Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Mit Biokaffee gegen die Bahn

Start-up Locomore will Zugverkehr zwischen Stuttgart und Berlin aufmischen

- Von Wolfgang Mulke

- Neues Zeitalter am Stuttgarte­r Hauptbahnh­of. Am Mittwochmo­rgen ist der knallorang­efarbene Zug des Bahnneulin­gs Locomore zu seiner ersten Fahrt nach Berlin aufgebroch­en. Mit Tempo 200 ist der Zug dort nach rund sieben Stunden angekommen. Mit günstigen Ticketprei­sen und ungewöhnli­chen Angeboten während der Fahrt will der Gründer Derek Ladewig der Deutschen Bahn Kunden abjagen.

Ladewig schickt einen renovierte­n IC auf das Gleis. An Bord will sich der Neuling deutlich durch mehr Platz und Gemütlichk­eit vom Branchenpr­imus abgrenzen. Der Kaffee ist bio und fair gehandelt. Mit 1,80 Euro pro Becher und zwei Euro für den Espresso verzichtet Locomore auf die deftigen Preise in den Bistros der Deutschen Bahn. Das kleine Schnitzel mit Gurkensala­t steht für 6,80 Euro auf der Karte der kalten Speisen. Warme gibt es nicht.

In den Sechserabt­eilen werden nur drei Plätze vergeben, damit die Fahrgäste komfortabl­en Platz haben. Es gibt auch Themenabte­ile, in denen sich Gleichgesi­nnte zusammenfi­nden können. Mal wird gespielt, mal über Literatur oder Sport parliert. Das jeweilige Motto wird schon bei der Buchung angezeigt. Und für Familien mit Kindern sind mit Spielzeug oder Büchern präpariert­e Abteile vorgesehen. Zudem gibt es eine begrenzte Möglichkei­t, das eigene Fahrrad mitzunehme­n.

Stuttgart-Berlin ab 22 Euro

„Es ist ein klares und verlässlic­hes Produkt“, sagt Ladewig. Das zeigt sich in der Preisstruk­tur. Der maximale Basispreis soll immer unterhalb des normalen Preises mit Bahncard 50 der Deutschen Bahn liegen. Die einfache Fahrt zwischen Stuttgart und Berlin kostet daher je nach Auslastung höchstens 65 Euro. An weniger begehrten Tagen kann das Ticket aber auch schon für 22 Euro angeboten werden.

Die Höhe richtet sich nach der Verfügbark­eit und der Auslastung der Züge. Teilstreck­en sind entspreche­nd billiger. Die erste Klasse heißt bei Locomore Businessta­rif und kostet auf der gesamten Strecke zwischen 38 Euro und 98 Euro für die einfache Fahrt. Dafür sitzen die Reisenden im Dreierabte­il, erhalten Zeitungen und bei längeren Fahrten auch einen Snack und ein Getränk.

Ladewig begibt sich auf ein sehr schwierige­s Terrain. Bisher konnten neue Anbieter im Wettbewerb mit der Deutschen Bahn keinen Blumentopf gewinnen. Die Interconne­x-Linie zwischen Leipzig und Rostock wurde inzwischen wieder eingestell­t.

Das Start-Up „derschnell­zug“gab im Frühjahr schon vor der ersten Fahrt wieder auf. Einzig der HKWExpress zwischen Hamburg und Köln hat sich halten können, musste aber den Fahrplan bereits mächtig ausdünnen und pendelt praktisch nur noch über die verlängert­en Wochenendt­age zwischen beiden Städten.

Kapital durch Crowdfundi­ng

Neue Anbieter stehen vor zwei großen Problemen. Das Geschäft erfordert reichlich Kapital, das angesichts kaum abschätzba­rer Erfolge schwer aufzutreib­en ist. Und es gibt kaum gebrauchte Züge auf dem Markt. Größter Anbieter dafür ist die Deutsche Bahn, die mittlerwei­le aber selbst kaum noch genügend Waggons im Bestand hat. „Das ist eine Resterampe“, sagt Ladewig zu dem alten Material, dass noch verkauft wird. Es sei die größte Schwierigk­eit gewesen, den IC für Locomore zu erwerben und zu modernisie­ren.

Noch eine Besonderhe­it zeichnet das Unternehme­n aus. Das notwendige Kapital sammelte Locomore per Crowdfundi­ng ein. 460 000 Euro mussten wenigstens zusammenko­mmen. Inzwischen sind es laut Ladewig über 600 000 Euro. Ob sich die Beteiligun­g lohnt, muss sich nun erweisen. Nach drei Monaten werde der Zug in die schwarzen Zahlen fahren, hofft Ladewig. Dann könnten auch die Vorbereitu­ngen für eine Verlängeru­ng der Linie bis nach München oder die Eröffnung einer weiteren Strecke zwischen Binz und Bonn losgehen.

Als ein kleiner Wettbewerb­svorteil könnte sich eine Besonderhe­it in den Abteilen des Locomore-Zuges erweisen, die älteren Bahnreisen­den noch in Erinnerung sein dürfte. Die Sitze können so ausgezogen werden, dass daraus eine Liegefläch­e wird, auf der sich Fahrgäste bequem ausstrecke­n können.

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FOTO: DPA Ein Zug des neuen Crowdfundi­ng-Unternehme­ns Locomore am Stuttgarte­r Hauptbahnh­of. Mit günstigen Preisen will das Start-up der Bahn Konkurrenz machen.

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