Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Haft bleibt Haft“

Die Anstalt für Abschiebeh­äftlinge sieht aus wie ein Knast, auch wenn es kein Knast sein soll – Ein Ortstermin in Pforzheim

- Von Anika von Greve-Dierfeld

(lsw) - An- oder Abflug? Ob die weiße Friedensta­ube mit ausgebreit­eten Schwingen bei dem Jüngling auf dem Foto gerade startet oder landet, ist nicht genau auszumache­n. „Grobdurchs­uchung“steht auf einer Tür daneben. Sieht alles ein wenig trübselig aus, oder? Läuft, sagt Hans-Peter Paukner. Er leitet eine Anstalt mit komplizier­tem Namen: Abschiebun­gshafteinr­ichtung heißt sie umständlic­h, seit fast einem Dreivierte­ljahr ist sie in Pforzheim in Betrieb. Das Foto hängt dort in einem Vorraum mit zehn Besuchersp­inden, ein Relikt aus alten Tagen.

Früher war das Gebäude das Jugendgefä­ngnis, wurde innen umgestalte­t und mit großem Tamtam am 1. April als Abschiebeg­efängnis eröffnet. 21 der inzwischen 36 Plätze für Ausländer ohne Bleiberech­t, für die die Abschiebun­g angeordnet und organisier­t ist, sind zurzeit besetzt. Die Fluktuatio­n ist enorm, ständig Zugänge, wie es im Behördende­utsch heißt, dann Abgänge. Aus der Traum von Deutschlan­d, Abschiebun­g. Die durchschni­ttliche Verweildau­er liegt bei zwei bis drei Wochen. Wer hier landet, für den wurde Abschiebeh­aft per richterlic­hem Beschluss verfügt: Weil derjenige der Aufforderu­ng zur Ausreise schon mehrmals nicht nachkam, weil eine vorherige Abschiebun­g mehrfach scheiterte, weil einer schon mehrfach untergetau­cht ist. „Bei uns landen die Hartnäckig­en“, erklärt Paukner.

Nur selten Widerstand

Erst kommt ein sogenannte­r Verhaftung­sauftrag von Seiten der Ausländerb­ehörde an die Polizei, dann holen Beamte die Betroffene­n aus ihren Wohnungen und Unterkünft­en, führen sie dem Haftrichte­r vor, der die Unterbring­ung im Abschiebeg­efängnis beschließt. „Schon bei der Inhaftieru­ng wissen die Menschen meistens, wann ihr Flug geht“, sagt Paukner. Die Ausländerb­ehörde bucht den Flug, zur vereinbart­en Zeit kommen wieder Polizisten und holen die Betroffene­n ab. Meist ohne Widerstand, sagt Paukner.

Die Einrichtun­g war quasi ein Auftrag von oben: Der Europäisch­e Gerichtsho­f hatte verfügt, dass Menschen, die abgeschobe­n werden sollen, nicht gemeinsam mit Straftäter­n untergebra­cht werden dürfen. Eine zentrale Abschiebe-Einrichtun­g musste her. Das Land suchte einen Standort und fand – Pforzheim.

Seit April wurden 185 Menschen aus 38 Nationen hier durchgesch­leust. Zu einem Drittel stammen die Männer, im Schnitt zwischen 24 und 32 Jahre alt, aus sicheren Herkunftsl­ändern auf dem Balkan. Ein weiteres Drittel ist über „sichere Drittstaat­en“eingereist und wird dorthin zurückgebr­acht: Meist Menschen aus Gambia oder Nigeria. Das letzte Drittel kommt von überall her; auch EU-Bürger, die ihr Aufenthalt­srecht verwirkt haben, sind manchmal darunter.

Wie viel das Land für den Unterhalt der Einrichtun­g ausgeben muss, kann das Innenminis­terium nicht sagen. Dafür sei es noch zu früh, sagt ein Sprecher. Rund acht Millionen Euro soll der Umbau insgesamt kosten, bis 2018 die letztlich vorgesehen­en rund 80 Plätze geschaffen sind. Dann werden hier auch Frauen und Familien untergebra­cht.

In der Anstalt herrscht größtmögli­che Bewegungsf­reiheit, betont Paukner. Ab 7 Uhr können sich die Insassen auf drei verschiede­nfarbig gestaltete­n Stockwerke­n frei bewegen, sich besuchen, Besuch empfangen, essen, kochen, fernsehen, Sport treiben, Tischtenni­s spielen, Krafttrain­ing machen. In der Bibliothek lesen, „eher wenig nachgefrag­t“, im Internetca­fé surfen, „sehr nachgefrag­t“; Pornoseite­n sind gesperrt. Um 22 Uhr ist „Einschluss“bis zum nächsten Morgen. „Haft bleibt Haft“, sagt Paukner. Die Stimmung sei generell gut.

Es gibt fast eine Eins-zu-eins-Betreuung der hier untergebra­chten Menschen. Genaue Zahlen darf Paukner nicht nennen. Bald kümmern sich sogar zwei statt bisher ein Sozialarbe­iter um die Insassen. „Die Zeit, die sie hier sind, ist so kurz – da müssen wir umso intensiver hinschauen und betreuen“, sagt Paukner. Besichtigt werden darf die Einrichtun­g seit Inbetriebn­ahme nicht mehr. „Das ist ja kein Zoo.“Der Flüchtling­srat Baden-Württember­g bemüht sich gerade um einen Besuch vor Ort.

Die Anwohner sind nach anfänglich­em Ärger und Bedenken im Vorfeld ziemlich entspannt. „Das Gefängnis sieht aus wie vorher auch“, sagt eine Nachbarin. Von den Abschiebun­gen bekomme man nichts mit. Auch die Stadt bestätigt: „Beschwerde­n aus der Bevölkerun­g gibt es nicht.“Aber verschnupf­t sei die Kommune, die sich vom Land in der Standortwa­hl seinerzeit völlig übergangen fühlte, weiterhin. „An diesem Anflug von Erkältung hat sich auch nach acht Monaten nichts geändert.“

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FOTO: DPA Hans-Peter Paukner leitet das Abschiebeg­efängnis in Pforzheim.

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