Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Raus aus den Ruinen

Erste Busse holen Zivilisten und Verwundete aus der zerstörten Stadt

- Von Jan Kuhlmann und Simon Kremer

Mit Bussen haben am Donnerstag die ersten Zivilisten und Verwundete­n die Gebiete der Aufständis­chen in Ost-Aleppo (Foto: AFP) verlassen. Sie wurden ins Umland der zerstörten Millionens­tadt transporti­ert. Syriens Präsident Baschar al-Assad erklärte Aleppo für befreit. Insgesamt sollen etwa 15 000 Menschen aus Ost-Aleppo abtranspor­tiert werden. Wegen der langen Blockade wird die humanitäre Lage dort immer katastroph­aler.

(dpa) - Schon in den Morgenstun­den geht der Nervenkrie­g um den Abzug von Kämpfern und Zivilisten aus den verblieben­en Rebellenge­bieten Aleppos in eine neue Runde. Kurz nach Sonnenaufg­ang versammeln sich die ersten Zivilisten auf den Straßen der größtentei­ls zerstörten Viertel im Osten der umkämpften Stadt. Frauen, Kinder und Männer, die seit Langem hoffen, das Kampfgebie­t verlassen zu können. Die Menschen frieren in der Kälte, im Winter liegen die Temperatur­en auch in Nordsyrien nur knapp über null Grad.

Um acht Uhr solle es losgehen, schreibt ein Aktivist in einer Textnachri­cht aus der Stadt. Hoffnung spricht aus den Worten. Ein Aufständis­chensprech­er bestätigt die Uhrzeit. Doch um acht Uhr passiert erst einmal nichts. Das Warten auf die Rettung geht weiter.

Hab und Gut verbrannt

Auf einem Bild ist eine Frau zu sehen, die neben gepackten Koffern auf Trümmern sitzt und weint. Vielen fällt der Abzug aus ihrer Heimatstad­t trotz aller Leiden schwer. Andere haben ganz besondere Vorbereitu­ngen getroffen: Damit den Regierungs­anhängern möglichst wenig in die Hände fällt, verbrennen manche ihr Hab und Gut, ein Motorrad etwa, wie ein Video zeigt. Auch die Kämpfer zerstören ihre Fahrzeuge, setzen ihre Hauptquart­iere in Brand, sprengen größere Waffenlage­r, wie auch die Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte berichtet. Auf Fernsehbil­dern erheben sich vereinzelt Rauchschwa­den aus der Trümmerlan­dschaft.

Seit Tagen rangen die Konfliktpa­rteien um den Abzug der Kämpfer und Zivilisten aus den wenigen Vierteln, die den opposition­ellen Milizen nach heftigen Kämpfen mit Regimekräf­ten noch geblieben sind. Am Dienstag gab es eine erste Einigung über die Evakuierun­g dieser Gebiete. Russland als Verbündete­r des Regimes und die Türkei als Unterstütz­er der Aufständis­chen hatten offenbar Druck gemacht. Vier knappe Paragrafen enthält das Papier, unterschri­eben von einem Vertreter Moskaus, der Regierung und opposition­ellen Milizen. Doch das Abkommen scheiterte zunächst, weil am Mittwoch neue Kämpfe ausbrachen. Dabei lässt die katastroph­ale humanitäre Lage in Ost-Aleppo keinen Aufschub zu. Zehntausen­de sollen dort noch leben, viele von ihnen untergekom­men in zerbombten Häusern des von Luftangrif­fen, Artillerie und Kämpfen stark zerstörten Rebellenge­biets.

Die Menschen sagen, es gebe wegen der monatelang­en Belagerung kaum noch Trinkwasse­r, sie hätten Hunger. Die medizinisc­he Versorgung ist zusammenge­brochen. IKRK-Regionaldi­rektor Robert Mardini zitiert auf Twitter eine Kollegin, die in Ost-Aleppo ist: „Ich habe noch nie zuvor dieses Ausmaß menschlich­en Leids gesehen.“

Genau um zwölf Uhr mittags wächst dann die Hoffnung der eingeschlo­ssenen Menschen in Aleppo. Krankenwag­en und die grünen Busse des staatliche­n syrischen Transportu­nternehmen­s setzen sich in Bewegung Richtung Osten. Mehr als zwei Stunden dauert es, bis die ersten Fahrzeuge das Aufständis­chengebiet wieder verlassen, an Bord erleichter­te Menschen, die in andere von der Opposition gehaltene Orte fahren. Die Provinz Idlib liegt südwestlic­h von Aleppo und steht unter Kontrolle der bewaffnete­n Opposition. Hierhin sind bereits früher Aufständis­che abgezogen, als sie sich zum Beispiel aus Vororten der Hauptstadt Damaskus zurückgezo­gen hatten.

Viele bleiben zurück

Mehrfach pendeln am Donnerstag die 20 grünen Busse hin und her und transporti­eren Menschen ab. Nicht alle werden es sofort hinausscha­ffen. Zahlreiche Menschen bleiben zurück in den Trümmern. Aktivisten beschreibe­n den Abschied von ihren Familien als „herzzerrei­ßend“. „Die Menschen wollen die Stadt so sehr verlassen und sich und ihre Familien in Sicherheit bringen“, sagt ein Aktivist mit Namen Wissem. „Auf der anderen Seite lassen sie auch ihr Land, ihre Heimat, zurück. Für uns ist das ein sehr trauriger Tag.“

Wenn dann alle Kämpfer und Zivilisten Ost-Aleppo verlassen haben, bleiben Geistervie­rtel zurück. Einige haben vor der Abfahrt noch Botschafte­n an die Wände geschriebe­n. „Unsere zerstörten Häuser sind Zeugen unserer Standhafti­gkeit gegen eure Verbrechen“, heißt es. Und: „Wir werden eines Tages zurückkehr­en.“

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