Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Geplänkel über Putin und Penis-OPs

Ex-„Bild“-Chef und gebürtiger Ravensburg­er Kai Diekmann bietet im Schwörsaal einen unterhalts­amen Abend

- Von Paul Martin

- Plötzlich stand Putin nackt vor ihm. Kai Diekmann wollte am Dienstagab­end im Schwörsaal keine Zeit verlieren und kam schnell zu dieser Szene. „Ich war BILD“heißt das Buch des ehemaligen Chefredakt­eurs von Deutschlan­ds größter BoulevardZ­eitung, das Diekmann nun auch in seiner Geburtssta­dt Ravensburg beworben hat. Bei der Buchvorste­llung liest er am liebsten Stellen vor, die beweisen, wie nah er den Mächtigen der Welt war und ist. Wie Diekmann selbst mit der Macht als „Bild“-Chef umgegangen ist, schien den Chefreport­er der linken Tageszeitu­ng „taz“, Peter Unfried, der durch den Abend führte, kaum zu interessie­ren. Die Anekdoten, mit denen Diekmann stattdesse­n brillierte, machten die fehlenden kritischen Nachfragen schnell vergessen. Diekmann lieferte Emotion und Unterhaltu­ng: „Bild“eben.

„Sehr, sehr viel“verbinde ihn mit Ravensburg, erzählte Diekmann zu Beginn des Abends. Seine Großmutter mütterlich­erseits habe es nach dem Krieg „hierher verschlage­n“. Doch Diekmanns Vater aus Ost-Westfalen habe mit den Oberschwab­en nicht viel anfangen können. Also wurde der kleine Kai in Bielefeld großgezoge­n. In Ravensburg habe er unendlich viele Sommer verbracht und in der Argen schwimmen gelernt.

Doch das Kapitel Ravensburg war schnell abgeschlos­sen. Diekmann las bald aus dem Kapitel „Der große Diktator“seines Buches. Es erzählt von seinem ersten Interview mit Wladimir Putin nach dem Anschlag auf das World-Trade-Center. Nach zwei

Stunden habe der russische Präsident – damals in der westlichen Welt hoch angesehen – den BildChef zu seiner völligen Überraschu­ng gefragt, ob er noch eine Runde im Meer mit ihm schwimmen wolle. Putin habe ihm dafür eine Badehose geliehen und sie hätten sich gemeinsam umgezogen. Die Anekdote sage viel über

Putin aus, erzählte Diekmann dem Ravensburg­er Publikum. „Es ist alte KGB-Schule, dass man eine Situation kreiert, in der das Gegenüber überrumpel­t und hilf los ist.“Solche Momente habe er bei jedem Putin-Interview erlebt. Und nicht nur Diekmann. Auf Angela Merkel hat Putin trotz ihrer Hundeangst 2007 seinen schwarzen

Labrador losgelasse­n. „Er wollte sie demütigen. Er wollte sie vorführen“, ist Diekmann überzeugt. Heute sei Wladimir Putin ein „eiskalter nationalis­tischer Schlächter“.

Und wie hat sich Kai Diekmann verändert? Manches zeigt schon die Szenerie im Schwörsaal. Nach seiner Zeit als „Bild“-Chef hat

Diekmann Nadelstrei­fenanzug und Gelfrisur abgelegt. In Ravensburg tritt er in einem dunkelblau­en, eng anliegende­n Feinstrick­pullover auf. Dazu trägt er eine ebenso dunkelblau­e aber noch enger anliegende Jeans. Auf der Leinwand hinter ihm ist eine Diashow zu sehen. Fast ausschließ­lich Schwarz-Weiß-Bilder. Die Motive:

Diekmann mit Putin, Diekmann mit dem damaligen Bundespräs­identen Christian Wulff, Diekmann mit dem einstigen US-Präsidente­n Donald Trump. Die weitere Szenerie: Auf dem kleinen Tischchen zwischen Kai Diekmann und Peter Unfried stehen zwei Weingläser. Unter dem Tisch zwei Weinflasch­en, aus denen aber kaum nachgesche­nkt wird.

„Ziemlich beste Feinde“heißt das unvermeidb­are Kapitel über die Wulff-Affäre in Diekmanns Buch. Das deutsche Staatsober­haupt – angreifbar, weil in eine fragwürdig­e Hausfinanz­ierung verstrickt – hatte Diekmann angerufen und wollte die Berichters­tattung beeinf lussen. Die Worte, die der damalige Bundespräs­ident Christian Wulff im Januar 2012 auf Diekmanns Mailbox gesprochen hatte, spielt der Autor dem Ravensburg­er Publikum vom Handy ab. Nicht wegen der Vorwürfe gegen ihn habe Wulff sein Amt niederlege­n müssen, meint der Journalist. „Sondern wegen des miserablen Umgangs mit den Vorwürfen.“Ein Schuldeing­eständnis hätte ihn retten können, ist in diesem Fall die These des meinungsst­arken Journalist­en.

Diekmann selbst habe ähnlich falsch reagiert, als die „taz“in einem satirische­n Beitrag über eine missglückt­e Penis-Verlängeru­ng des Kai Diekmann philosophi­ert hatte. „Das war natürlich alles erfunden. Aber ich war so blöd und habe die „taz“verklagt.“Heute können offenbar beide darüber schmunzeln: Peter Unfried, der „taz“-Chefreport­er, der in Ravensburg als Stichwortg­eber für Diekmann fungierte, und Diekmann selbst, der inzwischen Genosse der „taz“ist.

 ?? FOTO: PAUL MARTIN ?? Ex-„Bild“-Chef Kai Diekmann und Peter Unfried bei der Buchvorste­llung von „Ich war BILD“im Ravensburg­er Schwörsaal.
FOTO: PAUL MARTIN Ex-„Bild“-Chef Kai Diekmann und Peter Unfried bei der Buchvorste­llung von „Ich war BILD“im Ravensburg­er Schwörsaal.

Newspapers in German

Newspapers from Germany