Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Es war ein Event“
Die Flötistin Dorothee Oberlinger blickt auf die Anfänge der Operngeschichte zurück
(KNA) - Dorothee Oberlinger ist eine der besten Blockflötistinnen der Welt. Bei den „Tagen Alter Musik in Herne“gab die Musikerin ihr Dirigierdebut mit der Oper „Lucio Cornelio Silla“von Georg Friedrich Händel. Im Interview mit Joachim Heinz von der Katholischen NachrichtenAgentur (KNA) blickt Oberlinger auf die Anfänge der Operngeschichte zurück. Und verrät, warum auch ein großer Komponist wie Händel auf Zweitverwertung setzte.
Frau Oberlinger, was ist das eigentlich, eine Barockoper?
Die Barockoper steht am Beginn des Barock-Zeitalters um 1600 und ist vor allem mit dem Namen Claudio Monteverdi verknüpft. Dass man überhaupt Musik und Schauspiel verband, Arien sang, und mit den Rezitativen eine Geschichte erzählte, gab es vor der Barockzeit nicht. Nun standen fortan Affekt und Rhetorik, das Wort und seine Umsetzung in Musik im Vordergrund. Händel hat im Spätbarock die italienische Oper Anfang des 18. Jahrhunderts in England eingeführt. Unterschieden wurde zwischen der „Opera seria“, was man im Schauspiel eine Tragödie nennen würde, und der „Opera buffa“mit Zügen einer Komödie.
Zu welcher Kategorie gehört „Lucio Cornelio Silla“?
Drama, also eine „Opera seria“.
Woher nahmen die Barockkomponisten ihren Stoff?
Während in den Oratorien religiöse Stoffe aufgegriffen wurden, kamen in den Opern meist Stoffe aus der Antike zum Zuge. Die Figuren, die dort auftreten, sollten für gewisse Tugenden oder Untugenden stehen. Am Ende gibt es dann ein „lieto fine“, wo meistens ein „deus ex machina“im Theater vom Himmel auf die Erde kommt, den Menschen sagt, wo’s langgeht, und den Konflikt löst – so auch der Gott Mars im „Silla“.
Wofür steht dann Silla ganz speziell?
Silla ist ja sogar wirklich eine historische Figur, Plutarch hat sein Leben erzählt. Eigentlich hieß der Titelheld aus Händels Oper Lucius Cornelius Sulla, war ein Diktator, der die Macht an sich gerissen hat, viele Menschen ermorden ließ und sich beispielsweise auch Frauen gegenüber nicht nett verhielt. In der Oper wandelt sich Sulla oder Silla vom Saulus zum Paulus. Sinngemäß gibt er bekannt: „So, ich gestehe meine Untaten und lege jetzt meine Ämter nieder .... “Diesen Amtsverzicht hat es im Übrigen auch tatsächlich gegeben.
An welches Publikum richteten sich die Opern und die darin enthaltenen Botschaften?
Mit einer Eintrittskarte konnte jeder in die Oper, der angemessen gekleidet war. Da sind also sicher viele Adlige hingegangen, aber auch das Bürgertum natürlich. Es war ein Event, so wie man heute ins Kino geht oder sich einen netten Fernsehabend macht. Es ist wahrscheinlich auch nicht so seriös zugegangen wie heutzutage in klassischen Konzerten. Wenn eine Arie kam, die einem besonders gut gefiel, dann hat man so lange geklatscht, bis die wiederholt wurde. Es konnte sein, dass dieses Stück dann zwei-, drei-, viermal wiederholt wurde und es erst danach weiterging. Händels „Silla“dauert ja nur zweieinhalb Stunden, aber manche Opern waren per se schon drei bis vier Stunden lang. Sie können sich vorstellen, welche Ausmaße so ein Abend mitunter annahm.
Weiß man, wie „Lucio Cornelio Silla“damals aufgenommen wurde?
Ehrlich gesagt, weiß man noch nicht einmal, ob die Oper überhaupt aufgeführt wurde. Händel widmete sie dem Duc D'Aumont de Rochebaron. Das war der französische Botschafter in London. Vielleicht wurde das Werk im Haus des Earl of Burlington aufgeführt, Händels Gönner zu jener Zeit. Oder doch im Queens Theatre, wo man die ganzen Vorrichtungen hatte.
Welche Vorrichtungen?
Zum Beispiel eine „Meeresrolle“, die Meereswellen darstellte, die in der Oper vorkommen. Oder ein Gott, der von oben heruntergeflogen kommt, ein Unwetter, das man mit einer „Donnerrolle“machen kann. Aber man weiß das alles eben nicht, weil es nicht dokumentiert ist.
Gab es spätere Aufführungen?
Erstmal gab es einen langen Dornröschenschlaf. Händel als Meister der Wiederverwertung hat ganz viele Teile aus „Silla“später in seiner Oper „Amadigi di Gaula“wiederverwendet, was vielleicht auch ein Zeichen sein könnte, dass sie nur einmal oder gar nicht aufgeführt wurde. Erst Ende des vergangenen Jahrhunderts wurde „Silla“wieder neu entdeckt.