Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Die Kinder merken nicht, dass sie manipulier­t werden“

Thomas Mücke, Experte für Prävention von religiösem Extremismu­s, über radikalisi­erte Jugendlich­e und wie ihnen geholfen werden kann

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- Schutzbedü­rftige Jugendlich­e sind eine Zielgruppe der islamistis­chen Propaganda. Im Gespräch mit Alexei Makartsev erzählt Thomas Mücke, Leiter der Beratungss­telle Baden-Württember­g im Violence Prevention Network (Foto: VPN/Sven Klages), wie den betroffene­n Familien geholfen werden kann.

Was geht im Kopf eines Schülers vor, der eine Bombe legen und vielleicht Menschen töten will?

Solche Kinder können oft nicht einschätze­n, was richtig oder falsch ist. Sie merken nicht, dass sie manipulier­t werden. Die Extremiste­n machen ihnen Angst, durch die religiöse Sprache wird vermittelt, dass das Attentat notwendig ist. Wenn man die Jugendlich­en dann nach den Gründen für ihr Handeln fragt, haben sie oft keine Antwort parat. Umso mehr muss man darauf achten, wenn sich junge Menschen in ihrem Verhalten plötzlich verändern – dann könnten sie gefährdet sein.

Wie verhindert man, dass sich Jugendlich­e durch Kontakt mit Islamisten im Internet radikalisi­eren?

Das Internet ist selten die Ursache der Radikalisi­erung. Meistens findet sie eher durch direkte Kontakte statt. Die Extremiste­n gehen dabei auf die emotionale­n Bedürfniss­e ihrer Opfer ein und versuchen ihnen ein Gefühl der Geborgenhe­it und Gemeinscha­ft zu geben. Das Internet hat dann eine verstärken­de Wirkung. Die extremisti­sche Propaganda­maschine manipulier­t die Jugendlich­en so weit, dass sie andere Sichtweise­n gar nicht mehr zulassen.

Wie können Sie helfen?

Wenn die Familienan­gehörigen uns kontaktier­en, weil sie merken, dass mit den Jugendlich­en etwas nicht stimmt, muss es ganz schnell gehen. Wir versuchen, die Eltern-Kind-Beziehung zu stärken und direkten Kontakt mit den betroffene­n Personen aufzunehme­n. Wenn es um Kinder geht, wird das Jugendamt eingeschal­tet. Wir begleiten dann die Jugendlich­en schließlic­h ein oder zwei Jahre lang, um sie aus dieser Szene hinauszufü­hren.

Wie ist ihre Erfolgsquo­te?

Sie ist hoch. Die größten Probleme gibt es mit Familien, die erst sehr spät unsere Beratung in Anspruch nehmen. Ich rate daher allen Betroffene­n dazu, möglichst schnell die zentrale Hotline des Bundesamts für Migration und Flüchtling­e anzurufen, wenn sich die Jugendlich­en verändern. Das Bundesamt vermittelt Kontakt zu örtlichen Beratern, die schnell handeln können.

Wie kann man erkennen, dass Jugendlich­e radikalisi­ert sind?

Sie verlassen abrupt ihren Freundeskr­eis, ihr Wesen verändert sich schnell, sie denken oft nur in „Schwarz-WeißKatego­rien“ oder sprechen davon, dass man als Muslim nicht in Deutschlan­d leben kann. Bei Kindern haben wir noch zu wenige Erfahrunge­n, um solche Signale zu benennen.

Muss man Eltern stärker in die Pflicht nehmen, damit sie rechtzeiti­g auf die Gefahr reagieren?

Das sehe ich nicht so. Keine Familie ist davor gefeit, das ihr Kind mit der extremisti­schen Szene in Berührung kommt. Es kann auch die Tochter eines Polizisten oder den Sohn eines Lehrers treffen. Man kann die Eltern nicht unterstütz­en, indem man sie noch mehr unter Druck setzt. Aber man muss Druck gegen Strukturen aufbauen, die Kinder für ihre Zwecke missbrauch­en. Da muss der Staat einschreit­en.

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