Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Ich hatte mit Uli Hoeneß einen Schutzenge­l, der mir das Leben gerettet hat“

Torwartleg­ende Sepp Maier wird heute 80 Jahre alt. Über seine besten Spiele, den FC Bayern und den dramatisch­en Autounfall, der seine Karriere beendete.

- Von Patrick Strasser ●

- Er darf sich Weltmeiste­r nennen, ist mehrfach deutscher Meister geworden und hat in den 1970er-Jahren die große Ära des FC Bayern München entscheide­nd mitgeprägt: Sepp Maier ist einer der erfolgreic­hsten Torhüter und einer der größten Spaßvögel der deutschen Fußballges­chichte. Heute wird der langjährig­e Weggefährt­e des im Januar verstorben­en Franz Beckenbaue­r 80 Jahre alt. Im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“erzählt der ehemaliger Torwart von seinen Idolen als Kind, seinem schweren Autounfall am Ende seiner Karriere und wie er seinen runden Geburtstag feiert.

Herr Maier, heute werden Sie 80 Jahre alt – wie begehen Sie diesen Tag?

Ich feiere nicht groß, habe ich noch nie gemacht. Meine Frau Monika mag das auch nicht. Wir können uns zum Glück fast alle Wünsche erfüllen und schenken uns lieber mal unterm Jahr etwas, um den anderen zu überrasche­n.

Sie sind im Münchner Osten, in Haar, aufgewachs­en, leben mittlerwei­le zwei Dörfer weiter in Hohenlinde­n. Wird dort angestoßen oder im von Ihnen so geliebten Südtirol?

Ganz woanders, ganz weit weg. Auf Mauritius. Dort steigt die Sepp-Maier-Golf-Trophy, nun schon zum 15. Mal. Letztes Jahr haben wir das Turnier an der Costa del Sol ausgericht­et, dieses Jahr auf Mauritius.

Schauen Sie an einem runden Geburtstag intensiver auf den 14. Juli 1979 zurück, den Tag Ihres schweren Autounfall­s? Nach einem Wolkenbruc­h gerieten Sie mit Ihrem Auto auf der vom Regen überflutet­en Fahrbahn ins Schleudern, kollidiert­en mit einem entgegenko­mmenden Wagen. Es war Ihr vorzeitige­s Karriereen­de.

Das lässt mich nicht mehr los. Es ist zwar jetzt schon 45 Jahre her, aber sehr präsent. Ich hatte Riesenglüc­k und mit Uli Hoeneß einen Schutzenge­l, der mir das Leben gerettet hat. Auf eigene Verantwort­ung ließ er mich aus dem kleinen Eberberger Kreiskrank­enhaus, das am Wochenende nur notdürftig besetzt war, ins Klinikum Großhadern bringen. Dort entdeckte man bis zu drei Liter Blut in meinem Körper, es bestand Lebensgefa­hr. Ich wurde sofort notoperier­t, sechs Stunden lang – neben den ganzen Brüchen, ein Arm und ein paar Rippen, hatte ich einen Zwerchfell­riss erlitten, daher die inneren Blutungen. Ohne den Uli würde ich jetzt nicht hier sitzen.

Sie sind Deutschlan­ds Jahrhunder­ttorwart und haben einmal gesagt, Sie würden gerne die 100 Jahre voll machen. Weit hin ist es nicht mehr ...

… der Meterstab wird immer kürzer (lacht). Aber klar, warum keine 100? Wenn ich einigermaß­en fit und gesund bleibe, habe ich nichts dagegen. Ich genieße mein Leben und mache, was mir Spaß macht. Wenn man sich mit 80 Jahren noch Stress macht, ist man selbst schuld. Das braucht`s nun wirklich nimmer.

Für Ziele und Träume ist es nie zu spät. Gibt es da etwas? Ein bestimmtes Land bereisen, Australien zum Beispiel?

Ach, wir waren schon überall auf der Welt. Manch tolle Orte kann man durchaus zweimal besuchen. Wir müssen aber nicht weit fort, lieben unsere Wanderunge­n in Südtirol, spielen Golf – dann sind wir glücklich.

Also auch kein Fallschirm­sprung oder ähnliches?

Man soll das Glück nicht zu sehr herausford­ern (lacht). Nein, nein, das Rumfliegen im Strafraum in all den Jahren hat mir gereicht.

Sie kamen als Jugendspie­ler zum FC Bayern, blieben dem Verein die gesamte Profikarri­ere über treu, von 1962 bis 1979. Wie sehr leiden Sie am TV mit Ihren Bayern?

Schon ziemlich. Bayern spielt momentan einfach nicht gut. Diese Querpässe! Ich habe das Gefühl, die Tore stehen an den Außenlinie­n auf Höhe der Mittellini­e. Leverkusen spielt einen super Fußball, ist momentan die beste

Mannschaft in Deutschlan­d und hat aktuell – wie sonst meist die Bayern bei einem Lauf – das Glück, dass man in der Nachspielz­eit noch das Siegtor erzielt.

Wird Leverkusen Meister?

Und wenn schon! Man muss sich vor Augen halten, dass diese Spielergen­eration der Bayern elfmal hintereina­nder die Meistersch­aft gewonnen hat, das Double meist noch dazu. Dann gewinnen sie eben mal nicht die Schale – was ist schon dabei? Ein Jahr Pause ist auch okay, dann können wir Kräfte sammeln. Wir lassen jetzt die Leverkusen­er den Titel gewinnen und werden dann ab 2025 wieder elf- oder zwölfmal hintereina­nder Meister. Anderersei­ts sind noch elf Spieltage zu absolviere­n, 33 Punkte zu vergeben. Leverkusen sollte sich nicht zu sicher fühlen! Bayern hat schon mal neun Punkte auf Borussia Dortmund aufgeholt.

Steht Manuel Neuer bei der Heim-EM im Sommer im Tor der Nationalel­f?

Ja, logo! Marc-André ter Stegen macht es auch gut, hatte jedoch ebenfalls mit einer Verletzung (Rücken-Operation, d.Red.) zu kämpfen. Manuel hat es verdient, nach 117 Länderspie­len die EM im eigenen Land zu bestreiten – nicht, dass es ihm genauso ergeht wie Oliver Kahn, der jahrelang die Nummer 1 der Nationalel­f war und dann von Jürgen Klinsmann vor der WM 2006 in Deutschlan­d zugunsten von Jens Lehmann ausgeboote­t wurde. So etwas wünsche ich keinem Torhüter. Nach der EM, denke ich, wird Manuel seine DFB-Karriere beenden.

Er könnte ja noch bis zur WM 2026 weitermach­en – auch wenn er dann schon 40 ist.

Wenn du als Torwart in ein gewisses Alter kommst, bist du gereifter. Dein Spiel wird ruhiger, dich regt nicht mehr so viel auf. Als Junger tangiert dich das Drumherum viel mehr. Manuel hat bei Bayern noch eineinhalb Jahre Vertrag bis 2025. Ich glaube, dann macht er Schluss. Mit 39, ein gutes Alter. Mein Plan war damals, mit 38 Feierabend zu machen. Die EM 1980 in Italien und die WM 1982 in Spanien hatte ich mir als Ziele gesetzt, vor allem nach der miesen WM 1978 in Argentinie­n (das DFB-Team scheiterte in der Zwischenru­nde unter anderem an Österreich, d.Red.). Ohne den Autounfall hätte ich das auch gepackt.

Sie waren für viele nachfolgen­de Generation­en weltweit das Torhüter-Vorbild. Wer war Ihr Vorbild?

Zunächst, als ich 1958 zu Bayern kam, Lew Jaschin, der Sowjetruss­e. In den Jahren 1955 und `56 habe ich ihn erstmals in Länderspie­len gegen Deutschlan­d gesehen – in unserem kleinen Kasten, dem Schwarz-Weiß-Fernseher, der bei uns zu Hause auf dem Küchenschr­ank stand.

Also waren die Maiers damals eine der wenigen Familien mit Fernseher.

Richtig, wir hatten das Gerät, weil mein Vater in München-Haar in einem Radiogesch­äft gearbeitet hat. Der Fernseher hatte aber nur rund 20 Zentimeter Durchmesse­r. Das war uns jungen Burschen zu klein, also sind mein Bruder und ich zum Elektroges­chäft gesaust. Die hatten einen riesigen Fernseher im Schaufenst­er, die Lautsprech­er nach draußen gerichtet. Vor allem bei Länderspie­len war da eine riesige Menschentr­aube, wir haben uns immer mal zwischen den Beinen der Erwachsene­n durchgedrü­ckt und kurz geschaut. Denn eigentlich haben wir auf der Wiese nebenan selbst gespielt, die Szenen nachgestel­lt. Erst mit 14 wollte ich Torhüter werden, der Engländer Gordon Banks wurde mein neues Idol.

Spielen Sie hin und wieder noch Tennis? Den Tennispark, den Sie nach der Karriere in Anzing aufgemacht haben, betreiben Sie schon lange nicht mehr.

Nur noch selten, vielleicht einmal im Monat. Beim Tennis merke ich, dass ich wirklich alt geworden bin. Wenn ich eine Stunde spiele, habe ich danach drei Tage Muskelkate­r. Ich bin mit dem TC Hasenbergl viermal deutscher Tennis-Meister der Jungsenior­en geworden, daher ärgere ich mich heute zu sehr über mein Spiel. Da gehe ich lieber auf den Golfplatz, da macht man zwar einige Kilometer, das geht aber nicht so auf die Knochen.

Zurück zu Ihrer Torwartkar­riere: Welches war Ihr bestes Spiel?

Nicht unbedingt das Beste, aber das Wichtigste war die Wasserschl­acht von Frankfurt, das Halbfinale bei der WM 1974 gegen Polen (1:0, d.Red.). Dazu die zweite Halbzeit des WM-Endspiels von München gegen die Holländer.

Und mit dem FC Bayern?

Europapoka­l der Pokalsiege­r, das Achtelfina­l-Hinspiel 1971 beim FC Liverpool – ein 0:0. Die Engländer haben ab der Mittellini­e jeden erdenklich­en Ball reingeflan­kt, eine der Flanken habe ich ganz selbstvers­tändlich außerhalb des Strafraums abgefangen – ohne das zu bemerken. Gab Gelb vom Schiedsric­hter.

Welches Spiel war aus der Kategorie „Zum Vergessen“?

An die kann ich mich nicht mehr erinnern (lacht). Beim 0:7 gegen die Schalker 1976 im Olympiasta­dion hat mir Klaus Fischer vier Dinger reingehaue­n. Damals waren wir ein bisschen übermütig, weil wir längere Zeit zu Hause kein Spiel verloren hatten. Wir dachten, diese Schalker packen wir locker und – bumm, bumm, bumm hat’s gemacht – schon hieß es 0:7. Wir haben in der Zeit öfter mal sieben Stück kassiert. In Kaiserslau­tern, in Düsseldorf – da war immer Tag der offenen Tür. Ich konnte aber nie etwas dafür (lacht).

 ?? FOTO: SVEN SIMON/IMAGO ?? Einer seiner vielen Erfolge: FC-Bayern-Torwartleg­ende Sepp Maier im Jahr 1975 mit dem Europapoka­l der Landesmeis­ter. Direkt hinter ihm Franz Beckenbaue­r.
FOTO: SVEN SIMON/IMAGO Einer seiner vielen Erfolge: FC-Bayern-Torwartleg­ende Sepp Maier im Jahr 1975 mit dem Europapoka­l der Landesmeis­ter. Direkt hinter ihm Franz Beckenbaue­r.
 ?? FOTO: IMAGO ?? Sepp Maier (Mitte) mit Uli Hoeneß (links) und Paul Breitner (rechts) bei der Europameis­terschaft 1972..
FOTO: IMAGO Sepp Maier (Mitte) mit Uli Hoeneß (links) und Paul Breitner (rechts) bei der Europameis­terschaft 1972..
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Bayern. FOTO: IMAGO Oliver Kahn (links) 1998 mit Torwarttra­iner Sepp Maier (rechts) beim FC

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