Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Christus im Ruhestand
Von Bob Dylan und seiner Nobel-Absenz war diese Woche schon die Rede, und – nebenbei gesagt – man wunderte sich, dass sich so viele wunderten. Dylan ließ sich doch noch nie mit Normalmaß messen. Er blieb sich einfach treu. Was einem aus diesem Anlass aber wieder einmal kurz durch den Kopf zuckte, war eine Uraltanekdote: In seinem berühmten „Blowing in The Wind“von 1963 sollen damals einige
statt „the answer my friend" (die Antwort, mein Freund) zunächst „the ants are my friends“verstanden haben (die
Ameisen sind meine Freunde). Bei Dylans hochpoetischen Texten musste man zwar immer auf die abstrusesten Bilder gefasst sein, aber das hatte er nun sicher nicht gemeint. Nicht weit weg von solchen Verhörern sind die volksetymologischen Verballhornungen, von denen es in unserer Sprache nur so wimmelt. Dabei wird ein fremdsprachliches oder uns fremd erscheinendes Wort einfach nach dem Vorbild eines sich ähnlich anhörenden deutschen Wortes umgebildet, und irgendwann gerät die Herkunft in Vergessenheit. Drei Beispiele: Die Armbrust hält man zwar im Arm und drückt sie an die Brust, aber mit beidem hat der Name dieser alten Schusswaffe nichts zu tun. Aus lateinisch arcus (Bogen) und ballista (Geschoss, Wurfmaschine) wurde später arcuballista, dann altfranzösisch arbalestre, und das modelten die Deutschen – weil sie es nicht richtig verstanden – im Mittelalter zu Armbrust um. Wer denkt, die Lachmöwe breche ab und zu in Gelächter aus, der irrt. Das Ursprungswort ist Lache. Wie lateinisch lacus, englisch lake sowie gälisch loch steht es für Gewässer, aber irgendwann wurde das nicht mehr verstanden. Schließlich wächst der Meerrettich nicht im Meer oder am Meer, und er kam auch nicht übers Meer zu uns, wie man fälschlicherweise annahm, sondern der Name bedeutet mehr als ein Rettich, weil einem seine enorme Schärfe die Tränen in die Augen treibt. Apropos mehr. Da drängt sich doch noch einmal ein Schlenker zu den Verhörern auf: Mehr Licht! sollen Goethes letzte Worte auf dem Totenbett gewesen sein. Aber vielleicht hat der gebürtige Hesse nur noch einen letzten Stoßseufzer formulieren und sagen wollen: Mer liescht hier so schlecht. Gerade bricht wieder die hohe Zeit der kindlichen Verhörer an. Höchst kurios sind die Fehlinterpretationen unserer Jüngsten, wenn das geheimnisvolle Weihnachtsgeschehen ihre Vorstellungskraft überfordert. Da kehrt das Christkind mit seiner Säge ein in jedes Haus (Alle Jahre wieder), da stehen die rötlichen Hirten betend vor der Krippe (Ihr Kinderlein kommet), und da schüttelt sich der Gottessohn namens Owi vor Lachen aus (Stille Nacht, heilige Nacht). Beim letzten Lied hat ein kleiner Knirps auch einmal in eine ganz andere Richtung gedacht: Christ, der
Rentner, ist da! sang er mit Inbrunst. Frau Nahles, übernehmen Sie! Wenn Sie Anregungen zu Sprachthemen haben, schreiben Sie! Schwäbische Zeitung, Kulturredaktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg