Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Nur wenige Senioren sind arm
Andreas Schwarz von der Rentenversicherung Baden-Württemberg zur Altersvorsorge
(clak) - Altersarmut ist nach Ansicht von Andreas Schwarz, Erster Direktor der Deutschen Rentenversicherung BadenWürttemberg, derzeit noch kein dringliches Problem. Nur knapp über drei Prozent der Senioren seien auf Grundsicherung angewiesen, sagte Schwarz der „Schwäbischen Zeitung“. Altersarmut werde aber in den nächsten Jahren spürbar werden – vor allem im Osten aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit nach der Wiedervereinigung.
- Andreas Schwarz, Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg, hält wenig davon, das Renteneintrittsalter eins zu eins an die steigende Lebenserwartung anzupassen, wie von der Union gefordert. Der Zuwachs an Lebenserwartung entspreche nicht dem Zuwachs an gesunden Lebensjahren, sagte Schwarz im Gespräch mit Claudia Kling und Andreas Knoch.
Herr Schwarz, hilft es, wie von Arbeitsministerin Nahles angekündigt, eine Haltelinie für das Rentenniveau festzulegen, um Altersarmut zu verhindern?
Zwischen Altersarmut und Rentenniveau gibt es Berührungspunkte, ausschlaggebend ist aber etwas anderes. Unser Rentensystem setzt idealtypisch eine Erwerbsbiografie von 45 Jahren voraus. In der Realität kommen Männer auf rund 40 Erwerbsjahre, Frauen auf deutlich weniger. Wenn man diese 40 Jahre nicht schafft, ist man bei einem niedrigeren Rentenniveau natürlich schneller auf Grundsicherung angewiesen. Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitsverdienst deutlich unter dem Durchschnitt liegt. Bleiben die Beitragszahlungen in der Summe wegen langer Arbeitslosigkeit, selbständiger Tätigkeit oder langjähriger Teilzeitoder Niedriglohnbeschäftigung zu gering, kann dies auch ein noch so hohes Rentenniveau nicht auffangen. Das sind Ursachen, die Altersarmut befördern.
Wie dringlich ist das Problem der Altersarmut überhaupt?
Im Moment sind nur knapp über drei Prozent der Senioren auf Grundsicherung angewiesen. Von denen, die eine gesetzliche Rente beziehen, sind es noch weniger, 2,7 Prozent. Das heißt, unser Rentensystem schützt im Moment noch sehr gut vor Altersarmut, weil die meisten Erwerbsbiografien weitgehend vollständig sind. Altersarmut wird aber in den nächsten Jahren spürbar werden, vor allem in Ostdeutschland, wenn diejenigen in Rente gehen, die nach der Wiedervereinigung sehr lange Zeit arbeitslos waren.
Was muss getan werden, um künftigen Rentnern einen auskömmlichen Lebensstandard zu sichern?
Das Sinnvollste wäre, wenn die Politik den Menschen reinen Wein einschenken würde. Ein auskömmlicher Lebensabend ist, so wie wir uns im Moment verhalten, eine teure Sache: 20 Jahre Ausbildung, 40 Jahre Erwerbstätigkeit und 20 Jahre Rentenbezugsdauer – da muss man schon viel in die Rentenkasse hineinstecken, um das finanzieren zu können. Meine erste Botschaft ist also: Eine auskömmliche Rente zum Nulltarif wird es nicht geben. Und die zweite: Wenn man alle diese Kosten auf den Faktor Arbeit umlegt, dann hat das Auswirkungen auf unsere Wettbewerbsfähigkeit und somit auch auf das Arbeitsplatzangebot.
Was halten Sie vom Vorhaben der Union, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung anzupassen?
Das ist ein sehr ambitioniertes Ziel, weil der Zuwachs an Lebenserwartung nicht dem Zuwachs an gesunden Lebensjahren entspricht. Deshalb hielte ich es für eine fairere Lösung, wenn man von jedem Lebensjahr vielleicht 50 Prozent anrechnen würde. Zudem: Es wird auch in Zukunft Menschen geben, die bereits mit 60 oder 63 Jahren aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können. Auch für die braucht es faire Ausstiegsmöglichkeiten. Die Erwerbsminderungsrente ist unzureichend: Durchschnittlich 711 Euro im Monat – das ist zu wenig.
Es gibt Prognosen, dass eine höhere Erwerbsquote von Frauen viele Probleme der Rentenversicherung lösen könnte. Teilen Sie diese Auffassung?
Wir haben dazu gar keine Alternative. Das wäre der Turbo, um Rentenniveau und Beitragssätze gleichermaßen langfristig stabil zu halten. Das Potenzial der Erwerbsbevölkerung wird aus demografischen Gründen abnehmen, deshalb müssen wir diese Chance, die wir haben, nutzen. Ein weiterer positiver Effekt würde sich ergeben, wenn der Lohnabstand zwischen Männern und Frauen verringert würde. Wir müssen viel mehr in Kinderbetreuung, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, auch von Beruf und Pflege investieren, weil wir die Erwerbsbeteiligung von Frauen brauchen.
Es werden ja immer wieder Vorwürfe laut, dass die Politik junge Beitragszahler zugunsten der Rentner über Gebühr beansprucht. Sehen Sie diesen Konflikt auch?
Nein. Wenn Ministerin Nahles über das Rentenniveau von 2045 spricht, betrifft das die Menschen, die heute im Erwerbsleben stehen, die sich also eher der Generation der Jungen zuordnen. Derzeit geht es darum, das Rentensystem so zu gestalten, dass auch diejenigen, die heute arbeiten und Beiträge zahlen, eine verlässliche Perspektive haben. Im Übrigen: Auch die Rentner von heute mussten bereits Federn lassen. Es gibt Berechnungen, dass im Vergleich zu 1992 rund 30 Prozent der Ansprüche abgebaut wurden.
Was würden Sie denn einem Beitragszahler um die 40 Jahre empfehlen, um der Altersarmut vorzubeugen?
Ich würde jedem raten, sich um seine Gesundheit zu kümmern, weil das die beste Altersvorsorge ist. Wer bis zum Renteneintrittsalter arbeiten und Rentenanwartschaften erwerben kann, hat ein geringeres Risiko, im Alter arm zu sein. Auch in Bildung zu investieren, zahlt sich aus und schützt vor Altersarmut. Die meisten Menschen, die heutzutage im Alter auf Grundversicherung angewiesen sind, haben keinen Beruf erlernt.