Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ein Topf im Schaufenster reicht nicht
Ravensburger Traditionsunternehmen hat sich in 150 Jahren immer wieder neu erfunden
- Beim Namen Thommel denken viele an Töpfe, Pfannen oder Grills. Das passt. Allerdings nur zum Teil. Denn sein Geld verdient das Familienunternehmen, das dieses Jahr 150. Geburtstag feiert, vor allem damit, dass es Handwerk und Industrie mit Bohrmaschinen, Beschlägen, Schrauben oder Schleifmitteln versorgt. Trotzdem spielt die Ravensburger Innenstadt nach wie vor eine wichtige Rolle für die Zukunftsplanung des Traditionsbetriebs.
„Die Firma war immer da“, sagt Marcus Thommel rückblickend. Seit er denken kann, hat sie sein Leben geprägt. So brachte sein Vater Klaus etwa alle möglichen Themen von der Arbeit mit nach Hause. Mal hatte ein Mitarbeiter gekündigt, mal wollte einer mehr Geld, ein anderes Mal hat einer geklaut. „Das wurde dann am Mittagstisch besprochen“, erinnert sich der heute 57Jährige. Und so wächst er nahezu automatisch hinein in die Welt der Eisenwaren und des Hausrats. Nach dem BWL-Studium übernimmt er 1995 gemeinsam mit seinem Bruder Patrick den Betrieb.
Die beiden sind jung, mutig und tatendurstig, reißen alte Hallen ab, machen in Ostdeutschland einen neuen Standort auf und übernehmen einen Konkurrenten aus Friedrichshafen. Bis es zu viel des Guten ist und zurückgerudert wird. Um die Firma zu konsolidieren, nachdem Vater und Bruder ausgestiegen sind, holt sich Marcus Thommel 2003 mit Markus Sprenger einen CoGeschäftsführer, der eine Menge praktische Erfahrung mitbringt und gern wieder nach Ravensburg zurückkehrt.
Heute hat sich das, wo Thommel draufsteht, gründlich verändert – der technische Großhandel und der Einzelhandel sind zwei eigenständige Firmen, die zusammen die Thommel-Gruppe bilden. Angefangen hatte alles mit dem Eisenwarengeschäft, das August Thommel 1874 in der Marktstraße 1 gründete. Inzwischen ist dort nach dem Auszug des Drogeriemarktes Müller die Modekette Marc O’Polo drin.
Als der Firmengründer im Ersten Weltkrieg kämpfte, schmiss seine Frau Käthe den Laden und
baute den Hausratszweig aus. Seinerzeit wurde das Eisen in fünf, über die Innenstadt verteilten Gebäuden gelagert. Thommel handelte damals auch mit Stahl und lieferte diesen beispielsweise für den Bau der Marienplatztiefgarage.
Irgendwann Ende des vergangenen Jahrhunderts steht dann die Überlegung im Raum, den Hausrat aus dem Portfolio zu werfen. Am Ende behält man ihn – 1999 wird er allerdings an den Stadtrand verlegt. Ein Experiment mit ungewissem Ausgang, erinnert sich Marcus Thommel. Doch der Umzug von der Marktin die Bleicherstraße funktioniert, die (Stamm-)Kunden bleiben dem Laden treu und kaufen dort bis heute qualitativ hochwertige Küchenutensilien. 2017 kommt mit August Thommel am
Holzmarkt ein zweites, noch exklusiveres Hausrats-Geschäft am Marienplatz 75 dazu. Außerdem betreibt Thommel seit 2012 den 800 Quadratmeter großen BBQ24-Shop in der Wangener Straße.
Insbesondere während der Corona-Zeit laufen alle drei Geschäfte bestens: „Die Leute haben viel in Garten, Grills und ihr Zuhause investiert“, sagt Thommel. Zufrieden ist er immer noch, obschon man die inf lationsbedingte Kaufzurückhaltung spüre. Trotzdem: Nicht zuletzt durch die vielen Kunden aus der Schweiz sei nach wie vor viel Kauf kraft in der Stadt da, ergänzt Markus Sprenger. Selbst junge Leute ab 30 bestellen nicht ausschließlich im Netz, sondern kaufen durchaus auch stationär, weiß Thommel. Allerdings reiche es nicht, „einen
Topf ins Schaufenster zu stellen und zu hoffen, dass jemand kommt – Du musst was bieten“. Der 57-Jährige setzt auf persönlichen Kontakt, Beratungsqualität und Service in den Thommel-Einzelhandelsgeschäften. Sei der Kunde mit einem Topf etwa nicht zufrieden, könne man den auch dann noch zurückbringen, wenn man schon mal Gulasch drin gekocht habe, so Thommel.
Obschon ein Drittel der 120 Mitarbeiter im Einzelhandel tätig ist, macht die Thommel-Gruppe Dreiviertel ihres Umsatzes von jährlich rund 20 Millionen Euro mit dem Geschäftszweig Großhandel für Industrie- und Handwerkerbedarf. Der wird 2003 gegründet und zieht gegenüber vom Bausch in einen Neubau in der Bleicherstraße. In dem Gebäude bekommen zwar auch Privatkunden Tresore oder Schließanlagen, und den guten alten Schlüsseldienst gibt’s dort ebenfalls noch.
Vor allem aber wird hier Industriebedarf von Arbeitsschränken und Akkuschraubern bis zu Bohrhammern und Beschlägen gelagert – eben alles, was Unternehmen wie Hymer, ZF & Co. brauchen, damit die Produktion reibungslos läuft. Thommel kümmert sich drum, dass all diese sogenannten C-Artikel ausgeliefert und die Regale und Automaten der Kunden in einem Radius von gut 100 Kilometern stets gut gefüllt sind.
Hat dieses Geschäftsmodell Zukunft? Ja, sind Sprenger und Thommel überzeugt: „Schrauben und Arbeitsklamotten braucht man immer.“Darum stehen auch bereits zwei ihrer Söhne in den Startlöchern, um in die Firma einzusteigen. Klar ist laut Thommel freilich auch: „Wir müssen viel dafür tun, damit es weitergeht.“So wird dieses Jahr etwa im sechsstelligen Euro-Bereich in IT investiert. Mit Künstlicher Intelligenz experimentiert man ebenfalls.
Trotzdem brauche man auch künftig gute Mitarbeiter. Von denen gibt es nach zweijähriger Ebbe auf dem Markt jetzt wieder mehr – was Thommel nicht zuletzt auf die Delle in der Bauwirtschaft zurückführt. Markus Sprenger fügt hinzu: Er sei froh, dass er nicht nur mit seinen Mitarbeitern, sondern auch mit den Kunden schwäbisch schwätzen kann.