Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Förderlücke bei der Ganztagsbetreuung
390 Millionen Euro an Zuschüssen stehen Anträge in Höhe von 1,25 Milliarden gegenüber
- Ab 2026 haben Grundschulkinder in BadenWürttemberg einen gesetzlichen Anspruch auf Ganztagsbetreuung. Das setzt voraus, dass dafür genug Platz vorhanden ist. Für die Kommunen ist das eine gewaltige Aufgabe, für die sie Fördergelder beim Land beantragen konnten. Doch die bisher eingegangenen Anträge überschreiten nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“das Fördervolumen bereits um ein Vielfaches. Das Kultusministerium verweist darauf, dass es sich bei der Förderung lediglich um eine Unterstützungsleistung handle.
Etwa 360 Millionen Euro an Fördergeldern stehen demnach Förderanträge mit einer Summe von 1,25 Milliarden Euro entgegen. Dabei handelt es sich nur um die bisher eingegangenen Anträge, weitere dürften folgen. Ob alle bewilligt werden, ist unklar. Die 390 Millionen Euro bekommt das Land Baden-Württemberg aus Mitteln des Bundes. Förderfähig sind Investitionen in den Ausbau ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter, soweit dadurch Ganztagsplätze geschaffen, erhalten oder qualitativ verbessert werden.
Die Antragssumme von 1,25 Milliarden Euro wurden der „Schwäbischen Zeitung“unabhängig von unterschiedlichen Quellen bestätigt. „Die Größenordnung ist gewaltig und sie entspricht unserer Umfrage bei den Städtetagsmitgliedern“, sagt Städtetagsdezernent Norbert Brugger über die Diskrepanz zwischen den vorerst eingegangenen Anträgen und der Fördersumme. Diese sei „wie zu erwarten hoffnungslos unterdotiert“. „Wir fragen uns jetzt natürlich mehr denn je: Was ist der Plan B? Nichtstun ist keine Alternative. Das Land ist gefordert, entweder mit eigenem Geld oder durch Vermitteln von Bundesgeld“, sagt Brugger. Die hohe Zahl an Anträgen dokumentiere den vorhandenen Bedarf. Die Kommunen würden schließlich unnötige Projekte vermeiden, da sie selbst auch bei einer Förderung Kosten tragen müssen.
Kommunen, die bereits ab 12. Oktober 2021, als die Förderung in Aussicht gestellt wurde, mit Bau- oder Ausstattungsmaßnahmen begonnen hatten und nun bereits damit fertig sind, erhalten gemäß Fördervorschrift keine Förderung. Wer also schnell
gehandelt hat, geht leer aus. Geförderte Maßnahmen müssen andererseits bis 2027 abgeschlossen und abgerechnet sein, so sieht es die Fördervorschrift vor. „Das ist widersprüchlich“, so Brugger.
Das Kultusministerium in Stuttgart verweist auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“auf haushaltsrechtliche Grundsätze, mit denen eine Förderung abgeschlossener Projekte nicht in Einklang zu bringen sei. Grundsätzlich handle es beim Förderprogramm um eine Unterstützungsleistung. Die Anträge würden nun sorgfältig geprüft. „Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung richtet sich an die Träger der Kinder
und Jugendhilfe“, heißt es in einem Schreiben des Ministeriums. Und weiter: „Gleichwohl unterstützen Land und Bund bei der Umsetzung nach Kräften. Um den Ganztagsanspruch umzusetzen, braucht es diese gemeinsame Kraftanstrengung.“
Das Ministerium verweist außerdem auf die reguläre Schulbauförderung, über die „zusätzliche Räume und Flächen für den Essens-, Ganztags- und Freizeitbereich förderfähig“seien. „Für die Förderung von Schulen mit ganztägigen Angeboten stehen im Haushalt jährlich Landesmittel in Höhe von 8,5 Millionen Euro sowie ergänzend Mittel aus dem Kommunalen
Investitionsfonds zur Verfügung“, heißt es aus Stuttgart.
Sorgen macht sich aktuell Aalens Oberbürgermeister Frederick Brütting (SPD). Aalen erfülle an vielen Schulen bereits die Anforderungen des Rechtsanspruchs. Dafür habe man mit Blick auf die versprochenen Fördergelder im Voraus selbst finanziert. „Wir haben viel zu lange auf die Förderung gewartet“, erläutert er. „Die kolportierten Zahlen stimmen uns sehr nachdenklich. Wenn nur ein Viertel der eingereichten Anträge bewilligt werden könnten, wäre das „ein Desaster für die Haushalte der Kommunen in Baden-Württemberg“, sagt er.
Für die Umsetzbarkeit fordert Städtetagsdezernent Brugger einen „langfristigen Plan und eine solide Finanzierung als Basis. Eine Umsetzung muss sich an der Realität orientieren. Die Städte brauchen Sicherheit, die Bauunternehmen Zeit“. Er befürchtet, dass selbst Projekte mit Förderbewilligung nicht innerhalb des anberaumten Zeitraums fertiggestellt werden können. Weil die Umsetzung des Rechtsanspruchs stufenweise erfolge, sei es auch nicht notwendig, alle Bauvorhaben für den Raumbedarf der Betreuung in einem Rutsch bis 2026 auszuführen. Das werde aber gefordert. „Der Rechtsanspruch hat ja den Charme, dass er zwischen 2026 und 2029 stufenweise in Kraft tritt und man genau weiß, wie viele Kinder wann genau den Anspruch haben“. Entsprechend könne man für diese Zeitspanne bedarfsgerecht planen. „Wir werden im Schulausschuss darüber diskutieren“, kündigt Brugger an.
Vorstellen kann er sich beispielsweise einen „geordneten Finanzplan über fünf Jahre, der für Perspektiven und Verlässlichkeit sorgt“. Das würde seiner Ansicht nach auch bei der Umsetzung helfen – schließlich würden gerade Bauvorhaben an Schulen ohnehin schon durch den Mangel an Handwerkern herausgezögert.
Unvereinbar mit den Zielen des Rechtsanspruchs ist für Brugger auch, dass die Förderbewilligungen chronologisch nach Eingang des Antrags erfolgen sollen. Alle Anträge, die zwischen Ende März und 22. April eingingen, gelten als an Tag eins eingereicht. Alles was später kommt, wird hintenan gestellt. „Wir halten den Rechtsanspruch für ein sehr wichtiges und großes Vorhaben. Es muss gerade deshalb auch realistisch umsetzbar sein.“