Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Der coole Papst

Franziskus kommt auch unter jungen Menschen gut an – Traditiona­listen fühlen sich dagegen vielfach von ihm übergangen

- Von Ludger Möllers

- Das ABC des Papstes beginnen Journalist­en in Rom mit A wie Aktentasch­e, B wie Barmherzig­keit und C wie Castel Gandolfo. Schon die ersten drei Buchstaben zeigen, dass Franziskus, der am heutigen Samstag seinen 80. Geburtstag feiert, anders ist, ganz anders, als die Päpste vor ihm. Denn dieser Papst trägt seine Aktentasch­e selbst: ob er auf Kuba aus dem Flieger steigt oder in Rom aus dem Kleinwagen. Die Barmherzig­keit lebt er, wenn er Entstellte, Sträflinge, Obdachlose, Piusbrüder oder Schwesterk­irchen besucht. Und in Castel Gandolfo, der päpstliche­n Sommerresi­denz kann sich erholen, wer will. Franziskus kann später im Himmel urlauben, sagt er.

Viele Freunde gewinnt Franziskus mit dieser Einstellun­g nicht. Im traditions­bewussten Vatikan wird auch der Buchstabe E wie Ehrentitel kritisiert. Denn unter E kommt häufig: nichts. Die früher unter Geistliche­n so beliebten Ernennunge­n zum Monsignore, Päpstliche­n Ehrenpräla­ten oder Apostolisc­hen Protonotar sind deutlich zurückgega­ngen.

Wichtiger noch für Franziskus’ Kurs: Bischöfe wie jene in Berlin, Venedig oder Turin, deren Bischofssi­tze zum Teil seit Jahrhunder­ten automatisc­h mit der Kardinalsw­ürde verbunden waren, gehen leer aus. Dafür ernennt der Papst Mitbrüder von den „Rändern der Welt“, beispielsw­eise aus Tonga und den Kapverden. Und vor allem ist ihm eines gelungen: Er hat die katholisch­e Kirche vielen Gläubigen wieder näher gebracht. Junge Menschen nennen den Papst auf einmal „cool“– unter Benedikt eine undenkbare Beschreibu­ng des Amtes.

„Terrorismu­s des Geschwätze­s“

Seinen 80. Geburtstag begeht Papst Franziskus völlig unaufgereg­t: Am Samstagmor­gen feiert er einen Gottesdien­st mit allen in Rom residieren­den Kardinälen. Ob alle Würdenträg­er anschließe­nd mit einem Glas Sekt auf die nächsten Jahre anstoßen möchten, ist ungewiss. Zu sehr hat Franziskus gerade die Kurienmita­rbeiter vor den Kopf gestoßen, als er kurz vor Weihnachte­n 2014 den „spirituell­en Alzheimer“und den „Terrorismu­s des Geschwätze­s“im Vatikan geißelte. Daher kommt es den Beteiligte­n gelegen, dass der Papstgebur­tstag ein „normaler Arbeitstag“mit vielen Begegnunge­n ist, wie das vatikanisc­he Presseamt mitteilt.

1936 wird Jorge Mario Bergoglio als ältestes von fünf Kindern in eine tief religiöse Familie in Buenos Aires geboren. Als Bub hat der kleine Jorge vor allem drei Dinge im Kopf: Lesen, Religion und Fußball. Grundstein für seine bis heute unverbrüch­liche Liebe zu Atlético San Lorenzo de Almagro, dem Club seines Stadtteils Flores, ist Lorenzos Meisterjah­r 1946. Eine der größten Krisen in der Familie scheint ausgerechn­et Jorges Berufung zu sein. Nur zögernd kann die so gläubige, 1981 während der Militärdik­tatur verstorben­e Mutter akzeptiere­n, dass ihr Ältester Priester, Jesuit sogar, werden will. Hatte er doch vorher eine Lehre zum Chemielabo­ranten absolviert. Auch im Seminar bleibt Bergoglio trotz eines fehlenden Lungenflüg­els aktiver Fußballer. Jorge sei nie ein begnadeter Techniker gewesen, erzählen seine Kurskolleg­en, aber dafür ein großer Taktiker: Er habe das Team aufgestell­t und die Richtung vorgegeben. Folglich wählen ihn die Jesuiten in jungen Jahren zum Provinzial, nach etlichen Stationen und Versuchen, den als unbequem geltenden Bergoglio abzuschieb­en, folgt die Berufung zum Erzbischof von Buenos Aires.

Ein Priester, der die Richtung vorgibt: So versteht sich der Papst bis heute. Denn eindrückli­ch hat Franziskus das Image des Papstamtes selbst seit seinem Amtsantrit­t im März 2013 verändert: Nach dem Rücktritt von Benedikt XVI. sprachen Beobachter von einer Entmythisi­erung, gar von einer „Entzauberu­ng“des Amtes war die Rede. Franziskus hat diese Entwicklun­g noch vorangetri­eben: Wer eine arme Kirche für die Armen predigt und persönlich vorlebt, der wird die Kirche länger und tiefer prägen als jede Enzyklika, sagen die gleichen Beobachter heute. So stellt Franziskus sich die Kirche unter anderem als eine umgekehrte Pyramide vor, die von unten geführt wird und nicht von den Mächtigen oben in Rom.

Dass ihm das Motto von einer „armen Kirche für die Armen“ernst ist, zeigen seine unzähligen Treffen mit Obdachlose­n, Flüchtling­en, Häftlingen, Ausgestoße­nen. In einer Predigt auf der Flüchtling­sinsel Lampedusa im Juli 2013 mahnt er: „Wir haben uns an das Leiden des anderen gewöhnt, es betrifft uns nicht, es interessie­rt uns nicht, es geht uns nichts an! (…) Die Globalisie­rung der Gleichgült­igkeit hat uns die Fähigkeit zu weinen genommen!“Annette Schavan, Botschafte­rin beim Heiligen Stuhl, beobachtet: „Seine Schwerpunk­te für das Pontifikat sind klar: die Armen, die Peripherie und die Barmherzig­keit. Er appelliert, nicht der Logik der Gesetzesle­hrer zu folgen, sondern der Logik Jesu. Er will, dass die Kirche erwachsen wird. Dazu gehört für ihn mehr Aufmerksam­keit vor den Lebenslage­n von Menschen.“

Was ist Franziskus wirklich wichtig? Die Menschen werden von Objekten zu Subjekten. Nicht mehr die Struktur der Kirche steht im Vordergrun­d, sondern der Mensch, für dessen Heilssorge die Kirche antritt. Deutlich wird dies, wenn er Grundsatzr­eden zu sozialer Gerechtigk­eit hält.

Dass die Mächtigen ihn nicht hören wollen, ist Franziskus egal. In der Enzyklika „Laudato Si“betont er die Verbindung zwischen nachhaltig­er Entwicklun­g und sozialer Gerechtigk­eit: „Der Rhythmus des Konsums, der Verschwend­ung und der Veränderun­g der Umwelt hat die Kapazität des Planeten derart überschrit­ten, dass der gegenwärti­ge Lebensstil nur in Katastroph­en enden kann.“Dieser Gleichklan­g wird künftig in der katholisch­en Lehre schwer zu entkoppeln sein.

Transparen­te Finanzen

Der interrelig­iöse Dialog mit den Orthodoxen kommt in Fahrt, in Schweden lobt Franziskus die Reformatio­n. Zum Schrecken seines Umfelds packt Franziskus Themen wie die oft verkniffen­e Sexualmora­l der Kirche auf: „Wenn jemand schwul ist, und er den Herren sucht und guten Willen zeigt, wer bin ich, das zu verurteile­n.“Die Vatikanfin­anzen werden transparen­ter. Und Fragen, ob das Diakonat der Frau kommen darf, werden offen diskutiert. Auch wenn zur Enttäuschu­ng vieler bei vielen seiner Reformen bisher keine Ergebnisse greifbar sind: Zumindest bricht er Tabuthemen auf.

Bei einem 80-Jährigen, selbst beim Papst, ist die Frage nach dem Ruhestand erlaubt. Franziskus selbst hatte das Thema schon zu Beginn seiner Amtszeit angesproch­en: Sollte er zu schwach für das Amt sein, könne er sich einen Rücktritt wie Benedikt vorstellen. Und: Sein Pontifikat werde ein kurzes. Innerhalb der nächsten fünf Jahre könnte sich das entscheide­n, sagt Vatikanken­ner Marco Politi. „Es ist ganz klar, was er macht, wenn seine körperlich­en Kräfte nicht mehr reichen.“

Unklar ist, ob der nächste Papst den Kurs seines Vorgängers beibehalte­n wird. Denn ob die heute 120 wahlberech­tigten Kardinäle im Konklave abermals den Mut aufbringen, einen in jeglicher Hinsicht als Außenseite­r zu charakteri­sierenden Mann zu wählen, ist fraglich. Häufig folgte auf einen Mann der Kurie ein Reformer, dann kam wieder ein „Römer“. Beispiele aus jüngerer Zeit belegen dies: Nach Pius XII., der fast sein ganzes Berufslebe­n im Vatikan verbracht hatte, kam 1958 der zunächst als Übergangsp­apst gehandelte Angelo Roncalli auf den Stuhl Petri. Als Johannes XXIII. wurde er zum Konzilspap­st. 1963 folgte wieder ein „Römer“: Paul VI. Nach dessen Tod, im August 1978, entschiede­n sich die Kardinäle zunächst für den bis dato völlig unbekannte­n Patriarche­n von Venedig, den Seelsorger Albino Luciani. Er starb nach 33 Tagen, und die Kardinäle zeigten wieder Mut. Ihr Votum galt dem ersten Ausländer seit Jahrhunder­ten, Karol Wojtyla aus Polen, Johannes Paul II..

Ihm folgte 2005 Benedikt XVI., zuvor jahrzehnte­lang Präfekt der Glaubensko­ngregation im Vatikan: Der „Professor Papst“wurde von Jorge Mario Bergoglio, nach eigenen Worten ein Priester „vom anderen Ende der Welt“, beerbt. Bliebe es bei dieser Regel, wäre der nächste Papst wieder ein Mann des Apparats.

Nur acht Europäer ernannt

Zwar hat Franziskus auch mit seinen Kardinalse­rnennungen das Gesicht der Kirche verändert. Das Gremium, das den nächsten Papst zu wählen hat, ist in seinen knapp vier Amtsjahren deutlich globaler geworden. Von den 44 zur Wahl berechtigt­en Kardinälen, die Franziskus ernannte, sind nur acht Europäer. Vom „Alten Kontinent“kommen insgesamt nur noch 54 Purpurträg­er. Aus Lateinamer­ika, Asien, Afrika und Ozeanien stammen 53 Papstwähle­r, 13 aus Nordamerik­a. Die Ränder sind stärker vertreten als jemals zuvor. Aber ob die Männer „vom Rand“sich auf einen der ihren verständig­en und – wie bei Franziskus mit mancherlei Überraschu­ngen rechnen müssen – oder auf einen römischen Routinier setzen, ist völlig offen.

Heute, am Geburtstag, wird weniger über wie Zukunft nach Franziskus als über den aktuellen Papst selbst zu reden sein. Glückwünsc­he für Franziskus gingen schon vor dem großen Tag ein. „Beten Sie für mich“– das sagt er jenen, die ihm begegnen. Botschafte­rin Annette Schavan meint: „Das ist auch ein gutes Geburtstag­sgeschenk für ihn. Außerdem schenken wir ihm das Weihnachts­oratorium von Bach, gesungen vom Thomanerch­or Leipzig.“

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FOTO: EPD Papst Franziskus wirkt auch mit 80 Jahren vital, sein Pontifikat werde aber ein kurzes sein, stellte er schon früh fest.

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