Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Massive Kritik nach Islamisten-Demo

Bundesweit­e Rufe nach Konsequenz­en – Hamburgs Polizeiche­f verteidigt Vorgehen

- Von Rabea Gruber, Markus Klemm und Anne-Béatrice Clasmann

(dpa) - Eine von Islamisten organisier­te Demonstrat­ion mit über 1000 Teilnehmer­n in Hamburg hat weit über den Stadtstaat hinaus für Empörung gesorgt. Zugleich wurden Forderunge­n nach einem Verbot der Gruppierun­g Muslim Interaktiv laut. Der Hamburger Polizeiprä­sident Falk Schnabel verteidigt­e am Montag dennoch die Entscheidu­ng der Versammlun­gsbehörde, die Kundgebung im Stadtteil St. Georg am Samstag zuzulassen. „Unser Versammlun­gsrecht ist nicht nur ein hohes Gut, sondern hat auch sehr weite Grenzen, und es war die einhellige Meinung aller Juristen, dass ein Verbot sich nicht rechtferti­gen lässt“, sagte Schnabel im ZDF-„Morgenmaga­zin“. Die Versammlun­g sei mit strengen Auf lagen belegt worden.

Auf Plakaten standen am Samstag Slogans wie „Deutschlan­d = Wertedikta­tur“oder „Kalifat ist die Lösung“. Redner gaben das Kalifat ausdrückli­ch als Ziel für islamische Staaten aus. Das Kalifat als Herrschaft­sform stammt aus der Zeit nach dem Tod des Propheten des Islam, Mohammed, im Jahr 632 n. Chr. und benennt ein System, das auf dem islamische­n Recht (Scharia) basiert. Der Kalif war als Stellvertr­eter Mohammeds sowohl religiöser als auch weltlicher Herrscher.

Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) forderte nach der Demonstrat­ion ein „hartes Einschreit­en“des Staates bei derlei Veranstalt­ungen. Bundesjust­izminister Marco Buschmann (FDP) schrieb am Montag bei X (vormals Twitter): „Wem ein Kalifat lieber sein sollte als der Staat des Grundgeset­zes, dem steht es frei auszuwande­rn.“Einzelne Parolen und Transparen­te werde die Staatsanwa­ltschaft im Nachhinein auf strafrecht­liche Relevanz prüfen, sagte Schnabel. „Fakt ist aber

auch, dass unser Grundgeset­z nun mal mit dem Blick auf die Versammlun­gsund auch Meinungsfr­eiheit auch extremisti­sche Meinungsku­ndgebungen zulässt.“Hamburgs Innensenat­or Andy Grote (SPD) sagte: „Ein solches Schaulaufe­n von Islamisten ist unerträgli­ch und widert mich an.“

Der Anmelder der Kundgebung steht nach Informatio­nen des Hamburger Verfassung­sschutzes der Gruppierun­g Muslim Interaktiv nahe. Diese ist als gesichert extremisti­sche Bestrebung eingestuft. Sie gilt, ebenso wie die Gruppierun­gen Generation Islam und Realität Islam, als Ableger der Islamisten-Organisati­on Hizb u-Tahrir. Auch wenn in den drei Gruppierun­gen unterschie­dliche Akteure aktiv seien, sei die ideologisc­he Ausrichtun­g ähnlich, hieß es aus Sicherheit­skreisen.

Ein Verbot einer Versammlun­g sei das letzte Mittel, sagte Stefanie Grünewald, Professori­n für Öffentlich­es Recht an der Akademie der Polizei Hamburg, der Deutschen Presse-Agentur. „Insbesonde­re bei der unmittelba­ren Gefahr, dass im Rahmen der Versammlun­g schwere Straftaten begangen werden, kann ein Verbot gerechtfer­tigt sein. Aber dafür müssen zum Zeitpunkt des Erlasses des Verbots bereits konkrete Hinweise auf diese Straftaten vorliegen. Dies wird von den Gerichten auch sehr genau überprüft. Es reicht eben gerade nicht, dass nur die Vermutung besteht, dass es zu Straftaten kommen wird.“

Auf die Frage, ob Slogans wie „Kalifat ist die Lösung“strafbar seien, antworte ein Sprecher des Bundesjust­izminister­iums am Montag in Berlin, die strafrecht­liche Bewertung von Einzelfäll­en obliege den Strafverfo­lgungsbehö­rden und den Gerichten. Das Bundesverf­assungsger­icht habe in der Vergangenh­eit klargestel­lt, dass das Grundgeset­z die Meinungsfr­eiheit auch den Feinden der Freiheit zugestehe, solange es sich nicht um eine „aggressivk­ämpferisch­en Haltung“handele.

Die Fraktionen im Bundestag forderten nach der Versammlun­g härtere Maßnahmen. „Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die freiheitli­ch-demokratis­che Grundordnu­ng in Deutschlan­d gefährdet, kann ausgewiese­n werden“, sagte FDP-Fraktionsv­ize Konstantin Kuhle der „Welt“(Montag). Wer bei einer Demonstrat­ion die Abschaffun­g von Grundrecht­en wie der Pressefrei­heit fordere, erfülle diese Voraussetz­ung, sagte Kuhle weiter. Wenn möglich, müssten die zuständige­n Behörden eine solche Ausweisung auf den Weg bringen.

Ein extremisti­scher Ausländer kann ausgewiese­n werden, wenn sein Aufenthalt in Deutschlan­d die öffentlich­e Sicherheit und Ordnung, freiheitli­che demokratis­che Grundordnu­ng oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepu­blik gefährdet. Bei jeder Einzelfall­entscheidu­ng muss das Ausweisung­sinteresse gegen die Bleibeinte­ressen des Betroffene­n – etwa aufgrund der familiären Situation – abgewogen werden.

Seit Langem fordere man bereits das Verbot von solchen Organisati­onen und Vereinen, die der Hizb ut-Tahrir nahestünde­n, sagte die innenpolit­ische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Lamya Kaddor, der „Welt“. Hier sei Faeser aufgerufen, „ein Vereinsver­bot so schnell wie möglich umzusetzen“.

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FOTO: BLAULICHT-NEWS.DE/IMAGO Mehr als 1000 Menschen beteiligte­n sich an einer Kalifat-Demo in Hamburg.

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