Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Der coole Papst
Franziskus kommt auch unter jungen Menschen gut an – Traditionalisten fühlen sich dagegen vielfach von ihm übergangen
- Das ABC des Papstes beginnen Journalisten in Rom mit A wie Aktentasche, B wie Barmherzigkeit und C wie Castel Gandolfo. Schon die ersten drei Buchstaben zeigen, dass Franziskus, der am heutigen Samstag seinen 80. Geburtstag feiert, anders ist, ganz anders, als die Päpste vor ihm. Denn dieser Papst trägt seine Aktentasche selbst: ob er auf Kuba aus dem Flieger steigt oder in Rom aus dem Kleinwagen. Die Barmherzigkeit lebt er, wenn er Entstellte, Sträflinge, Obdachlose, Piusbrüder oder Schwesterkirchen besucht. Und in Castel Gandolfo, der päpstlichen Sommerresidenz kann sich erholen, wer will. Franziskus kann später im Himmel urlauben, sagt er.
Viele Freunde gewinnt Franziskus mit dieser Einstellung nicht. Im traditionsbewussten Vatikan wird auch der Buchstabe E wie Ehrentitel kritisiert. Denn unter E kommt häufig: nichts. Die früher unter Geistlichen so beliebten Ernennungen zum Monsignore, Päpstlichen Ehrenprälaten oder Apostolischen Protonotar sind deutlich zurückgegangen.
Wichtiger noch für Franziskus’ Kurs: Bischöfe wie jene in Berlin, Venedig oder Turin, deren Bischofssitze zum Teil seit Jahrhunderten automatisch mit der Kardinalswürde verbunden waren, gehen leer aus. Dafür ernennt der Papst Mitbrüder von den „Rändern der Welt“, beispielsweise aus Tonga und den Kapverden. Und vor allem ist ihm eines gelungen: Er hat die katholische Kirche vielen Gläubigen wieder näher gebracht. Junge Menschen nennen den Papst auf einmal „cool“– unter Benedikt eine undenkbare Beschreibung des Amtes.
„Terrorismus des Geschwätzes“
Seinen 80. Geburtstag begeht Papst Franziskus völlig unaufgeregt: Am Samstagmorgen feiert er einen Gottesdienst mit allen in Rom residierenden Kardinälen. Ob alle Würdenträger anschließend mit einem Glas Sekt auf die nächsten Jahre anstoßen möchten, ist ungewiss. Zu sehr hat Franziskus gerade die Kurienmitarbeiter vor den Kopf gestoßen, als er kurz vor Weihnachten 2014 den „spirituellen Alzheimer“und den „Terrorismus des Geschwätzes“im Vatikan geißelte. Daher kommt es den Beteiligten gelegen, dass der Papstgeburtstag ein „normaler Arbeitstag“mit vielen Begegnungen ist, wie das vatikanische Presseamt mitteilt.
1936 wird Jorge Mario Bergoglio als ältestes von fünf Kindern in eine tief religiöse Familie in Buenos Aires geboren. Als Bub hat der kleine Jorge vor allem drei Dinge im Kopf: Lesen, Religion und Fußball. Grundstein für seine bis heute unverbrüchliche Liebe zu Atlético San Lorenzo de Almagro, dem Club seines Stadtteils Flores, ist Lorenzos Meisterjahr 1946. Eine der größten Krisen in der Familie scheint ausgerechnet Jorges Berufung zu sein. Nur zögernd kann die so gläubige, 1981 während der Militärdiktatur verstorbene Mutter akzeptieren, dass ihr Ältester Priester, Jesuit sogar, werden will. Hatte er doch vorher eine Lehre zum Chemielaboranten absolviert. Auch im Seminar bleibt Bergoglio trotz eines fehlenden Lungenflügels aktiver Fußballer. Jorge sei nie ein begnadeter Techniker gewesen, erzählen seine Kurskollegen, aber dafür ein großer Taktiker: Er habe das Team aufgestellt und die Richtung vorgegeben. Folglich wählen ihn die Jesuiten in jungen Jahren zum Provinzial, nach etlichen Stationen und Versuchen, den als unbequem geltenden Bergoglio abzuschieben, folgt die Berufung zum Erzbischof von Buenos Aires.
Ein Priester, der die Richtung vorgibt: So versteht sich der Papst bis heute. Denn eindrücklich hat Franziskus das Image des Papstamtes selbst seit seinem Amtsantritt im März 2013 verändert: Nach dem Rücktritt von Benedikt XVI. sprachen Beobachter von einer Entmythisierung, gar von einer „Entzauberung“des Amtes war die Rede. Franziskus hat diese Entwicklung noch vorangetrieben: Wer eine arme Kirche für die Armen predigt und persönlich vorlebt, der wird die Kirche länger und tiefer prägen als jede Enzyklika, sagen die gleichen Beobachter heute. So stellt Franziskus sich die Kirche unter anderem als eine umgekehrte Pyramide vor, die von unten geführt wird und nicht von den Mächtigen oben in Rom.
Dass ihm das Motto von einer „armen Kirche für die Armen“ernst ist, zeigen seine unzähligen Treffen mit Obdachlosen, Flüchtlingen, Häftlingen, Ausgestoßenen. In einer Predigt auf der Flüchtlingsinsel Lampedusa im Juli 2013 mahnt er: „Wir haben uns an das Leiden des anderen gewöhnt, es betrifft uns nicht, es interessiert uns nicht, es geht uns nichts an! (…) Die Globalisierung der Gleichgültigkeit hat uns die Fähigkeit zu weinen genommen!“Annette Schavan, Botschafterin beim Heiligen Stuhl, beobachtet: „Seine Schwerpunkte für das Pontifikat sind klar: die Armen, die Peripherie und die Barmherzigkeit. Er appelliert, nicht der Logik der Gesetzeslehrer zu folgen, sondern der Logik Jesu. Er will, dass die Kirche erwachsen wird. Dazu gehört für ihn mehr Aufmerksamkeit vor den Lebenslagen von Menschen.“
Was ist Franziskus wirklich wichtig? Die Menschen werden von Objekten zu Subjekten. Nicht mehr die Struktur der Kirche steht im Vordergrund, sondern der Mensch, für dessen Heilssorge die Kirche antritt. Deutlich wird dies, wenn er Grundsatzreden zu sozialer Gerechtigkeit hält.
Dass die Mächtigen ihn nicht hören wollen, ist Franziskus egal. In der Enzyklika „Laudato Si“betont er die Verbindung zwischen nachhaltiger Entwicklung und sozialer Gerechtigkeit: „Der Rhythmus des Konsums, der Verschwendung und der Veränderung der Umwelt hat die Kapazität des Planeten derart überschritten, dass der gegenwärtige Lebensstil nur in Katastrophen enden kann.“Dieser Gleichklang wird künftig in der katholischen Lehre schwer zu entkoppeln sein.
Transparente Finanzen
Der interreligiöse Dialog mit den Orthodoxen kommt in Fahrt, in Schweden lobt Franziskus die Reformation. Zum Schrecken seines Umfelds packt Franziskus Themen wie die oft verkniffene Sexualmoral der Kirche auf: „Wenn jemand schwul ist, und er den Herren sucht und guten Willen zeigt, wer bin ich, das zu verurteilen.“Die Vatikanfinanzen werden transparenter. Und Fragen, ob das Diakonat der Frau kommen darf, werden offen diskutiert. Auch wenn zur Enttäuschung vieler bei vielen seiner Reformen bisher keine Ergebnisse greifbar sind: Zumindest bricht er Tabuthemen auf.
Bei einem 80-Jährigen, selbst beim Papst, ist die Frage nach dem Ruhestand erlaubt. Franziskus selbst hatte das Thema schon zu Beginn seiner Amtszeit angesprochen: Sollte er zu schwach für das Amt sein, könne er sich einen Rücktritt wie Benedikt vorstellen. Und: Sein Pontifikat werde ein kurzes. Innerhalb der nächsten fünf Jahre könnte sich das entscheiden, sagt Vatikankenner Marco Politi. „Es ist ganz klar, was er macht, wenn seine körperlichen Kräfte nicht mehr reichen.“
Unklar ist, ob der nächste Papst den Kurs seines Vorgängers beibehalten wird. Denn ob die heute 120 wahlberechtigten Kardinäle im Konklave abermals den Mut aufbringen, einen in jeglicher Hinsicht als Außenseiter zu charakterisierenden Mann zu wählen, ist fraglich. Häufig folgte auf einen Mann der Kurie ein Reformer, dann kam wieder ein „Römer“. Beispiele aus jüngerer Zeit belegen dies: Nach Pius XII., der fast sein ganzes Berufsleben im Vatikan verbracht hatte, kam 1958 der zunächst als Übergangspapst gehandelte Angelo Roncalli auf den Stuhl Petri. Als Johannes XXIII. wurde er zum Konzilspapst. 1963 folgte wieder ein „Römer“: Paul VI. Nach dessen Tod, im August 1978, entschieden sich die Kardinäle zunächst für den bis dato völlig unbekannten Patriarchen von Venedig, den Seelsorger Albino Luciani. Er starb nach 33 Tagen, und die Kardinäle zeigten wieder Mut. Ihr Votum galt dem ersten Ausländer seit Jahrhunderten, Karol Wojtyla aus Polen, Johannes Paul II..
Ihm folgte 2005 Benedikt XVI., zuvor jahrzehntelang Präfekt der Glaubenskongregation im Vatikan: Der „Professor Papst“wurde von Jorge Mario Bergoglio, nach eigenen Worten ein Priester „vom anderen Ende der Welt“, beerbt. Bliebe es bei dieser Regel, wäre der nächste Papst wieder ein Mann des Apparats.
Nur acht Europäer ernannt
Zwar hat Franziskus auch mit seinen Kardinalsernennungen das Gesicht der Kirche verändert. Das Gremium, das den nächsten Papst zu wählen hat, ist in seinen knapp vier Amtsjahren deutlich globaler geworden. Von den 44 zur Wahl berechtigten Kardinälen, die Franziskus ernannte, sind nur acht Europäer. Vom „Alten Kontinent“kommen insgesamt nur noch 54 Purpurträger. Aus Lateinamerika, Asien, Afrika und Ozeanien stammen 53 Papstwähler, 13 aus Nordamerika. Die Ränder sind stärker vertreten als jemals zuvor. Aber ob die Männer „vom Rand“sich auf einen der ihren verständigen und – wie bei Franziskus mit mancherlei Überraschungen rechnen müssen – oder auf einen römischen Routinier setzen, ist völlig offen.
Heute, am Geburtstag, wird weniger über wie Zukunft nach Franziskus als über den aktuellen Papst selbst zu reden sein. Glückwünsche für Franziskus gingen schon vor dem großen Tag ein. „Beten Sie für mich“– das sagt er jenen, die ihm begegnen. Botschafterin Annette Schavan meint: „Das ist auch ein gutes Geburtstagsgeschenk für ihn. Außerdem schenken wir ihm das Weihnachtsoratorium von Bach, gesungen vom Thomanerchor Leipzig.“
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