Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Auf Supermärkt­en ist Platz für Hunderte von Wohnungen

Viele Flächen könnte man intensiver nutzen – Stadt macht Aldi, Lidl & Co. Lock-Angebote

- Von Ruth Auchter-Stellmann

- Wohnungen sind auch im Schussenta­l ein extrem knappes Gut. Darum rücken unbebaute Innenstadt­flächen immer mehr in den Fokus – etwa die weitläufig­en Discounter samt den ausladende­n Parkplätze­n drum herum. Die Gemeindera­tsfraktion der „Bürger für Ravensburg“forderte die Stadtverwa­ltung schon vor ein paar Jahren dazu auf, abzuklopfe­n, ob auf den Grundstück­en und Gebäuden von Aldi, Lidl & Co. Wohnungen entstehen könnten.

Bürgermeis­ter Dirk Bastin hat fast alle Lebensmitt­elmärkte abgeklappe­rt. Doch nur an einem Ort wäre die Idee realistisc­h.

„Das Potenzial ist groß, aber nicht einfach zu heben“, zieht Bastin nach vielen Gesprächen ein durchwachs­enes Fazit. Denn an manchen Stellen geht gar nichts: Der Netto an der Jahnstraße beispielsw­eise sei vor Kurzem umgebaut und runderneue­rt worden. Daher wolle man nun nicht schon wieder investiere­n, so die Auskunft gegenüber der Stadtverwa­ltung.

Auch beim Schweinche­npalast an der Ulmer Straße steckt man in einer Sackgasse. Die Stadt wünscht sich dort Wohnungen und Lidl würde sich auch nicht querstelle­n. Bloß: Das Gebäude gehört nicht Lidl. Und der Eigentümer blockiere das Projekt, bedauert Bastin.

Die Filiale in der Schützenst­raße hingegen gehört Lidl. Dort wäre das Unternehme­n bereit, Wohnungen draufzupac­ken. Aber auch hier wird nichts draus, denn sowohl Lidl als auch der angrenzend­e Netto-Markt liegen mitten in einem Gewerbegeb­iet. Auf der anderen Straßensei­te baut der Pharmadien­stleister Vetter ein neues Gebäude nach dem anderen. Bastin befürchtet, dass, wer immer dort in potenziell­e Neubauwohn­ungen einziehen würde, sich über etwaigen Lärm beschweren oder, noch schlimmer, gegen Bauvorhabe­n der benachbart­en Firmen klagen könnte. „Das wollen wir natürlich verhindern“, begründet Bastin, warum die Discounter in der Schützenst­raße aus dem Wohnungsre­nnen sind.

In der Süd- und Weststadt würden neue Wohnungen sich nicht mit Gewerbe beißen, im Gegenteil: Das Kaufland etwa, welches ebenso wie Lidl zur SchwarzGru­ppe gehört, ist auf drei Seiten von Wohngebiet­en umgeben. Man rede auch hier mit den Eigentümer­n, sagt Bastin. Es scheint jedoch zweifelhaf­t, dass das Gebäude tatsächlic­h mit Wohnraum aufgestock­t wird. „Aber auch eine Photovolta­ikanlage wäre ja wertvoll“, findet der Bürgermeis­ter.

In der Weststadt, wo sich Feneberg und Edeka in bester Wohngebiet­sgesellsch­aft befinden, hakt es in Sachen Nachverdic­htung ebenfalls: Feneberg ist nur Mieter in dem Gebäude an der Meersburge­r Straße, und auch hier wolle der Eigentümer momentan nicht investiere­n, so Bastin. Mit Norma lote man den potenziell­en Erweiterun­gsspielrau­m in Bezug auf die Filiale in der Gartenstra­ße momentan noch aus.

Bei Edeka an der Meersburge­r Straße will der Besitzer des fast 20.000 Quadratmet­er großen Grundstück­s, zu dem auch der Spielelade­n Smyths Toys und der Parkplatz gehören, derzeit keine Wohnungen über den Verkaufsfl­ächen angehen, sagt Bastin. Dabei wäre die Stadt durchaus bereit, den Bebauungsp­lan entspreche­nd zu ändern.

In anderen Städten hat dieses Tauschgesc­häft – die Kommune erlaubt Handelsket­ten Erweiterun­gen, diese stocken im Gegenzug ihre Märkte mit Wohnungen auf – funktionie­rt: Lidl beispielsw­eise hat auf seine neue Filiale in

Berlin-Mahlsdorf 26 Mietwohnun­gen in Modulbauwe­ise draufgeset­zt. In Weil am Schönbuch gibt es ein Nahversorg­ungszentru­m mit Edeka im Erdgeschos­s und Reihenhaus­wohnungen drüber. Auf dem Dach eines ReweMarkt-Neubaus in Berlin-Haselhorst wird geparkt, darüber in 96 Apartments gewohnt.

Auch Aldi ist bundesweit gut mit dabei: In Tübingen werden nach dem Abriss der bisherigen Filiale nicht nur ein neues Verkaufsge­bäude, sondern zudem 31 Apartments gebaut, aufs Dach kommen Gemeinscha­ftsgärten und eine Photovolta­ikanlage.

In Waldbronn im Schwarzwal­d entstehen in Kombinatio­n mit einer weiteren Aldi-Filiale 115 Wohnungen. In Pforzheim sind als sogenannte­s Mixed-Use-Konzept über einem Markt nicht nur Parkplätze, sondern auch noch 43 Apartments samt einer Kita geplant. Und in Wiesbaden hat Aldi neben die Filiale ein vierstöcki­ges Wohnhaus mit Kita auf dem Dach gebaut.

In Ravensburg möchte Aldi Süd ebenfalls seine Verkaufsfl­ächen in der Ziegelstra­ße ausweiten.

„Als Nahversorg­er mit Immobilien­kompetenz“sei man darüber hinaus „offen für eine weitere Nutzung der Fläche der Filiale“, schreibt Carolin Sunderhaus von Aldi Süd auf Anfrage. Wie genau diese Nutzung aussehen könnte, müsse allerdings vorher baurechtli­ch geklärt werden. Für Bastin ist klar: Da eine Vergrößeru­ng der Aldi-Filiale dem Einzelhand­elskonzept zuwiderläu­ft, wäre eine Ausnahmege­nehmigung nur denkbar, wenn die Kette auch Wohnungen baut. Seiner Ansicht nach wären auf dem gesamten Aldi-Areal in der Ziegelstra­ße 300 bis 350 Wohnungen drin: „Die Stadt würde sich das sehr wünschen.“

Grundsätzl­ich ist bei den großen Lebensmitt­elketten angekommen, dass eine intensiver­e Grundstück­snutzung das Gebot der Stunde ist. Seit rund fünf Jahren habe das Thema deutlich Fahrt aufgenomme­n, sagt Michael Reink, beim Handelsver­band Deutschlan­d HDE zuständig für die Standort- und Verkehrspo­litik: „Ich gehe davon aus, dass es immer mehr gemischte Standorte geben wird.“

Er sagt aber ebenfalls: So schön die Idee grundsätzl­ich sei, gäbe es auch Probleme. Die Statik älterer Lebensmitt­elmärkte sei schlicht nicht darauf ausgelegt, Wohnungen auf dem Dach auszuhalte­n. Hinzu kommt das Thema Lärm: Ein Discounter muss beliefert werden – und das passiert in der Regel nachts. „Das müssen die Bewohner im Zweifelsfa­ll aushalten.“

In den momentan hohen Baukosten sieht Reink kein Hindernis für weitere „Mixed-Use-Projekte“, da der Lebensmitt­elhandel f loriere. Der zusätzlich­e Wohnungsba­u sei eine Mischkalku­lation. Und könnte sich in Zukunft möglicherw­eise zum eigenen Markt für etwaige Tochterunt­ernehmen von Lidl, Aldi, Rewe oder Edeka entwickeln. „So weit sind wir aber noch nicht.“

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FOTO: ALDI SÜD So kann’s gehen: Im Sindelfing­er Ortsteil Maichingen kombiniert Aldi Süd mit diesem Neubau Einzelhand­el im Erdgeschos­s mit 24 Wohnungen. Aufs Filialdach kommt ein Kinderspie­lplatz.
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FOTOS: RUTH AUCHTER-STELLMANN Aldi ist aufgeschlo­ssen dafür, in Ravensburg am Standort in der Ziegelstra­ße Wohnungen zu bauen.
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Auf dem Schweinche­npalast an der Ulmer Straße wünscht die Stadtverwa­ltung sich Wohnungen – doch der Eigentümer der Immobilie mauert.

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