Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Sie war die „Mutter Courage“in Berg und darüber hinaus
Ingeborg Geddert ist im Alter von 88 Jahren gestorben
(gp) - „Ich habe Ingeborg Geddert sehr geschätzt.“Das versichert Helmut Grieb, früher Bürgermeister von Berg. „Für jedes Gremium war sie ein Gewinn, denn sie vertrat klare Positionen“, bescheinigt er der gestandenen Sozialdemokratin, die lange Jahre dem Gemeinderat in Berg angehörte, mit der zusammen Grieb aber auch im Kreistag saß, sie für die SPD eine Legislaturperiode lang, er für die CDU bis heute. Das große Anliegen der gebildeten, temperamentvollen Frau war in beiden Gremien, die Situation der Benachteiligten, der Minderheiten zu verbessern, nicht zuletzt der Ravensburger Sinti und Roma und ihrer Kinder im Ummenwinkel. Nun ist Ingeborg Geddert im Alter von 88 Jahren gestorben. Sie wurde am Montag in Berg beerdigt.
Noch vor dreieinhalb Jahren hatte die Verstorbene im Mittelpunkt einer Feierstunde im Schwörsaal in Ravensburg gestanden, zusammen mit Magdalena Guttenberger. Damals wurden beide Frauen mit dem Kultur- und Ehrenpreis des Landesverbandes Baden-Württemberg der Sinti und Roma für besondere Verdienste
im Bildungsbereich ausgezeichnet. Die Laudatio hielt Minister Manne Lucha. Mit der Auszeichnung würdigte der Landesverband das Engagement von Ingeborg Geddert, die auch Vorsitzende des Kinderschutzbundes in Ravensburg war, für bessere Bildungschancen der Kinder der Ravensburger Sinti und Roma und menschenwürdige Wohnverhältnisse im Ummenwinkel, sowie den Einsatz von Magdalena Guttenberger, früher Erzieherin in der „Spielstube“
Ravensburgs Erster Bürgermeister Simon Blümcke sprach in der Feier vom harten, mühsamen Einreißen von Vorurteilen gegenüber den Sinti und Roma, dem sich die beiden Frauen gewidmet hätten. Bürgersinn hätten sie bewiesen, nicht weggeschaut, sondern angepackt, um die elenden Lebensbedingungen der Sinti im Ummenwinkel zu verbessern. Noch bis 1984 hatten die Bewohner ohne f ließendes Wasser und Strom auskommen müssen. Durch das Engagement beider Frauen (auch Margarete Keddig verdient in diesem Zusammenhang erwähnt zu werden) sei der Ummenwinkel zu einem menschenwürdigen Stadtteil geworden. Erst 1990 hatten dort 32 Sinti-Familien aus den maroden Weltkriegsbaracken in neue Häuser umziehen können, wobei sich auch der vor Jahren bereits verstorbene Ehemann von Ingeborg Geddert, von Beruf Architekt, engagiert hatte.
Als Bürgermeister Grieb Ingeborg Geddert aus dem Gemeinderat verabschiedete, verlieh er ihr den Ehrentitel „Mutter Courage von Berg und darüber hinaus“. Zusammen mit zwei Genossen hatte sie lange Jahre die SPD im Ortsparlament vertreten (inzwischen ist die Partei nicht mehr im Berger Gemeinderat präsent). Grieb schätzte die Art und Weise, wie Ingeborg Geddert sich für soziale Belange in der Gemeinde (Kindergarten, Familien, Schule) einsetzte. Als „echte Europäerin“, die gut Italienisch und Französisch sprach, förderte sie außerdem die Gemeindepartnerschaft mit dem italienischen Rodigo. Schließlich lag ihr laut Grieb die Kulturförderung am Herzen. Bei zahlreichen Kunstausstellungen in Berg engagierte sie sich. Und sie setzte sich im Gemeinderat und auch im Kreistag für hochwertige Architektur ein. „Sie war eine großartige Kommunalpolitikerin“.
Helga Bayha, Sozialdemokratin, Geschäftsführerin des Vereins Kindernest in Weingarten, erinnert sich dankbar an die Ermutigung, die sie durch Ingeborg Geddert erfuhr. Die Vorsitzende des Kinderschutzbundes riet ihr aus eigener Erfahrung dringend keinesfalls aufzugeben, sondern dranzubleiben, als es darum ging Geld für das Kindernest locker zu machen. Das war damals ein Bohren sehr dicker Bretter. So wie auch eine Frauenbeauftragte. Auch dafür setzte sich Ingeborg Geddert frühzeitig ein.