Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Demonstranten buhen Strack-Zimmermann aus
FDP-Kundgebung auf dem Marienplatz wird von linken und rechten Protestlern gestört
- Sie grölen, buhen und beschimpfen FDP-Politiker als „Kriegstreiber“. Mehrere politische Gruppierungen vom linken und vom rechten Rand stören am Dienstagabend massiv eine Kundgebung der Ravensburger Liberalen vor dem Lederhaus auf dem Marienplatz. Erwartet wird Politprominenz aus Berlin: Die Spitzenkandidatin der FDP zur Europawahl am 9. Juni, MarieAgnes Strack-Zimmermann, will der Ravensburger FDP-Kandidatin Anja Widenmann in ihrem Wahlkampf den Rücken stärken. Doch die Freien Demokraten im Publikum sind deutlich in der Unterzahl: ein paar Kreis- und Stadträte wie Roland Dieterich oder Markus Waidmann, ein paar jüngere Mitglieder, vielleicht zwei Dutzend Unterstützer insgesamt. Unter 300 Menschen.
Man fühlt sich an die Kundgebungen der selbst ernannten „Querdenker“in der Corona-Zeit erinnert. Selbst den jüngeren Demonstranten von „Jugendkämpft“, einer antifaschistischen Organisation aus dem linken Spektrum, die eine Stunde vor dem Auftritt Strack-Zimmermanns eine eigene Friedensdemo gegen die Rüstungsindustrie neben dem Rathaus angemeldet hatten, scheinen die Mitstreiter gegen die FDP so unheimlich, dass sie nicht mit ihnen in einen Topf geworfen werden wollen. „Die gehören nicht zu uns, das sind AfD- und Basis-Leute“, sagt Organisator Tim der „Schwäbischen Zeitung“und zeigt auf eine deutlich größere Gruppe vor dem Waaghaus mit einigen bekannten Gesichtern aus der Szene. Seinen vollen Namen will der 19-Jährige nicht nennen.
Er und seine Mitstreiter haben zuvor neben dem Rathaus Transparente entspannt, auf denen Sprüche wie „Deutsche Waffen, deutsches Geld – morden mit in aller Welt“oder „An den Waffen verdienen die Reichen. Die Armen liefern die Leichen!“zu lesen sind, außerdem Solidaritätsbekundungen mit den Palästinensern im Gazastreifen. „Strack-Zimmermann kommt nach Ravensburg, um ihre hetzerischen und kriegsverherrlichenden Sprüche zu klopfen“, begründet Tim die Gegendemo. Dass diese später von „Querdenkern“gekapert werden soll, kann er zu dem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Seine Organisation habe im Kreis Ravensburg und im Bodenseekreis etwa 20 Mitglieder, überwiegend Jugendliche und junge Erwachsene.
Auf dem Marienplatz haben sich aber insgesamt schätzungsweise 300 Menschen versammelt.
Die Polizei ist mit einem größeren Aufgebot uniformierter und auch Zivilbeamter vor Ort, und das ist auch gut so – man denke nur an den politischen Aschermittwoch der Grünen in Biberach, als eine aufgehetzte Menge die Veranstaltung ganz verhindert hat.
Doch auch in Ravensburg ist die Stimmung zunehmend aufgeheizt. Als mit Marlon Knitz vom Kreisverband und Hans-Peter Locher vom Ortsverband erste FDPFunktionäre nacheinander die kleine Bühne betreten, schwillt die Kakofonie aus Buhrufen an.
Locher versucht, kommunalpolitische Themen wie bezahlbaren Wohnraum anzusprechen, kommt aber gegen die große Menge aus Demonstranten, die teilweise bis aus Bayern angereist sind, kaum an. Seine Rede dauert nur wenige Minuten.
Auch Anja Widenmann, die erst 25-jährige Europakandidatin aus Schlier bei Ravensburg, wird von der Masse niedergebrüllt, als sie über die ihrer Meinung nach dringend nötige Entbürokratisierung in der EU sprechen will. „Ich finde es süß, dass hier die AfD schon mit der Linkspartei in einer Ecke kämpft“, ruft sie den Demonstranten zu. Die Mehrheit der Protestler dürfte jedoch aus dem Lager der „Basis“stammen,
denn es sind nach Einschätzung eines erfahrenen Polizisten großteils die gleichen Teilnehmer wie auf den „Querdenker“-Demos während der Corona-Pandemie.
Nach Widenmann folgt Hauptrednerin Marie-Agnes StrackZimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag und eine der vehementesten Verfechterinnen für Waffenlieferungen in die Ukraine, was sie für beide Demonstrantengruppen gleichermaßen zum Haupt-Hassobjekt des Abends macht. Einige Vertreter der antikapitalistischen Jugendgruppe haben sich mittlerweile links der Bühne mit einem Transparent aufgestellt und brüllen lauthals ihre Parolen, sie werden von einer Gruppe Polizisten jedoch locker umzingelt, damit sie nicht näher kommen können.
Die FDP-Politikerin wendet sich gleich an die Menge vor ihr und spricht gezielt einen Mann aus dem Kreis Lindau an, der eine Deutschlandfahne und eine weiße Flagge trägt sowie eine Kuhglocke, mit der er seine „Kriegstreiber!“-Rufe musikalisch untermalt. „Sei froh, dass du nicht in Moskau bist. Du wärst schneller im Knast, als du gucken könntest. Weil du naiv bist, weil du gar nichts mehr auf die Kette bekommst.“Und später: „Wenn ihr wirkliche Demokraten wärt, dann würdet ihr zuhören, und dann würden wir diskutieren.“
Nach der kurzen Kundgebung versucht der Angesprochene, der nach eigenen Worten schon beim Politischen Mittwoch der Grünen in Biberach protestiert hat, tatsächlich, mit der Politikerin zu reden, wird aber nach seiner Performance nicht vorgelassen. Immerhin wird er im Gespräch mit der SZ-Redakteurin seine Sorgen los. „Ich bin dagegen, wenn ins Feuer noch Benzin gegossen wird. Und ich will nicht, dass mein 25-jähriger Sohn in den Krieg ziehen muss. Dabei war ich selber bei der Bundeswehr“, begründet er seine Anti-Kriegs-Haltung. Dass StrackZimmermann nicht mit ihm persönlich sprechen will, kann er trotz seines heftigen Auftretens während ihrer Rede nicht verstehen. „Ich habe die Kuhglocke doch gar nicht oft eingesetzt“, behauptet er. Aber immerhin zollt er ihr „Respekt, dass sie die Rede durchgezogen hat“.
Am Ende der Veranstaltung werden drei jüngere Teilnehmer von „Jugendkämpft“von der Polizei kurzzeitig festgesetzt, weil sie Kleber dabei haben und es laut Polizeisprecherin Daniela Baier für die Beamten den Anschein gehabt habe, sie wollten sich festkleben. Sie bekommen einen Platzverweis erteilt.
Die junge FDP-Europa-Kandidatin Widenmann wirkt nach der Veranstaltung den Tränen nahe. „Es tut mir so leid“, sagt sie zu Strack-Zimmermann. Doch die tröstet sie und baut sie auf: „Tief durchatmen. Ganz tief durchatmen.“Und zur „Schwäbischen Zeitung“sagt sie, so eine aggressive Stimmung wie in Ravensburg habe sie noch nicht oft erlebt, auch wenn sie häuf ig angefeindet werde. „Das Schlimmste ist: Es ist meine Generation, die da steht und es eigentlich besser wissen müsste. Weil sie noch eine gewisse Schulbildung genossen hat.“