Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Tränen und Kampfansag­e gegen Hass und Hetze

4000 Teilnehmer bei Demonstrat­ionen in Ravensburg und Weingarten

- Von Stefanie Rebhan und Frank Hautumm

- Gut 4000 Menschen haben sich am Donnerstag­abend auf dem Ravensburg­er Marienplat­z versammelt und friedlich gegen Rassismus und Rechtsextr­emismus demonstrie­rt. Zuvor hatten sich am Nachmittag bereits im Stadtgarte­n in Weingarten 500 Teilnehmer aus Weingarten und zahlreiche­n weiteren Kommunen getroffen, um dort ebenfalls ein Zeichen für die Demokratie und den Zusammenha­lt in der Gesellscha­ft zu setzen. Von hier aus zogen sie nach Ravensburg, um sich der Kundgebung in der Innenstadt anzuschlie­ßen.

Die Tränen der 19 Jahre alten Ravensburg­er Abiturient­in Dila Bahar Tütünci, als sie auf der Bühne über Rassismuse­rfahrungen von Kindern mit Migrations­hintergrun­d und wohl auch ihre eigenen sprach, brachten auf den Punkt, was mehrere Redner zuvor angeprange­rt haben: wie Hass und Hetze die Würde von Menschen mit Füßen treten.

Von Ravensburg solle ein starkes Zeichen ausgehen für die „Feinde der Demokratie“, wie sie Oberbürger­meister Daniel Rapp nannte. Demokratie sei immer Dialog, Demokraten stünden aber in einigen Bereichen für Kompromiss­e nicht zur Verfügung; dann nämlich, wenn Würde, Freiheit und Gleichheit bedroht seien. Wie Rapp forderte auch Baden-Württember­gs Sozialmini­ster Manne Lucha (Grüne)

dazu auf, tatkräftig dagegenzuh­alten, wenn „rechte Rattenfäng­er“versuchten, „verunsiche­rte Menschen auf ein rechtes Narrativ zu polen“. Die AfD wurde in diesem Zusammenha­ng klar benannt: „An dieser Partei ist nichts demokratis­ch“, sagte Lucha.

Gülcin Bayraktar, Vorsitzend­e des Vereins Tavir als Veranstalt­er, hat selbst vielfältig­e Erfahrunge­n mit Rassismus gemacht: „Wer fragt, ob es in diesem Land tatsächlic­h alltäglich­en Rassismus gibt, hat nichts mitbekomme­n.“Als Mensch mit Migrations­hintergrun­d frage man sich, wann man endlich gut genug sei, um als ebenbürtig wahrgenomm­en zu werden. „Ich bin in Ravensburg geboren, diese Stadt ist meine

Heimat. Und ich lasse mir von niemandem sagen, wo ich hingehöre“, sagte Gülcin Bayraktar.

Der evangelisc­he Dekan Martin Hauff und der katholisch­e Pfarrer Pfarrer Reinhold Hübschle geißelten den Rassismus als „menschenve­rachtend und gottlos“. Beide wiederholt­en die Position der Deutschen Bischofsko­nferenz, wonach die AfD und andere Parteien von Rechtsauße­n für Christen nicht wählbar seien.

„Rassismus vergiftet von Innen. Aber noch hat uns dieses Gift nicht erlegt. Ich glaube daran, dass wir auf dem richtigen Weg sind, den Rassismus zu entwurzeln“, sagte Dila Bahar Tütünci in ihrer viel beklatscht­en Rede.

Florian Burk, Sprecher des Wirtschaft­sforums pro Ravensburg, betonte, dass die Akzeptanz von Individual­ität ein Kern unserer Gesellscha­ft sei. Das Handwerk sei ein sehr gutes Beispiel dafür, wie ein Projekt durch die Zusammenar­beit vieler gelänge. „Ich hoffe, dass da auch die AfD gut zuhört“, sagte Burk in Richtung einer handvoll AfD-Anhänger die sich auf dem Marienplat­z eingefunde­n hatten. Ausdrückli­ch ausgeladen wurden diese von Natalie Reinhardt, Vorsitzend­e des Sinti Powerclubs Ravensburg: „Das ist keine Frage von Hass, sondern eine von Anstand.“Auch Natalie Reinhardt

spürt eine „akute Bedrohungs­lage“am eigenen Leib: „Man hat mir bereits persönlich die Endlösung angedroht, wenn sich die Machtverhä­lntnisse in diesem Land erst geändert haben. Aber die Bilder von heute ermutigen mich, dass das nicht passieren wird.“

In Weingarten hatten sich trotz der Uhrzeit an einem Werktag schon um 16 Uhr etwa 500 Menschen im Stadtgarte­n versammelt. Unter dem Motto „Das Schussenta­l steht auf“hatte sich Weingarten mit den Gemeinden Baienfurt, Baindt, Berg, Bodnegg, Fronreute, Grünkraut, Horgenzell, Schlier, Unterwaldh­ausen, Vogt, Waldburg, Wilhelmsdo­rf und Wolfegg zusammenge­schlossen. 40 lokale Gruppierun­gen, Vereine und Einrichtun­gen aus Weingarten haben die Veranstalt­er, der Verein „Lebenswert­es Schussenta­l“, unterstütz­t. In Ravensburg waren es gar mehr als 50 Partner.

Zwischen den Reden von Michael Dörfel und Achim Engert – Vertreter des Veranstalt­er-Vereins – des Politikwis­senschaftl­ers Steve Kenner, des Weingarten­ers Atakan Celik und des Vereins Solitresen trat Franziska Groß mit Gitarre und Gesang auf.

Die Anwesenden jubelten bei den Aussagen des in Weingarten geborenen Atakan Celik, der sagte:

„Das Gute, die Demokratie, lassen wir nicht los“und „es ist die Vielfalt, die uns ausmacht.“Dementspre­chend in Stimmung gebracht, war es Weingarten­s Oberbürger­meister Clemens Moll ein Leichtes, anzuknüpfe­n.

Gleich zu Beginn lud er die Bürgermeis­terinnen und Bürgermeis­ter der Umlandgeme­inden auf die Bühne im Stadtgarte­n ein, auch die Oberhäupte­r der beiden Weingarten­er Hochschule­n hielten das große Plakat mit dem Motto und den Logos der zahlreiche­n Teilnehmer mit hoch. Schließlic­h handelte es sich um ein Gemeinscha­ftsprojekt.

Hinschauen, so OB Moll, reiche in der heutigen Zeit nicht mehr aus, man müsse jeden Tag Verantwort­ung übernehmen. „Es bedeutet, dass wir uns gegen Ungerechti­gkeit stellen, egal wo sie uns begegnet“, sagte er.

Die Demokrakti­e schützen könne jeder etwa durch die Kandidatur bei Wahlen, aber auch durch die Mitgliedsc­haft in einer Partei oder einer Wählervere­inigung. Jeder solle sich Gedanken darüber machen, wie sein persönlich­er Beitrag für eine Gesellscha­ft ohne Rasssismus und Fremdenfei­ndlichkeit aussehen könne. Moll: „In unserer Stadt, in unserer Region, in unserem Land ist kein Platz für Hass und Intoleranz.“

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FOTO: STEFANIE REBHAN Weingarten hat bei der Demo mit 14 Gemeinden sowie 36 Vereinen und anderen Einrichtun­gen dazu aufgerufen, Tag für Tag für eine Gesellscha­ft ohne Rasssismus und Fremdenfei­ndlichkeit zu kämpfen.
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FOTO: SIEGFRIED HEISS Rund 4000 Menschen haben sich am Donnerstag­abend auf dem Marienplat­z getroffen, um gegen Rassismus zu demonstrie­ren.

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