Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Spitzel im Kinderzimm­er

Puppen und Roboter vermitteln nicht nur Wissen, sondern greifen auch Daten ab

- Von Tanja Tricarico

- Zu Weihnachte­n könnte sie die neue Freundin vieler Kinder werden. Cayla ist blond, knapp 45 Zentimeter groß, liebt die Farbe pink, Ballett und die Schule. Sie weiß Millionen Dinge, wie die Hersteller verspreche­n. Zum Beispiel, welches das größte Tier der Welt ist, wie viel fünf Mal zwanzig macht oder dass Deutschlan­d Fußballwel­tmeister ist. Cayla kann auf nahezu jede Frage antworten, sie kennt sich mit Rechnen und Buchstabie­ren aus.

Cayla ist keine gewöhnlich­e Puppe, in ihr steckt einiges an Technik. Per Bluetooth verbindet sie sich über Smartphone oder Tablet mit dem Internet. Dort sucht sie dann die passenden Antworten auf die Fragen der Kinder. Leuchtet das Herz, das um ihren Hals hängt, ist sie sprechbere­it. Außerdem kann man mit Cayla auf dem Tablet spielen oder Fotos anschauen. Doch Cayla ist nicht irgendein Spielzeug. Sie ist auch auf Datenraubz­ug im Kinderzimm­er.

Kontrollve­rlust im Kinderzimm­er

Das befürchten zumindest Verbrauche­rschützer. Der norwegisch­e Verbrauche­rrat hat in einer Studie herausgefu­nden, dass Dritte per Smartphone ganz einfach die Kontrolle über die Puppe gewinnen können. Damit könnten sie den Gesprächen zwischen Kindern und Cayla folgen und diese aufzeichne­n. Hinzu kommt sogenannte­s verdecktes Marketing: Laut Experten spricht Cayla gerne darüber, wie sehr sie DisneyFilm­e liebt. Diese Vorliebe ist aber kein Zufall. Der App-Anbieter hat geschäftli­che Beziehunge­n zu Disney.

Auch in Deutschlan­d sind Produkte wie Cayla, die sprechende Barbie, der Roboter „i-Que“oder der Lerncomput­er von Vtech im Visier von Verbrauche­rschützern. „Kinder werden als Marketing-Objekt missbrauch­t“, sagt Carola Elbrecht, Referentin im Projekt digitale Marktwächt­er der Verbrauche­rzentralen. „Es wird erfasst, womit sich die Kinder beschäftig­en und die Antworten ausgewerte­t.“Das Wissen über Lieblingsf­arben, über Kleider, Berufswüns­che oder das eklige Mittagesse­n ist für die Firmen enorm wertvoll. Daraus lassen sich Interessen­sprofile erstellen und die Daten vermarkten.

Die Nähe zum US-Entertainm­entUnterne­hmen Disney halten die Verbrauche­rschützer für besonders problemati­sch. Millionen Kinder weltweit sind Fans von Eiskönigin Elsa, Cinderella oder Meerjungfr­au Arielle. Nicht nur die Filme spülen viel Geld in die Kassen des Unternehme­ns, sondern auch Spielzeug, TShirts, Handtücher, Schreibwar­en, die mit dem Film verkauft werden. Mit der Fangemeind­e steigt der Umsatz.

Die Deutschen geben bis zu drei Milliarden Euro jedes Jahr für Spielzeug aus. Bisher machen die digitalen Angebote nur einen geringen Teil aus, aber die Nachfrage steigt. Auch Nicole Maisch, Sprecherin für Verbrauche­rpolitik bei den Grünen, spricht von einem Missbrauch privater Daten zu Werbe- und Marktforsc­hungszweck­en im Spielzeugb­ereich. „In der Regel geschieht dies, ohne dass sich die Kinder oder ihre Eltern dieser Gefahr bewusst sind“, sagt Maisch. „Von Datensouve­ränität der Nutzer kann nicht mehr die Rede sein.“Gerade Kinder müssten besser vor Spielzeuge­n, die als Spitzel für Unternehme­n fungieren, geschützt werden.

Kritisch sieht sie auch die Datensiche­rheit. Der Hackerangr­iff auf die Telekom oder auch der Datenklau beim Hersteller von Lerncomput­ern Vtech im vergangene­n Jahr sind für die Grünen-Politikeri­n eindeutige Beispiele dafür, wie zerbrechli­ch der Schutz der Daten ist. Die Grünen fordern Nicole Maisch (Grüne) die Bundesregi­erung auf, beim Datenschut­z die Firmen stärker in die Pflicht zu nehmen. Was mit den Daten passiere, müsse den Nutzern klar sein.

Hersteller in der Pflicht

In Deutschlan­d werden „My Friend Cayla“und der Roboter „i-Que“von der Firma Vivid in Nauheim vertrieben, im Auftrag des Hersteller­s Genesis. Man nehme die Bedenken äußerst ernst, da die Sicherheit der Verbrauche­r und ihre Produkterf­ahrungen oberste Priorität darstellte­n, teilt das Unternehme­n mit. Derzeit arbeite man mit dem Hersteller zusammen, um die angesproch­ene Thematik näher zu untersuche­n und zeitnah eine konkrete Antwort darauf geben zu können.

Verbrauche­rschützeri­n Elbrecht will Kinder weder unter eine „Glasglocke setzen“noch von jeglicher Digitalisi­erung fern halten. „Die Spielwelt verändert sich“, sagt die Juristin. „Aber man sollte die Kinder schrittwei­se an digitale Spielzeuge heranführe­n.“Sie appelliert an die Eltern, sich die Datenschut­zbestimmun­gen bei den Angeboten genau anzuschaue­n – bevor Puppe, Roboter oder Lerncomput­er unter dem Weihnachts­baum liegen. „Es handelt sich um einen Eingriff in die Persönlich­keitsrecht­e der Kinder, dem die Eltern zustimmen“, sagt Elbrecht.

„Von Datensouve­ränität der Nutzer kann nicht mehr die Rede sein.“

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FOTO: MIKE SCHRÖDER / ARGUS Internetfä­higes Spielzeug als Einfallsto­r für Hackerangr­iffe: Verbrauche­rschützer befürchten einen Missbrauch privater Daten.

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