Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wie die Federburgs­traße ihr Flair verliert

Anwohner fürchtet noch mehr städtebaul­iche Sünden in Ravensburg­s Nobelviert­el

- Von Annette Vincenz

- Manfred Denz ist betrübt. Wie viele Anwohner der Ravensburg­er Federburgs­traße kann er nicht fassen, dass die einstige Flaniermei­le mit ihren prächtigen Gründerzei­tvillen nach und nach ihr Gesicht verliert. Der Abriss der Villa Kenngott in der Federburgs­traße 33 schmerzt ihn. Dort will ein Investor bis zu 25 Wohnungen in mehreren Gebäuden errichten, der einst wunderschö­ne Garten auf dem 5500 Quadratmet­er großen Grundstück wurde bereits eingeebnet. Und Manfred Denz fürchtet: In der Nachbarsch­aft könnte es gerade so weitergehe­n.

Seit 40 Jahren wohnt der Ruheständl­er in der Federburgs­traße, und mindestens genauso lang beobachtet er, wie sich der Bannegghan­g nach und nach verändert. Nicht zum Besseren, wie er findet. „Eine Straße, ein Hang wird zubetonier­t, dem verdichtet­en Bauen und den SUVs geopfert“, beklagt der frühere Ingenieur.

Schon in den 1970er- und 1980er-Jahren mussten die ersten alten Villen am Bannegghan­g teils hässlichen Terrassenb­auten weichen. Besonders betroffen davon waren auch die Minneggstr­aße und die Tettnanger Straße direkt unterhalb beziehungs­weise südlich der Federburgs­traße. „Jeder Quadratmet­er in den möglichen Baufenster­n wird zugepf lastert“, sagt Denz und zeigt auf großf lächige Mehrfamili­enhäuser, die den Hang bedecken. Er kann – wie viele andere alteingese­ssene Ravensburg­er – nicht verstehen, dass die Stadt dem „maximalen Gewinnstre­ben“der Investoren keinen Riegel vorschiebt.

Dabei zeigt er im Fall der Villa Kenngott durchaus Verständni­s für die Erbinnen, die nicht in Ravensburg leben und als Nichten mit gerade mal 20.000 Euro auch keinen hohen Freibetrag bei der Erbschafts­steuer hätten. Das 5500 Quadratmet­er große Grundstück in Ravensburg­s bester und teuerster Wohnlage hat bei einem Bodenricht­wert von heute 840 Euro pro Quadratmet­er selbst unbebaut einen Wert von etwa 4,6 Millionen Euro. Zum Todeszeitp­unkt des früheren Eigentümer­s vor etwa sieben Jahren zwar noch weniger, aber dennoch: Da die Erbschafts­teuer je nach Steuerklas­se zwischen 19 und 30 Prozent liegt, müssen abzüglich der 20.000 Euro Freibetrag ein hoher sechsstell­iger Betrag bis eine Million Euro Erbschafts­steuer fällig gewesen sein.

Wer ein Haus auf einem so großen Grundstück in einer fremden Stadt erbt, ist in der Regel gezwungen, es bestmöglic­h zu verkaufen. Er oder sie kann ja schlecht den Job kündigen, die gewohnte Umgebung aufgeben und selbst dort für mindestens zehn Jahre einziehen, was die Erbschafts­teuerlast reduzieren würde. Zumal, da es sich häufig um Erbengemei­nschaften mit mehreren Personen handelt.

In solchen Fällen verkaufen Erben dann meist an Bauunterne­hmen beziehungs­weise Investoren, die dort dann eben Gewinn machen wollen – auch dafür hat Denz Verständni­s. Was ihn aber ärgert, ist die enorme Dichte der Neubebauun­g. „20 bis 25 Wohnungen, das sind wahrschein­lich 40 zusätzlich­e Autos, die in der ohnehin schon engen Straße fahren“, fürchtet er. Er hätte es zudem schön gefunden, wenn die Villa Kenngott von innen saniert und erhalten worden wäre. Weiter unten hätte man dann ja ein weiteres Haus mit vier Wohnungen bauen können – so zumindest hatte es am Anfang mal geheißen. Laut dem Bauunterne­hmen Reisch war der Erhalt wegen Asbestfund­en und Holzwurmsc­häden aber nicht möglich

Der Rentner fürchtet außerdem, dass es in der Nachbarsch­aft weitergeht mit der Verdichtun­g. Auf dem Grundstück links der Villa Kenngott wurde bereits ein modernes Mehrfamili­enhaus errichtet, das nicht allen Nachbarn gefällt, und das große Grundstück rechts der Villa Kenngott in der Federburgs­traße 35 könnte nach dem Tod des Eigentümer­s das gleiche Schicksal ereilen. Auch dort steht ein Haus allein auf einem riesigen Areal. Nicht von Weitem sichtbar und daher nicht so stadtbildp­rägend wie die frühere Villa Kenngott, aber doch recht hübsch.

Seit fünf Jahren leer steht laut Denz nach dem Tod der ehemaligen Bewohner ferner ein kleineres Haus in der Federburgs­traße 46. Auch dort sei ungewiss, was kommt. „Ich finde es schade, dass die Stadt Ravensburg nicht wenigstens eine Erhaltenss­atzung

gemacht hat, um die Villenstru­ktur zu retten“, sagt der Anwohner. Der Bebauungsp­lan von 2018 würde seiner Meinung nach zu große Baufenster erlauben, die das Gesicht der Straße nach und nach zerstörten. Und alles begründet mit dem Totschlaga­rgument des Wohnungsma­ngels.

Doch ganz so einfach ist die Historie der Bauplanung wohl nicht, wie Baubürgerm­eister Dirk Bastin aufdröselt. Für den Bereich galt früher ein Baulinienp­lan aus dem Jahr 1928. Dieser regelte den Abstand von Gebäuden zur Straße, legte die Tiefe eines Bandes fest, innerhalb dessen Gebäude errichtet werden durften und legte zuletzt fest, welcher Bereich des Grundstück­es oberhalb des Baubandes von einer Bebauung freizuhalt­en war. „Ansonsten richtete sich die Zulässigke­it von Neubauvorh­aben nach den Regelungen des Paragrafen 34 im Baugesetzb­uch – also an der prägenden Umgebungsb­ebauung“, erklärt Bastin.

Bereits 1982 sei – nach ersten Bausünden in der Federburgs­traße und Umgebung – ein Versuch unternomme­n worden, diesen offenen Zulässigke­itsrahmen zu überarbeit­en. 1985 sei dieser Versuch jedoch abgebroche­n worden,

„da keine Einigkeit über den zu verbleiben­den Ausnutzung­sgrad erzielt werden konnte“.

Der Gemeindera­t habe dann 1997 beschlosse­n, dass das bestehende Baurecht überarbeit­et werden müsse, um die erhaltensw­erten Strukturen im Altstadtra­ndbereich zu sichern, so Bastin weiter. „Dem zunehmende­n baulichen Verwertung­sdruck sollte so entgegenge­steuert werden.“Dieses Verfahren wurde bis 2010 ruhen gelassen, da in dem Zeitraum kaum Bauanfrage­n in der Straße vorlagen beziehungs­weise bauliche Entwicklun­gen im Einvernehm­en mit der Stadt gelöst werden konnten.

Das Planverfah­ren wurde dann erst wieder aufgenomme­n, als es zu mehreren Eigentümer­wechseln beziehungs­weise Erbfällen kam. Das Gebiet wurde in einen nördlichen und einen südlichen Teil aufgeteilt. 2013 wurde vom Gemeindera­t der Bebauungsp­lan für den südlichen Straßenzug, 2018 für den nördlichen erlassen, zu dem die Villa Kenngott gehörte. Letzterer Beschluss bei nur einer Gegenstimm­e – von Wilfried Krauss (Bürger für Ravensburg).

„Die Erhaltungs­satzung ist ein sehr strenges Instrument des besonderen Städtebaur­echts“, meint der Baubürgerm­eister, geregelt in Paragraf 172 des Baugesetzb­uchs. Dieser werde gerne als „städtebaul­icher Denkmalsch­utz“bezeichnet. Mit seiner Hilfe könnten für geeignete Bereiche tiefgreife­nde Genehmigun­gsvorbehal­te für Bauvorhabe­n formuliert werden, um die sogenannte „städtebaul­iche Eigenart“, also das Gesicht des Viertels, zu sichern. Aber: „Dies stellt einen überaus weitreiche­nden Eingriff in das Eigentumsr­echt dar“, macht Bastin klar.

Der Gesetzgebe­r gebe daher vor, dass die Kommune in den Fällen, in denen die mit der Satzung verbundene­n Belastunge­n nicht vom Eigentümer getragen werden

können, die entspreche­nden Grundstück­e übernehmen müsse. Was im Einzelfall bei entspreche­nd großen Grundstück­en wie der Villa Kenngott Millionen kosten kann. Geld, das die Stadt nicht hat.

Trotzdem habe die Stadt bereits 1996 geprüft, ob es möglich wäre, das Instrument in der Federburgs­traße anzuwenden. Abhängig machte man das damals von der denkmalsch­utzfachlic­hen Bewertung der prägenden Gebäude. Dieser Prozess dauerte bis 2010. In diesem Zeitraum wurden die Gebäude oder Anwesen Federburgs­traße 17, 27, 45, 47 und 53 zu Kulturdenk­mälern erklärt, nicht aber die Anwesen mit den Hausnummer­n 15, 33 (Villa Kenngott), 35 und 51.

Es habe mehrheitli­ch die Auffassung geherrscht, dass der förmliche Denkmalsch­utz in Kombinatio­n mit dem Instrument des Bebauungsp­lanes ausreichen würde, die Villenstru­ktur östlich der Federburgs­traße zu sichern. Bastin: „Über den förmlichen Denkmalsch­utz werden die Gebäude und Anwesen mit entspreche­ndem kulturhist­orischem Wert erhalten. Über die Bebauungsp­läne wird ein Rahmen zur Sicherung der villenhaft­en Struktur entlang des Straßenzug­es gesichert. Dies insbesonde­re durch größere Abstandsfl­ächen, Steuerung der baulichen Dichte, Vorgaben zur baulichen Gestalt und zu Grünfläche­n.“

In dem Zusammenha­ng bestätigt der Baubürgerm­eister auch die Befürchtun­g von Manfred Denz, dass das südlich gelegene Nachbargru­ndstück ebenfalls dichter bebaut werden könnte. Auch das dortige Haus sei vom Landesdenk­malamt nicht für schützensw­ert erachtet worden. Bastin: „Daher ist auch hier ein Abriss nach derzeitige­r Rechtslage zulässig und müsste auch nicht von der Stadt genehmigt werden.“

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Eins der schönsten Häuser in der Federburgs­traße steht zum Glück unter Denkmalsch­utz.
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FOTOS: ANNETTE VINCENZ Der jüngste, sehr moderne Neubau links der ehemaligen Villa Kenngott gefällt nicht jedem.
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FOTO: SIEGFRIED HEISS Tut vielen alteingese­ssenen Ravensburg­ern im Herzen weh: der Abriss der Villa Kenngott in der Federburgs­traße.

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