Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Es findet zu viel Fingerhakeln statt“
Ministerpräsident Kretschmann zu grün-schwarzem Geplänkel und schwarz-grünen Planspielen
- Als einen der größten politischen Erfolge seiner Karriere hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) den Kompromiss bei den Bund-Länder-Finanzen einmal bezeichnet. Zuletzt schien eine Einigung aber wieder infrage zu stehen. Doch in der Nacht auf Freitag brachten die Ministerpräsidenten und die Bundeskanzlerin das Paket unter Dach und Fach. Dazu, zum Kurs seines Koalitionspartners in der Asylpolitik und einer möglichen Zusammenarbeit mit der CDU auf Bundesebene bezog Kretschmann beim Besuch in der Redaktion der „Schwäbischen Zeitung“am Freitag Stellung. Hendrik Groth, Claudia Kling, Katja Korf und Ulrich Mendelin haben ihn befragt.
Herr Kretschmann, Sie sind am Donnerstagabend aus Berlin zurückgekommen. Dort gab es noch einmal Gespräche über die Reform des Bund-Länder-Finanzausgleichs – und eine Einigung. Sind Sie zufrieden?
Im Großen und Ganzen bin ich sogar sehr zufrieden. Die Einigung stand immer wieder auf der Kippe. Nun bekommt Baden-Württemberg ab 2020 jährlich brutto fast eine Milliarde Euro mehr in die Kasse. Damit wurden unsere Erwartungen erfüllt. Es gibt allerdings einen Punkt, von dem ich überhaupt nicht begeistert bin. Der Bund darf künftig durch die Änderung von Artikel 104 des Grundgesetzes auch Investitionen in Schulen direkt unterstützen. Dagegen habe ich schwerwiegende Bedenken, denn dies könnte ein Einfallstor für Eingriffe des Bundes in einem Kernbereich der Länder, der Schulpolitik, werden. Das wäre für das föderale System ein schwerer Sündenfall.
Wollen Sie etwa das Geld vom Bund nicht annehmen?
Im Gegenteil: Geld vom Bund bekommen wir viel zu wenig. Die Frage ist aber eine andere. Artikel 106 des Grundgesetzes sieht vor, dass der Bund und die Länder ihre Deckungsbeiträge aushandeln. Die Länder sollten also herausverhandeln, was sie brauchen. Das wird gar nicht mehr in Anspruch genommen. Stattdessen legt der Bund Programme auf. Aber wenn der Bund uns über Programme Geld gibt, dann will er immer öfter mitmischen. Das will ich aber nicht. Jedenfalls nicht in unseren Kernbereichen. Bildung, Innere Sicherheit und Rundfunk sind die Kernbereiche der föderalen Eigenständigkeit. Gehen die verloren, werden wir irgendwann Verwaltungsprovinzen des Bundes. Aber schauen Sie sich die Staaten an, die nicht föderal organisiert sind. Da läuft nichts besser, sondern vieles schlechter als in föderalen Ländern. Frankreich zum Beispiel nimmt gerade Abstand von seiner zentralistischen, hin zu einer dezentralen Struktur.
Was fürchten Sie im konkreten Fall für Baden-Württemberg?
Für Baden-Württemberg gibt es nichts konkret zu befürchten. Immerhin haben die Länder verhindern können, dass der Bund Einfluss nehmen kann auf die konkrete Umset- zung der Programme vor Ort. Sondern es geht darum, dass sich die föderale Ordnung verschiebt. Und ich bin höchst erstaunt, was auf einmal für ein zentralistisches Denken ausgerechnet bei einer unionsgeführten Bundesregierung Einzug hält. Die Union war eigentlich traditionell sehr föderal orientiert. Da ändert sich auf einmal etwas. Das macht mir große Sorgen. Zum Glück sehe nicht nur ich die Risiken, sondern auch viele andere Ministerpräsidenten, auch auf Unionsseite.
Frau Merkel hat gerade auf dem CDU-Bundesparteitag in Essen ein Burkaverbot gefordert. Auch im baden-württembergischen Land- tag ist darüber schon debattiert worden. Was halten Sie von solchen Forderungen?
Die Debatte über die Burka ist erst einmal verständlich. In einer offenen Gesellschaft kann man nicht verhüllt herumlaufen. Das ist auch meine feste Überzeugung. Man muss aber nicht alles, was man für schlecht hält, auch verbieten. Ein Burkaverbot in der Gesellschaft insgesamt wäre unpraktikabel. Das wäre wirklich mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Stattdessen müssen wir dafür werben, dass man in einer offenen Gesellschaft auch sein Gesicht zeigen muss. Wir müssen also deutlich machen, dass uns das missfällt.
Und wie machen wir das hinreichend deutlich?
Indem wir es sagen.
Frau Merkel will ein Burkaverbot. Ihr Innenminister, Thomas Strobl, hat als CDU-Vize ein sehr restriktives Papier zur Abschiebepolitik erarbeitet. Offenbar geben sich die Christdemokraten als Hardliner, um die AfD im Bund kleinzuhalten. Was halten Sie von dieser Strategie?
Diejenigen Asylbewerber, die weder politisch verfolgt sind, noch aus Bürgerkriegsgebieten kommen, müssen zurückkehren. Das Hauptproblem dabei ist aber, dass viele Herkunftsländer diese Menschen gar nicht zurücknehmen. Alles andere sind Fragen, die von viel geringerer Bedeutung sind. Ich kann nur allen raten, keine großen Debatten bei Punkten zu führen, die am Ende wenig Effekte haben.
Sondern?
Wenn man der AfD hinterherläuft, macht man sie nur noch stärker. Wir müssen das tun, was wir selbst für rechtsstaatlich, für humanitär und für fair halten. Das sind unsere Maßstäbe. Probleme kann man in einer Demokratie nur Schritt für Schritt lösen. Man muss die Gesetze konsequent anwenden und sich an die eigenen Werte halten. Und man muss sich an die verfassungsmäßige Ordnung halten. Das tut die AfD in weiten Bereichen nicht, und deswegen spaltet sie die Gesellschaft, treibt sie auseinander mit ihrem Programm und trägt zur Lösung der Probleme nichts bei.
Die CDU bewegt sich nach rechts, die Grünen haben sich mit Beschlüssen wie dem zur Vermögensteuer deutlich links von der Mitte positioniert. Wird so der Weg zu einer möglichen schwarz-grünen Koalition auf Bundesebene verbaut?
Erstmal gehen wir ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf und kämpfen für ein möglichst gutes grünes Ergebnis. Dann wird man sehen, welche Koalitionen rechnerisch möglich sind. Meine Bundespartei hat die Wiedereinführung der Vermögensteuer beschlossen, die CDU die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft. Wenn solche Einzelpositionen schon Koalitionen unmöglich machen würden, dann gäbe es gar keine. Dann kann man zum Schluss nur noch mit sich selber koalieren. CDU und Grüne sind unterschiedliche Parteien mit unterschiedlichen Programmen. Da muss man im Fall der Fälle sondieren und abwägen, wie man da zusammenkommt. Siehe Baden-Württemberg: Die CDU hat fünf Jahre eine beinharte Opposition gegen uns gemacht. Danach war es schwierig sich zu einigen, aber wir haben es hinbekommen.
Sie scheinen aber ziemlich stark damit beschäftigt zu sein, Konflikte zu schlichten – ob zum Bildungsetat, beim Bau von Windrädern im Staatsforst, oder bei der Frage, ob Kopftücher im Gerichtssaal erlaubt sind. Im nächsten Jahr ist Wahlkampf. Grüne und CDU werden sich im Bund positionieren müssen. Nehmen die Konflikte zu?
Das ist leider zu befürchten. Das war aber 2013 mit der SPD im Bundestagswahlkampf leider auch der Fall. Koalitionen, in denen die Partner etwa gleich stark sind, sind immer schwer zusammenzuhalten. Das ist eine meiner Hauptaufgaben. Aber es findet in der Tat zu viel Fingerhakeln statt. Das sind oft kleine Sachen, die aufgeblasen werden. Ich werbe immer dafür, dass wir solche Probleme zunächst intern lösen und dann erst mit Kompromissen und Lösungsvorschlägen an die Öffentlichkeit kommen, statt uns in der Öffentlichkeit zu streiten. Denn dann wird die Kompromissfindung schwerer. Aber das wird sich noch besser einspielen.