese Geschlossenheit, die Bescheidenheit und die Kontinuität zu wahren. Das habe ich in der schlechten Phase besonders erlebt und das war auch die Grundlage dafür, dass es dann wieder nach oben ging. Ich durfte ja sogar noch international mit dem Club spielen, habe jetzt als Trainer den Umzug ins neue Stadion miterlebt und zudem bleibt es immer
eine Herausforderung das zu wahren, was die Grundlage dieses Vereins ist. Denn mit jedem Wachstum passiert eine Veränderung und man muss immer aufpassen. Die Freiburger Wurzeln dürfen dabei nie verloren gehen.
Wenn man von Freiburg spricht, fällt heute oft der Begriff Kontinuität und noch häufiger der Name Christian Streich. Wie sehr hängt das Wohl und Wehe des Vereins an diesem Namen?
Kontinuität ist auf vielen Ebenen da und ein wesentlicher Faktor des Erfolges. Viele Mitarbeiter sind seit 20 Jahren hier und leben jeden Tag vor, was den Verein ausmacht. Der Club hat sich zudem entwickelt und viele Spieler müssen hier nicht mehr weggehen, um ihre Ziele zu erreichen. Chris ist natürlich ein wichtiger Faktor und alles steht auch im Zusammenhang mit unserem Trainer. Er präsentiert den Verein und trifft die Entscheidungen und wir sind dankbar, dass er da ist.
Sie sind Verbindungstrainer, nehmen Sie uns doch ein bisschen mit in Ihren Berufsalltag.
Ich habe vor sechs Jahren mit einem leeren, weißen Blatt Papier begonnen, diese Stelle zu gestalten. Die Verbindung zwischen Fußballschule und Profibereich ist ja gerade in Freiburg sehr wichtig, denn wir haben das große Ziel, immer wieder eigen ausgebildete Spieler an den Profibereich heranzuführen. Damals habe ich die U19, U23 Spieler individuell begleitet, weil es ein großer Schritt zu den Profis ist. Heute übernehme ich vor allem den oberen Altersbereich und habe noch Helfer an meiner Seite. Ich predige immer wieder die Schlagwörter Arbeit und Geduld. Junge Spieler pendeln oft zwischen zwei Mannschaften, das ist keine einfache Situation und da ist jemand, der eng an ihrer Seite ist und für die Jungs da ist, wichtig.
Ihr Karriereziel dürfte dennoch ein anderes sein. Seit 2023 haben Sie die Pro-Lizenz, die höchste Trainerlizenz Deutschlands. Folgt nach der Ära Streich also die des SC-Trainers Julian Schuster?
Die Lizenz machen zu dürfen, war eine tolle Erfahrung und ein lehrreiches Jahr. Es war eine große Reise zu mir selbst, doch bedeutet die Lizenz nicht automatisch etwas. Ich habe keinen Zeitdruck und finde die aktuelle Aufgabe erfüllend. Ich entwickele mich ständig weiter. Aber selbstverständlich habe ich das Interesse, irgendwann eine Mannschaft trainieren zu dürfen, jedoch dafür keinen konkreten Plan.
Wenn also ein anderer Club ruft, stehen Sie bald woanders an der Seitenlinie?
Puh, da muss schon arg viel passieren. Da sehe ich im Moment keine Option, dass etwas anderes so interessant sein könnte, dass ich mein Leben und die Verbundenheit hier aufgebe. Das alles ist mir so so viel mehr wert als irgendwelche Alternativen.