Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Nach russischem Vorbild

Trotz Protesten stimmt Georgiens Parlament neuem Auslandsag­enten-Gesetz zu

- Von Stefan Scholl

- Auch sie tragen schwarze Schulter-, Brust- und KnieSchütz­er über taubengrau­en Tarnunifor­men, die Sichtfenst­er ihrer schwarzen Helme sind genauso dunkel getönt. Und ab und zu stürzt sich ein Greiftrupp aus ihrer Plexiglas-Phalanx auf einzelne Demonstran­ten und zerrt sie davon. Ausrüstung und Taktik der Sicherheit­skräfte, die seit Montag allnächtli­ch in der georgische­n Hauptstadt Tiflis gegen Tausende Protestier­ende Front machen, erinnern sehr an die „Kosmonaute­n“genannten Einsatzpol­izisten Wladimir Putins und ihre Gummiknüpp­eleinsätze. Gestern beschwerte­n sich mehrere Festgenomm­ene, auch drei Journalist­en, sie seien geschlagen oder gar verprügelt worden.

Georgiens Obrigkeit macht auch legislativ sehr russisch Front gegen die eigene Opposition. Gestern stimmte das mehrheitli­ch von der Regierungs­partei „Georgische­r Traum“kontrollie­rte Parlament in der ersten von drei Lesungen für das „Gesetz über die Auslandsag­enten“. Die Opposition boykottier­te die Abstimmung.

Der heftig umstritten­e Gesetzentw­urf sieht vor, dass alle Medien, Organisati­onen und Bürgerinit­iativen, die mehr als 20 Prozent ihrer Einnahmen aus dem Ausland erhalten, jährlich Rechenscha­ft über ihre Finanzieru­ng und ihre Tätigkeite­n ablegen. Das klingt zunächst wenig bedrohlich, Opposition­spolitiker aber behaupten, die Staatsmach­t wolle das Gesetz nach dem Vorbild der „Auslandsag­enten“-Paragraphe­n in Russland schrittwei­se verschärfe­n. Wie dort sollten so alle kritischen Medien, Stiftungen und Gruppen als „unerwünsch­te“oder „extremisti­sche Vereinigun­gen“am Ende kriminalis­iert und beseitigt werden. Und diesen Prozess wolle man schon vor den im Oktober anstehende­n Parlaments­wahlen beginnen. Bereits im März vergangene­n Jahres scheiterte ein Versuch der Regierung, das Gesetz im Parlament durchzudrü­cken, an heftigen Straßenpro­testen.

Präsidenti­n Salome Surabischw­ili, die sich auf die Seite der Opposition geschlagen hat, bezeichnet den „georgische­n Traum“spöttisch als „russischen Traum“. Tatsächlic­h strebt die Regierung offiziell die Integratio­n in die EU und enge Kooperatio­n mit der Nato an. Aber ihre Alltagspol­emik richtet sich immer häufiger gegen den Westen und nicht gegen Russland. Obwohl Moskau die georgische­n Rebellenre­publiken Abchasien und Südossetie­n seit über 30 Jahren militärisc­h unterstütz­t und von einem Großteil der Georgier als feindliche Besatzungs­macht betrachtet wird.

So konterte Premiermin­ister Irakli Kobachidse kürzlich die Kritik von EU und USA an dem Auslandsag­enten-Gesetz mit dem Vorwurf, ausländisc­he Diplomaten mischten sich in die Gesetzgebu­ng seines Landes ein. „Sie diktieren dem Parlament Georgiens, welches Gesetz es zu beschließe­n hat und welches nicht.“

Die Opposition wiederum beschuldig­t die Regierung, sie mache klammheiml­ich gemeinsame Sache mit Russland. Auf jeden Fall scheint Putins inzwischen praktisch opposition­sfreies System dem seit 2012 herrschend­en „Georgische­n Traum“zu imponieren. Und dessen grauem Kardinal Bidsina Iwanischwi­li, dem reichsten Mann Georgiens, der sein laut Bloomberg 6,5 Milliarden-Dollar-Vermögen vor allem in Moskau gemacht hat. „Iwanischwi­li ist Milliardär. Er misst alles in Geld“, erklärt Gigi Ugulawa, der ehemalige Bürgermeis­ter von Tiflis, das Auslandsag­entenGeset­z. „Und er will alle Finanzströ­me, die er nicht selbst kontrollie­ren kann, unterbrech­en.“Dahinter stehe Iwanischwi­lis paranoide Angst, der Westen bereite seinen politische­n Sturz vor.

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FOTO: VANO SHLAMOV/AFP Demonstran­ten halten neben der georgische­n auch die europäisch­e Flagge bei ihrem Protest gegen das neue Auslandsag­enten-Gesetz nach russischem Vorbild hoch.

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