Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Ich hatte mit Uli Hoeneß einen Schutzengel, der mir das Leben gerettet hat“
Torwartlegende Sepp Maier wird heute 80 Jahre alt. Über seine besten Spiele, den FC Bayern und den dramatischen Autounfall, der seine Karriere beendete.
- Er darf sich Weltmeister nennen, ist mehrfach deutscher Meister geworden und hat in den 1970er-Jahren die große Ära des FC Bayern München entscheidend mitgeprägt: Sepp Maier ist einer der erfolgreichsten Torhüter und einer der größten Spaßvögel der deutschen Fußballgeschichte. Heute wird der langjährige Weggefährte des im Januar verstorbenen Franz Beckenbauer 80 Jahre alt. Im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“erzählt der ehemaliger Torwart von seinen Idolen als Kind, seinem schweren Autounfall am Ende seiner Karriere und wie er seinen runden Geburtstag feiert.
Herr Maier, heute werden Sie 80 Jahre alt – wie begehen Sie diesen Tag?
Ich feiere nicht groß, habe ich noch nie gemacht. Meine Frau Monika mag das auch nicht. Wir können uns zum Glück fast alle Wünsche erfüllen und schenken uns lieber mal unterm Jahr etwas, um den anderen zu überraschen.
Sie sind im Münchner Osten, in Haar, aufgewachsen, leben mittlerweile zwei Dörfer weiter in Hohenlinden. Wird dort angestoßen oder im von Ihnen so geliebten Südtirol?
Ganz woanders, ganz weit weg. Auf Mauritius. Dort steigt die Sepp-Maier-Golf-Trophy, nun schon zum 15. Mal. Letztes Jahr haben wir das Turnier an der Costa del Sol ausgerichtet, dieses Jahr auf Mauritius.
Schauen Sie an einem runden Geburtstag intensiver auf den 14. Juli 1979 zurück, den Tag Ihres schweren Autounfalls? Nach einem Wolkenbruch gerieten Sie mit Ihrem Auto auf der vom Regen überfluteten Fahrbahn ins Schleudern, kollidierten mit einem entgegenkommenden Wagen. Es war Ihr vorzeitiges Karriereende.
Das lässt mich nicht mehr los. Es ist zwar jetzt schon 45 Jahre her, aber sehr präsent. Ich hatte Riesenglück und mit Uli Hoeneß einen Schutzengel, der mir das Leben gerettet hat. Auf eigene Verantwortung ließ er mich aus dem kleinen Eberberger Kreiskrankenhaus, das am Wochenende nur notdürftig besetzt war, ins Klinikum Großhadern bringen. Dort entdeckte man bis zu drei Liter Blut in meinem Körper, es bestand Lebensgefahr. Ich wurde sofort notoperiert, sechs Stunden lang – neben den ganzen Brüchen, ein Arm und ein paar Rippen, hatte ich einen Zwerchfellriss erlitten, daher die inneren Blutungen. Ohne den Uli würde ich jetzt nicht hier sitzen.
Sie sind Deutschlands Jahrhunderttorwart und haben einmal gesagt, Sie würden gerne die 100 Jahre voll machen. Weit hin ist es nicht mehr ...
… der Meterstab wird immer kürzer (lacht). Aber klar, warum keine 100? Wenn ich einigermaßen fit und gesund bleibe, habe ich nichts dagegen. Ich genieße mein Leben und mache, was mir Spaß macht. Wenn man sich mit 80 Jahren noch Stress macht, ist man selbst schuld. Das braucht`s nun wirklich nimmer.
Für Ziele und Träume ist es nie zu spät. Gibt es da etwas? Ein bestimmtes Land bereisen, Australien zum Beispiel?
Ach, wir waren schon überall auf der Welt. Manch tolle Orte kann man durchaus zweimal besuchen. Wir müssen aber nicht weit fort, lieben unsere Wanderungen in Südtirol, spielen Golf – dann sind wir glücklich.
Also auch kein Fallschirmsprung oder ähnliches?
Man soll das Glück nicht zu sehr herausfordern (lacht). Nein, nein, das Rumfliegen im Strafraum in all den Jahren hat mir gereicht.
Sie kamen als Jugendspieler zum FC Bayern, blieben dem Verein die gesamte Profikarriere über treu, von 1962 bis 1979. Wie sehr leiden Sie am TV mit Ihren Bayern?
Schon ziemlich. Bayern spielt momentan einfach nicht gut. Diese Querpässe! Ich habe das Gefühl, die Tore stehen an den Außenlinien auf Höhe der Mittellinie. Leverkusen spielt einen super Fußball, ist momentan die beste
Mannschaft in Deutschland und hat aktuell – wie sonst meist die Bayern bei einem Lauf – das Glück, dass man in der Nachspielzeit noch das Siegtor erzielt.
Wird Leverkusen Meister?
Und wenn schon! Man muss sich vor Augen halten, dass diese Spielergeneration der Bayern elfmal hintereinander die Meisterschaft gewonnen hat, das Double meist noch dazu. Dann gewinnen sie eben mal nicht die Schale – was ist schon dabei? Ein Jahr Pause ist auch okay, dann können wir Kräfte sammeln. Wir lassen jetzt die Leverkusener den Titel gewinnen und werden dann ab 2025 wieder elf- oder zwölfmal hintereinander Meister. Andererseits sind noch elf Spieltage zu absolvieren, 33 Punkte zu vergeben. Leverkusen sollte sich nicht zu sicher fühlen! Bayern hat schon mal neun Punkte auf Borussia Dortmund aufgeholt.
Steht Manuel Neuer bei der Heim-EM im Sommer im Tor der Nationalelf?
Ja, logo! Marc-André ter Stegen macht es auch gut, hatte jedoch ebenfalls mit einer Verletzung (Rücken-Operation, d.Red.) zu kämpfen. Manuel hat es verdient, nach 117 Länderspielen die EM im eigenen Land zu bestreiten – nicht, dass es ihm genauso ergeht wie Oliver Kahn, der jahrelang die Nummer 1 der Nationalelf war und dann von Jürgen Klinsmann vor der WM 2006 in Deutschland zugunsten von Jens Lehmann ausgebootet wurde. So etwas wünsche ich keinem Torhüter. Nach der EM, denke ich, wird Manuel seine DFB-Karriere beenden.
Er könnte ja noch bis zur WM 2026 weitermachen – auch wenn er dann schon 40 ist.
Wenn du als Torwart in ein gewisses Alter kommst, bist du gereifter. Dein Spiel wird ruhiger, dich regt nicht mehr so viel auf. Als Junger tangiert dich das Drumherum viel mehr. Manuel hat bei Bayern noch eineinhalb Jahre Vertrag bis 2025. Ich glaube, dann macht er Schluss. Mit 39, ein gutes Alter. Mein Plan war damals, mit 38 Feierabend zu machen. Die EM 1980 in Italien und die WM 1982 in Spanien hatte ich mir als Ziele gesetzt, vor allem nach der miesen WM 1978 in Argentinien (das DFB-Team scheiterte in der Zwischenrunde unter anderem an Österreich, d.Red.). Ohne den Autounfall hätte ich das auch gepackt.
Sie waren für viele nachfolgende Generationen weltweit das Torhüter-Vorbild. Wer war Ihr Vorbild?
Zunächst, als ich 1958 zu Bayern kam, Lew Jaschin, der Sowjetrusse. In den Jahren 1955 und `56 habe ich ihn erstmals in Länderspielen gegen Deutschland gesehen – in unserem kleinen Kasten, dem Schwarz-Weiß-Fernseher, der bei uns zu Hause auf dem Küchenschrank stand.
Also waren die Maiers damals eine der wenigen Familien mit Fernseher.
Richtig, wir hatten das Gerät, weil mein Vater in München-Haar in einem Radiogeschäft gearbeitet hat. Der Fernseher hatte aber nur rund 20 Zentimeter Durchmesser. Das war uns jungen Burschen zu klein, also sind mein Bruder und ich zum Elektrogeschäft gesaust. Die hatten einen riesigen Fernseher im Schaufenster, die Lautsprecher nach draußen gerichtet. Vor allem bei Länderspielen war da eine riesige Menschentraube, wir haben uns immer mal zwischen den Beinen der Erwachsenen durchgedrückt und kurz geschaut. Denn eigentlich haben wir auf der Wiese nebenan selbst gespielt, die Szenen nachgestellt. Erst mit 14 wollte ich Torhüter werden, der Engländer Gordon Banks wurde mein neues Idol.
Spielen Sie hin und wieder noch Tennis? Den Tennispark, den Sie nach der Karriere in Anzing aufgemacht haben, betreiben Sie schon lange nicht mehr.
Nur noch selten, vielleicht einmal im Monat. Beim Tennis merke ich, dass ich wirklich alt geworden bin. Wenn ich eine Stunde spiele, habe ich danach drei Tage Muskelkater. Ich bin mit dem TC Hasenbergl viermal deutscher Tennis-Meister der Jungsenioren geworden, daher ärgere ich mich heute zu sehr über mein Spiel. Da gehe ich lieber auf den Golfplatz, da macht man zwar einige Kilometer, das geht aber nicht so auf die Knochen.
Zurück zu Ihrer Torwartkarriere: Welches war Ihr bestes Spiel?
Nicht unbedingt das Beste, aber das Wichtigste war die Wasserschlacht von Frankfurt, das Halbfinale bei der WM 1974 gegen Polen (1:0, d.Red.). Dazu die zweite Halbzeit des WM-Endspiels von München gegen die Holländer.
Und mit dem FC Bayern?
Europapokal der Pokalsieger, das Achtelfinal-Hinspiel 1971 beim FC Liverpool – ein 0:0. Die Engländer haben ab der Mittellinie jeden erdenklichen Ball reingeflankt, eine der Flanken habe ich ganz selbstverständlich außerhalb des Strafraums abgefangen – ohne das zu bemerken. Gab Gelb vom Schiedsrichter.
Welches Spiel war aus der Kategorie „Zum Vergessen“?
An die kann ich mich nicht mehr erinnern (lacht). Beim 0:7 gegen die Schalker 1976 im Olympiastadion hat mir Klaus Fischer vier Dinger reingehauen. Damals waren wir ein bisschen übermütig, weil wir längere Zeit zu Hause kein Spiel verloren hatten. Wir dachten, diese Schalker packen wir locker und – bumm, bumm, bumm hat’s gemacht – schon hieß es 0:7. Wir haben in der Zeit öfter mal sieben Stück kassiert. In Kaiserslautern, in Düsseldorf – da war immer Tag der offenen Tür. Ich konnte aber nie etwas dafür (lacht).