Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der Lastwagen-Friedhof bleibt ein Ärgernis
In der Lindauer Straße verrotten seit elf Jahren die Fahrzeuge einer insolventen Spedition
- Im Februar 2020 berichtete die „Schwäbische Zeitung“zum letzten Mal über das verwahrloste Grundstück einer insolventen Spedition in der Lindauer Straße. Zum Positiven entwickelt hat sich seither nichts. Im Gegenteil: Das Gelände mit über 20 Lastwagen, Autos und Arbeitsbühnen kommt immer weiter herunter und vermüllt zusehends - umgeben von weiteren Unternehmen, denen dieser Zustand ein Dorn im Auge ist.
Seitdem die Spedition 2013 Insolvenz anmelden musste, scheint der Fuhrpark auf dem Schotterplatz nicht mehr bewegt worden zu sein. Teilweise sind die Lastwagen von wild gewachsenen Büschen und Bäumen umstellt. Von den Aufliegern hängen Planen herunter, die sich gelöst haben. Dass das Gelände frei zugänglich ist - nur eine Kette spannt sich vor der Einfahrt macht es nicht besser: Der gut einsehbare Platz wird zur illegalen Müllkippe. Eine Matratze liegt herum, einige Meter weiter ein Doppelklappbett, eine Menge alter Reifen. Im Gesträuch hängt Papier- und Plastikmüll. Jahrelange Witterung hat die trüben Scheiben der Fahrzeuge mit einem grünen Belag überzogen. Auf Türgriffen wächst Moos, sogar Efeu rankt sich empor.
Inzwischen zieht dieses Gelände sogar junge Abenteurer an. Unter dem Namen „HaRiBoT“machen sie ihre Videos über „Lost Places“(deutsch: verlassene Orte) in den sozialen Netzwerken öffentlich. Seitdem das Video vom Häf ler Lkw-Friedhof vor zwei Wochen unter dem Titel „Millionenwerte vergammeln“bei Youtube eingestellt werde, wurde es von über 136.000 Internetnutzer gesehen. Ein anderes, schon acht Monate altes Youtube-Video zum selben Thema bringt es auf 57.000 User. Einer schreibt als Kommentar: „Solche Schadstoffdampfer so lange dort liegen zu haben, ist echt ein Unding.“Ein anderer: „Wäre krass, wenn das da immer noch so aussieht. Bin da 2018 mal vorbeigefahren und es sah genauso aus.“Das sind nur zwei von 285 Stimmen.
In seinem Video erkundet das „HaRiBoT“-Team das Grundstück aufs Genaueste und beging damit wohl Hausfriedensbruch. Dennoch: Das Video zeigt, wie heruntergekommen viele der Fahrzeuge inzwischen sind. Das Videoteam
stößt auf einen Lastwagen mit unverschlossenen Fahrertüren, in dem verstreute Geschäftspapiere liegen. Die technischen Bedienelemente des Cockpits wurde ausgebaut. Wahrscheinlich haben Diebe sie mitgehen lassen. Dann wieder filmt das Team eine zertrümmerte Frontscheibe oder offenstehenden Motorhauben, unter der sich Langfinger zu schaffen gemacht haben - und schließlich jenen Lkw, der in der letzten Silvesternacht abgefackelt wurde. Laut Polizeibericht geriet er durch Feuerwerkskörper in Brand, die im Führerhaus entzündet wurden. Es bestand Gefahr, dass der Brand auf weitere Lkw übergreife, so die Polizei
weiter. Das trat glücklicherweise nicht ein. Nur das ausgebrannte Führerhaus ist jetzt ein verkohltes Skelett.
Regelrecht gruselig sind die Einblicke in unverschlossene Wohncontainer, in denen die Büros untergebracht waren: Taschenlampen f lackern durch verwüstete dunkle Räume mit zerstörtem Mobiliar. Auf die Wände wurden Graffiti geschrieben, auf den Böden liegen wild verstreut Geschäftsakten. Kurzum: Das verlassene Gelände wirkt auf Marodeure wie eine Einladung, sich auszutoben.
Für Peter Mucha ist das nichts Neues. Der Gründer der benachbarten Sport-und WerbeartikelFirma
Tramondi stößt sich seit Jahren daran, dass das Grundstück vor sich hingammelt. „Das interessiert erst dann jemanden, wenn mal was passiert“, sagt er. „Man stelle sich vor, dass der ganzer Laden hier mal brennt. Dann brennt unsere Lagerhalle natürlich auch. Wir sind ja nebendran“, sagt Mucha. An Oberbürgermeister Brand habe er schon vor vier Jahren geschrieben. Doch von Brand habe er ebenso wenig eine Antwort bekommen wie vom Landratsamt. Auch an die Polizei habe er sich gewandt - immerhin mit dem Ergebnis, dass im Juni 2022 zwei Anzeigen gegen die Besitzer des Grundstücks an die Staatsanwaltschaft Ravensburg
gegangen seien. Die eine wegen „unerlaubten Umgangs mit Abfällen“, die zweite wegen „unerlaubten Betriebs von Anlagen“. Das habe er schriftlich. Gehört habe er von der Sache seitdem aber nichts mehr. Und es sei vor Ort auch nichts unternommen worden, sagt Peter Mucha.
Die SZ wendet sich deshalb an die zuständige Staatsanwaltschaft Ravensburg. Dort hat man von den eingegangenen Anzeigen allerdings gar keine Kenntnis. „Das letzte Verfahren, das anhängig war, stammt noch aus dem Jahr 2021 und wurde Anfang Mai 2013 eingestellt“, sagt Oberstaatsanwältin Christine Weiss. Es wurde gar nicht erst Anklage erhoben. Die Sache sei dann ans Landratsamt Bodenseekreis abgegeben worden - „zur Verfolgung möglicher Ordnungswidrigkeiten in eigener Zuständigkeit“, so Weiss.
Das Landratsamt konnte aber nichts erreichen: Wie Pressesprecher Robert Schwarz auf Anfrage erklärt, wurde das Verfahren des Ordnungsamts beim Landratsamt eingestellt. Das heißt: Auf absehbare Zeit geschieht gar nichts. Dabei beschäftigt sich das Landratsamt mit dem Lkw-Friedhof schon lange.
Rückblende: Bereits 2018, als die SZ das Thema erstmals aufgriff, wollte das Landratsamt den Lastwagen-Friedhof beseitigen lassen. „Das Umweltschutzamt betrachtet die Situation als unerlaubte Abfallablagerung und ist mit den Eigentümern in Kontakt, um eine Beseitigung zu erreichen“erklärte damals Robert Schwarz damals. Dieser Kontakt wuchs sich zum Rechtsstreit aus mit bekanntem Ergebnis. Die Eigentümer der Insolvenzmasse waren für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Wie geht es nun weiter? Jedenfalls kaum mit einer schnellen Räumung. „Der zentrale Knackpunkt ist hier das Insolvenzverfahren, dessen aktueller Stand auch uns derzeit nicht ganz klar ist,“teilt das Landratsamt mit. Und weiter: „Aber davon hängen wesentlich die eigentumsrechtlichen Fragen ab und ob das Fahrzeugmaterial verkäuf lich ist oder entsorgt werden kann - und durch wen.“
Im Klartext heißt das: Wem gehören die Fahrzeuge? Und sind sie nun Wertgegenstände, die man verkaufen kann oder sind sie schon Schrott, der entsorgt werden muss? An dieser Frage arbeitete sich das Landratsamt schon seit Jahren ab, ohne weiterzukommen.
Bis auf Weiteres kann das Landratsamt nur regelmäßig prüfen, „ob von den Fahrzeugen eine akute Gefahr ausgeht, ob also Gefahr im Verzug ist“, so Robert Schwarz. Dazu müssten die Fahrzeuge so marode sein, dass Öl, Treibstoff oder andere giftige Flüssigkeiten austreten könnten, die über den Boden und so ins Grundwasser gelangen. Wenn dieser Fall gegeben ist, kann die Räumung der Fahrzeuge verlangt werden. Doch wann das der Fall sein wird - ob in diesem Jahr, in fünf oder zehn Jahren - weiß aktuell niemand.