Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Tränen und Kampfansage gegen Hass und Hetze
4000 Teilnehmer bei Demonstrationen in Ravensburg und Weingarten
- Gut 4000 Menschen haben sich am Donnerstagabend auf dem Ravensburger Marienplatz versammelt und friedlich gegen Rassismus und Rechtsextremismus demonstriert. Zuvor hatten sich am Nachmittag bereits im Stadtgarten in Weingarten 500 Teilnehmer aus Weingarten und zahlreichen weiteren Kommunen getroffen, um dort ebenfalls ein Zeichen für die Demokratie und den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu setzen. Von hier aus zogen sie nach Ravensburg, um sich der Kundgebung in der Innenstadt anzuschließen.
Die Tränen der 19 Jahre alten Ravensburger Abiturientin Dila Bahar Tütünci, als sie auf der Bühne über Rassismuserfahrungen von Kindern mit Migrationshintergrund und wohl auch ihre eigenen sprach, brachten auf den Punkt, was mehrere Redner zuvor angeprangert haben: wie Hass und Hetze die Würde von Menschen mit Füßen treten.
Von Ravensburg solle ein starkes Zeichen ausgehen für die „Feinde der Demokratie“, wie sie Oberbürgermeister Daniel Rapp nannte. Demokratie sei immer Dialog, Demokraten stünden aber in einigen Bereichen für Kompromisse nicht zur Verfügung; dann nämlich, wenn Würde, Freiheit und Gleichheit bedroht seien. Wie Rapp forderte auch Baden-Württembergs Sozialminister Manne Lucha (Grüne)
dazu auf, tatkräftig dagegenzuhalten, wenn „rechte Rattenfänger“versuchten, „verunsicherte Menschen auf ein rechtes Narrativ zu polen“. Die AfD wurde in diesem Zusammenhang klar benannt: „An dieser Partei ist nichts demokratisch“, sagte Lucha.
Gülcin Bayraktar, Vorsitzende des Vereins Tavir als Veranstalter, hat selbst vielfältige Erfahrungen mit Rassismus gemacht: „Wer fragt, ob es in diesem Land tatsächlich alltäglichen Rassismus gibt, hat nichts mitbekommen.“Als Mensch mit Migrationshintergrund frage man sich, wann man endlich gut genug sei, um als ebenbürtig wahrgenommen zu werden. „Ich bin in Ravensburg geboren, diese Stadt ist meine
Heimat. Und ich lasse mir von niemandem sagen, wo ich hingehöre“, sagte Gülcin Bayraktar.
Der evangelische Dekan Martin Hauff und der katholische Pfarrer Pfarrer Reinhold Hübschle geißelten den Rassismus als „menschenverachtend und gottlos“. Beide wiederholten die Position der Deutschen Bischofskonferenz, wonach die AfD und andere Parteien von Rechtsaußen für Christen nicht wählbar seien.
„Rassismus vergiftet von Innen. Aber noch hat uns dieses Gift nicht erlegt. Ich glaube daran, dass wir auf dem richtigen Weg sind, den Rassismus zu entwurzeln“, sagte Dila Bahar Tütünci in ihrer viel beklatschten Rede.
Florian Burk, Sprecher des Wirtschaftsforums pro Ravensburg, betonte, dass die Akzeptanz von Individualität ein Kern unserer Gesellschaft sei. Das Handwerk sei ein sehr gutes Beispiel dafür, wie ein Projekt durch die Zusammenarbeit vieler gelänge. „Ich hoffe, dass da auch die AfD gut zuhört“, sagte Burk in Richtung einer handvoll AfD-Anhänger die sich auf dem Marienplatz eingefunden hatten. Ausdrücklich ausgeladen wurden diese von Natalie Reinhardt, Vorsitzende des Sinti Powerclubs Ravensburg: „Das ist keine Frage von Hass, sondern eine von Anstand.“Auch Natalie Reinhardt
spürt eine „akute Bedrohungslage“am eigenen Leib: „Man hat mir bereits persönlich die Endlösung angedroht, wenn sich die Machtverhälntnisse in diesem Land erst geändert haben. Aber die Bilder von heute ermutigen mich, dass das nicht passieren wird.“
In Weingarten hatten sich trotz der Uhrzeit an einem Werktag schon um 16 Uhr etwa 500 Menschen im Stadtgarten versammelt. Unter dem Motto „Das Schussental steht auf“hatte sich Weingarten mit den Gemeinden Baienfurt, Baindt, Berg, Bodnegg, Fronreute, Grünkraut, Horgenzell, Schlier, Unterwaldhausen, Vogt, Waldburg, Wilhelmsdorf und Wolfegg zusammengeschlossen. 40 lokale Gruppierungen, Vereine und Einrichtungen aus Weingarten haben die Veranstalter, der Verein „Lebenswertes Schussental“, unterstützt. In Ravensburg waren es gar mehr als 50 Partner.
Zwischen den Reden von Michael Dörfel und Achim Engert – Vertreter des Veranstalter-Vereins – des Politikwissenschaftlers Steve Kenner, des Weingarteners Atakan Celik und des Vereins Solitresen trat Franziska Groß mit Gitarre und Gesang auf.
Die Anwesenden jubelten bei den Aussagen des in Weingarten geborenen Atakan Celik, der sagte:
„Das Gute, die Demokratie, lassen wir nicht los“und „es ist die Vielfalt, die uns ausmacht.“Dementsprechend in Stimmung gebracht, war es Weingartens Oberbürgermeister Clemens Moll ein Leichtes, anzuknüpfen.
Gleich zu Beginn lud er die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der Umlandgemeinden auf die Bühne im Stadtgarten ein, auch die Oberhäupter der beiden Weingartener Hochschulen hielten das große Plakat mit dem Motto und den Logos der zahlreichen Teilnehmer mit hoch. Schließlich handelte es sich um ein Gemeinschaftsprojekt.
Hinschauen, so OB Moll, reiche in der heutigen Zeit nicht mehr aus, man müsse jeden Tag Verantwortung übernehmen. „Es bedeutet, dass wir uns gegen Ungerechtigkeit stellen, egal wo sie uns begegnet“, sagte er.
Die Demokraktie schützen könne jeder etwa durch die Kandidatur bei Wahlen, aber auch durch die Mitgliedschaft in einer Partei oder einer Wählervereinigung. Jeder solle sich Gedanken darüber machen, wie sein persönlicher Beitrag für eine Gesellschaft ohne Rasssismus und Fremdenfeindlichkeit aussehen könne. Moll: „In unserer Stadt, in unserer Region, in unserem Land ist kein Platz für Hass und Intoleranz.“