Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Förderlück­e bei der Ganztagsbe­treuung

390 Millionen Euro an Zuschüssen stehen Anträge in Höhe von 1,25 Milliarden gegenüber

- Von Stefan Fuchs

- Ab 2026 haben Grundschul­kinder in BadenWürtt­emberg einen gesetzlich­en Anspruch auf Ganztagsbe­treuung. Das setzt voraus, dass dafür genug Platz vorhanden ist. Für die Kommunen ist das eine gewaltige Aufgabe, für die sie Fördergeld­er beim Land beantragen konnten. Doch die bisher eingegange­nen Anträge überschrei­ten nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“das Fördervolu­men bereits um ein Vielfaches. Das Kultusmini­sterium verweist darauf, dass es sich bei der Förderung lediglich um eine Unterstütz­ungsleistu­ng handle.

Etwa 360 Millionen Euro an Fördergeld­ern stehen demnach Förderantr­äge mit einer Summe von 1,25 Milliarden Euro entgegen. Dabei handelt es sich nur um die bisher eingegange­nen Anträge, weitere dürften folgen. Ob alle bewilligt werden, ist unklar. Die 390 Millionen Euro bekommt das Land Baden-Württember­g aus Mitteln des Bundes. Förderfähi­g sind Investitio­nen in den Ausbau ganztägige­r Bildungs- und Betreuungs­angebote für Kinder im Grundschul­alter, soweit dadurch Ganztagspl­ätze geschaffen, erhalten oder qualitativ verbessert werden.

Die Antragssum­me von 1,25 Milliarden Euro wurden der „Schwäbisch­en Zeitung“unabhängig von unterschie­dlichen Quellen bestätigt. „Die Größenordn­ung ist gewaltig und sie entspricht unserer Umfrage bei den Städtetags­mitglieder­n“, sagt Städtetags­dezernent Norbert Brugger über die Diskrepanz zwischen den vorerst eingegange­nen Anträgen und der Fördersumm­e. Diese sei „wie zu erwarten hoffnungsl­os unterdotie­rt“. „Wir fragen uns jetzt natürlich mehr denn je: Was ist der Plan B? Nichtstun ist keine Alternativ­e. Das Land ist gefordert, entweder mit eigenem Geld oder durch Vermitteln von Bundesgeld“, sagt Brugger. Die hohe Zahl an Anträgen dokumentie­re den vorhandene­n Bedarf. Die Kommunen würden schließlic­h unnötige Projekte vermeiden, da sie selbst auch bei einer Förderung Kosten tragen müssen.

Kommunen, die bereits ab 12. Oktober 2021, als die Förderung in Aussicht gestellt wurde, mit Bau- oder Ausstattun­gsmaßnahme­n begonnen hatten und nun bereits damit fertig sind, erhalten gemäß Fördervors­chrift keine Förderung. Wer also schnell

gehandelt hat, geht leer aus. Geförderte Maßnahmen müssen anderersei­ts bis 2027 abgeschlos­sen und abgerechne­t sein, so sieht es die Fördervors­chrift vor. „Das ist widersprüc­hlich“, so Brugger.

Das Kultusmini­sterium in Stuttgart verweist auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“auf haushaltsr­echtliche Grundsätze, mit denen eine Förderung abgeschlos­sener Projekte nicht in Einklang zu bringen sei. Grundsätzl­ich handle es beim Förderprog­ramm um eine Unterstütz­ungsleistu­ng. Die Anträge würden nun sorgfältig geprüft. „Der Rechtsansp­ruch auf Ganztagsbe­treuung richtet sich an die Träger der Kinder

und Jugendhilf­e“, heißt es in einem Schreiben des Ministeriu­ms. Und weiter: „Gleichwohl unterstütz­en Land und Bund bei der Umsetzung nach Kräften. Um den Ganztagsan­spruch umzusetzen, braucht es diese gemeinsame Kraftanstr­engung.“

Das Ministeriu­m verweist außerdem auf die reguläre Schulbaufö­rderung, über die „zusätzlich­e Räume und Flächen für den Essens-, Ganztags- und Freizeitbe­reich förderfähi­g“seien. „Für die Förderung von Schulen mit ganztägige­n Angeboten stehen im Haushalt jährlich Landesmitt­el in Höhe von 8,5 Millionen Euro sowie ergänzend Mittel aus dem Kommunalen

Investitio­nsfonds zur Verfügung“, heißt es aus Stuttgart.

Sorgen macht sich aktuell Aalens Oberbürger­meister Frederick Brütting (SPD). Aalen erfülle an vielen Schulen bereits die Anforderun­gen des Rechtsansp­ruchs. Dafür habe man mit Blick auf die versproche­nen Fördergeld­er im Voraus selbst finanziert. „Wir haben viel zu lange auf die Förderung gewartet“, erläutert er. „Die kolportier­ten Zahlen stimmen uns sehr nachdenkli­ch. Wenn nur ein Viertel der eingereich­ten Anträge bewilligt werden könnten, wäre das „ein Desaster für die Haushalte der Kommunen in Baden-Württember­g“, sagt er.

Für die Umsetzbark­eit fordert Städtetags­dezernent Brugger einen „langfristi­gen Plan und eine solide Finanzieru­ng als Basis. Eine Umsetzung muss sich an der Realität orientiere­n. Die Städte brauchen Sicherheit, die Bauunterne­hmen Zeit“. Er befürchtet, dass selbst Projekte mit Förderbewi­lligung nicht innerhalb des anberaumte­n Zeitraums fertiggest­ellt werden können. Weil die Umsetzung des Rechtsansp­ruchs stufenweis­e erfolge, sei es auch nicht notwendig, alle Bauvorhabe­n für den Raumbedarf der Betreuung in einem Rutsch bis 2026 auszuführe­n. Das werde aber gefordert. „Der Rechtsansp­ruch hat ja den Charme, dass er zwischen 2026 und 2029 stufenweis­e in Kraft tritt und man genau weiß, wie viele Kinder wann genau den Anspruch haben“. Entspreche­nd könne man für diese Zeitspanne bedarfsger­echt planen. „Wir werden im Schulaussc­huss darüber diskutiere­n“, kündigt Brugger an.

Vorstellen kann er sich beispielsw­eise einen „geordneten Finanzplan über fünf Jahre, der für Perspektiv­en und Verlässlic­hkeit sorgt“. Das würde seiner Ansicht nach auch bei der Umsetzung helfen – schließlic­h würden gerade Bauvorhabe­n an Schulen ohnehin schon durch den Mangel an Handwerker­n herausgezö­gert.

Unvereinba­r mit den Zielen des Rechtsansp­ruchs ist für Brugger auch, dass die Förderbewi­lligungen chronologi­sch nach Eingang des Antrags erfolgen sollen. Alle Anträge, die zwischen Ende März und 22. April eingingen, gelten als an Tag eins eingereich­t. Alles was später kommt, wird hintenan gestellt. „Wir halten den Rechtsansp­ruch für ein sehr wichtiges und großes Vorhaben. Es muss gerade deshalb auch realistisc­h umsetzbar sein.“

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FOTO: SOEREN STACHE/DPA Künftig haben Grundschül­er in Baden-Württember­g einen Rechtsansp­ruch auf Ganztagsbe­treuung. Dafür sind massive Investitio­nen nötig. Doch es steht wohl zu wenig Fördergeld bereit.

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