Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
WOCHENENDE
Der Schock sitzt tief Auf La Palma geht es nach dem Vulkanausbruch wieder aufwärts – Aber auf der Kanareninsel brodelt es immer noch – Ein Besuch im Sperrgebiet rund um den Krater
Rauch steigt aus dem Krater auf, er ist von Weitem schon zu sehen. „Das ist größtenteils Wasserdampf “, beruhigt Lotte von Lignau. Die Deutsche ist eine jener Reiseführerinnen und -führer, die mit kleinen Touristengruppen das Vulkansperrgebiet im Süden der spanischen Kanareninsel La Palma betreten dürfen. Über einen mit Steinen markierten Weg geht es durch eine unberührte Ascheund Lavalandschaft, in der neues Leben erwacht und wieder Bäume sprießen, bis (fast) an den Rand des Vulkantrichters. In dessen Tiefe brodelt es, und es werden dort Temperaturen von über 500 Grad gemessen.
Vor über zwei Jahren brach hier, im Gebirgszug Cumbre Vieja, auf etwa 1000 Meter Höhe, die Hölle aus. Am Nachmittag des 19. September öffnete sich plötzlich die Erde – und der Berg begann Feuer, Gestein und Magma zu spucken. Tausende von Menschen mussten Hals über Kopf fliehen, weil sich der Lavastrom ihren Häusern näherte. Auch die gebürtige Bremerin Lotte von Lignau musste mit ihren drei Kindern und Ehemann Peter flüchten. „Plötzlich riefen die Nachbarn: Der Vulkan ist ausgebrochen“, erinnert sie sich. „Ich konnte es überhaupt nicht fassen.“Ein Schock, der bis heute nicht vergessen ist. „Die Erdbeben wurden immer stärker, das Grollen des Vulkans war tierisch laut, es kam ohne Pause Asche runter, die Fenster schepperten.“
In Windeseile wurden ein paar Sachen zusammengepackt, dann sprang die Familie ins Auto. „Das alles kam mir vor wie in einem schlechten Katastrophenfilm“, erzählt Lotte von Lignau. „Wir sind dann erst einmal zu Freunden in den Norden der Insel geflüchtet.“Rund 7000 Menschen, die unterhalb des Vulkangebirges im Südwesten der Insel lebten, mussten ihre Häuser verlassen. Darunter waren auch viele europäische Residenten. Zudem mussten mehrere Tausend Urlauber evakuiert werden. Die bergige Kanareninsel La Palma ist seit Jahrzehnten besonders bei Deutschen, Österreichern und Schweizern beliebt. Die Deutschsprachigen sind die größte Gruppe unter den ausländischen Bewohnern und Besuchern der Vulkaninsel.
85 Tage dauerte der Albtraum. Dann, kurz vor Weihnachten, verstummte der Vulkanberg wieder. Er hatte zehn Prozent der Insellandschaft zerstört. Mehr als 1000 Wohngebäude wurden von der Lava verschlungen. Auch im Ort La Laguna, in dem Lotte von Lignau lebt. „Aber wir haben noch Glück gehabt“, sagt sie heute rückblickend. „Unser Haus blieb verschont. Hätte der Ausbruch noch ein paar Wochen länger gedauert, wäre unser Grundstück auch weg gewesen.“Wie durch ein Wunder kamen bei dieser Katastrophe keine Menschen ums Leben. Aber es entstand milliardenschwerer Schaden: Mehrere Dörfer sind unter der Lava verschwunden. Hunderte Bananenplantagen, neben dem Tourismus die wichtigste Einnahmequelle der Insel, wurden vernichtet. „Auch die Schule unserer Kinder wurde von der Lava überrollt.“
Schon wenige Tage nach Ende der Eruption rollen Bagger und schweres Räumgerät an, um zu retten, was retten ist. Häuser, die dem Lavafluss und Ascheregen standhielten, werden freigeschaufelt. Neue Straßen wurden durch die haushohe Lavaschicht gefräst. Stellenweise ist der Boden auf den Lavafeldern noch heiß, Gase kommen aus dem Boden. „Nicht anhalten! Nicht aussteigen!“, warnen Schilder auf einigen Lavapisten.
Auch am Kraterrand im Vulkangebirge Cumbre Vieja droht noch Gefahr. Man darf sich – allerdings nur mit Führer – bis zu 200 Meter nähern. „Giftige Gase, hohe Temperaturen, instabile Gelände“, warnt ein Schild. Die umliegende Vulkanlandschaft ist Sperrgebiet. „Wenn man das nicht abgesperrt hätte, müsste man da die Leute aus dem Krater fischen“, sagt Wanderführerin von Lignau, die mit ihrem Unternehmen Graja Tours Wanderungen durch die Vulkanlandschaft anbietet.
Aber es gehe natürlich auch darum, diese einzigartige Natur zu schützen, die der Vulkan, der auf den Namen Tajogaite getauft wurde, hinterlassen hat. „Die Aschelandschaft muss man sich wie eine schwarze Neuschneedecke vorstellen“, beschreibt sie den Anblick. Eine Landschaft der Kontraste: dunkelschwarze Asche, aus der hellgrüne Kiefern sprießen, dazwischen ein leuchtend blauer Himmel. „Das ist ein echtes Naturspektakel.“Die Insel, die unter dem Vulkan viel gelitten habe, sei so immerhin mit einer neuen Attraktion entschädigt worden, meint sie.
Die 85.000 Inselbewohner, die in den vergangenen 100 Jahren schon mehrere Eruptionen erlebt haben, haben gelernt, mit ihren Vulkanen zu leben. Die Vulkanerde gilt sogar als besonders fruchtbar. Lava und Asche werden auf der Insel im Straßen- und Häuserbau verwendet. Auch Lotte von Lignau und Ehemann Peter haben dies genutzt, um auf ihrem Grundstück aus Vulkanmaterial für Urlauber ein Ferienhaus zu bauen.
Jetzt müssen nur noch die Touristen zurückkehren. Das ist die große Hoffnung vieler Inselbewohner, von denen nicht wenige vom Tourismus leben. Sie haben viel mitgemacht in den letzten Jahren. Erst kam die CoronaPandemie. Dann verschreckte vor zwei Jahren der Vulkanausbruch die Besucher. Der von Lava umgebene Badeferienort Puerto Naos, in dem es fast 4000 Gästebetten gab, ist wegen giftiger Gase noch immer nicht bewohnbar.
Doch langsam geht es auch wieder aufwärts. Im vergangenen Jahr kamen bereits knapp 150.000 Urlauber auf die Kanareninsel. Dieses Jahr könnten es noch mehr werden. „Wir haben schwierige Jahre hinter uns“, sagt Lotte von Lignau. „Aber wir sind jetzt guter Dinge, dass der Tourismus wieder Fahrt aufnimmt.“