Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Mit Biokaffee gegen die Bahn
Start-up Locomore will Zugverkehr zwischen Stuttgart und Berlin aufmischen
- Neues Zeitalter am Stuttgarter Hauptbahnhof. Am Mittwochmorgen ist der knallorangefarbene Zug des Bahnneulings Locomore zu seiner ersten Fahrt nach Berlin aufgebrochen. Mit Tempo 200 ist der Zug dort nach rund sieben Stunden angekommen. Mit günstigen Ticketpreisen und ungewöhnlichen Angeboten während der Fahrt will der Gründer Derek Ladewig der Deutschen Bahn Kunden abjagen.
Ladewig schickt einen renovierten IC auf das Gleis. An Bord will sich der Neuling deutlich durch mehr Platz und Gemütlichkeit vom Branchenprimus abgrenzen. Der Kaffee ist bio und fair gehandelt. Mit 1,80 Euro pro Becher und zwei Euro für den Espresso verzichtet Locomore auf die deftigen Preise in den Bistros der Deutschen Bahn. Das kleine Schnitzel mit Gurkensalat steht für 6,80 Euro auf der Karte der kalten Speisen. Warme gibt es nicht.
In den Sechserabteilen werden nur drei Plätze vergeben, damit die Fahrgäste komfortablen Platz haben. Es gibt auch Themenabteile, in denen sich Gleichgesinnte zusammenfinden können. Mal wird gespielt, mal über Literatur oder Sport parliert. Das jeweilige Motto wird schon bei der Buchung angezeigt. Und für Familien mit Kindern sind mit Spielzeug oder Büchern präparierte Abteile vorgesehen. Zudem gibt es eine begrenzte Möglichkeit, das eigene Fahrrad mitzunehmen.
Stuttgart-Berlin ab 22 Euro
„Es ist ein klares und verlässliches Produkt“, sagt Ladewig. Das zeigt sich in der Preisstruktur. Der maximale Basispreis soll immer unterhalb des normalen Preises mit Bahncard 50 der Deutschen Bahn liegen. Die einfache Fahrt zwischen Stuttgart und Berlin kostet daher je nach Auslastung höchstens 65 Euro. An weniger begehrten Tagen kann das Ticket aber auch schon für 22 Euro angeboten werden.
Die Höhe richtet sich nach der Verfügbarkeit und der Auslastung der Züge. Teilstrecken sind entsprechend billiger. Die erste Klasse heißt bei Locomore Businesstarif und kostet auf der gesamten Strecke zwischen 38 Euro und 98 Euro für die einfache Fahrt. Dafür sitzen die Reisenden im Dreierabteil, erhalten Zeitungen und bei längeren Fahrten auch einen Snack und ein Getränk.
Ladewig begibt sich auf ein sehr schwieriges Terrain. Bisher konnten neue Anbieter im Wettbewerb mit der Deutschen Bahn keinen Blumentopf gewinnen. Die Interconnex-Linie zwischen Leipzig und Rostock wurde inzwischen wieder eingestellt.
Das Start-Up „derschnellzug“gab im Frühjahr schon vor der ersten Fahrt wieder auf. Einzig der HKWExpress zwischen Hamburg und Köln hat sich halten können, musste aber den Fahrplan bereits mächtig ausdünnen und pendelt praktisch nur noch über die verlängerten Wochenendtage zwischen beiden Städten.
Kapital durch Crowdfunding
Neue Anbieter stehen vor zwei großen Problemen. Das Geschäft erfordert reichlich Kapital, das angesichts kaum abschätzbarer Erfolge schwer aufzutreiben ist. Und es gibt kaum gebrauchte Züge auf dem Markt. Größter Anbieter dafür ist die Deutsche Bahn, die mittlerweile aber selbst kaum noch genügend Waggons im Bestand hat. „Das ist eine Resterampe“, sagt Ladewig zu dem alten Material, dass noch verkauft wird. Es sei die größte Schwierigkeit gewesen, den IC für Locomore zu erwerben und zu modernisieren.
Noch eine Besonderheit zeichnet das Unternehmen aus. Das notwendige Kapital sammelte Locomore per Crowdfunding ein. 460 000 Euro mussten wenigstens zusammenkommen. Inzwischen sind es laut Ladewig über 600 000 Euro. Ob sich die Beteiligung lohnt, muss sich nun erweisen. Nach drei Monaten werde der Zug in die schwarzen Zahlen fahren, hofft Ladewig. Dann könnten auch die Vorbereitungen für eine Verlängerung der Linie bis nach München oder die Eröffnung einer weiteren Strecke zwischen Binz und Bonn losgehen.
Als ein kleiner Wettbewerbsvorteil könnte sich eine Besonderheit in den Abteilen des Locomore-Zuges erweisen, die älteren Bahnreisenden noch in Erinnerung sein dürfte. Die Sitze können so ausgezogen werden, dass daraus eine Liegefläche wird, auf der sich Fahrgäste bequem ausstrecken können.