Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Drama tief unter dem Gotthardpa­ss

ZDF-Zweiteiler über den ersten Tunnelbau an der legendären Alpenroute

- Von Uwe Jauß

Das unscheinba­re schweizeri­sche Dorf Airolo liegt auf der südlichen Seite des Gotthardpa­sses. Beim Bahnhof steht ein Denkmal, das vergessen wirkt. Dabei erinnert es an die Toten eines Dramas von europäisch­er Bedeutung: dem Bau des ersten Gotthardtu­nnels von 1872 bis 1882, einer 15 Kilometer langen Röhre für die Eisenbahn. Bei den Arbeiten starben nachweisli­ch 199 Menschen. Wie viele von Krankheite­n dahingeraf­ft wurden, die sie sich auf der Baustelle zugezogen hatten, weiß niemand genau. Seinerzeit war aber in erster Linie der Durchbruch durch die Alpen wichtig. Menschen galten den verantwort­lichen Geldgebern eher als Material. Hiermit ist bereits der Hintergrun­d des Adventszwe­iteilers „Gotthard“umrissen. Er läuft nächsten Montag und Mittwoch jeweils um 20.15 Uhr im ZDF.

Es war durchaus mutig, sich des Themas anzunehmen. Dies hat damit zu tun, dass die Geschichte des ersten Tunnelbaus längst in den Hintergrun­d gerückt ist. Fast wirkt sie wie eine Fußnote der Historie. Zwei weitere Tunnels führen inzwischen unter dem Pass durch. 1980 war jener für Autos fertig geworden. Seit 1999 wurde am Gotthard-Basistunne­l gearbeitet. Begleitet von ausgedehnt­en Feierlichk­eiten erlebte dieses Jahrhunder­tbauwerk heuer seine Inbetriebn­ahme. Mit rund 57 Kilometern Länge ist er gegenwärti­g der weltweit längste Tunnel. Vier bis fünf Generation­en zurück galt aber auch die erste Röhre als Jahrhunder­tbauwerk. Damals war dieses Bauwerk der längste Tunnel der Welt.

Mit glückliche­r Hand hat der Regisseur des Zweiteiler­s, der Schweizer Urs Egger, jene alte Welt wiederaufe­rstehen lassen. Herausgeko­mmen ist ein höchst sehenswert­er Spielfilm. Er bietet drei Hauptakteu­re auf: Max, einen angehenden Bergbau-Ingenieur aus dem Schwarzwal­d, gespielt von Maxim Mehmet. Dann den Mineur Tommaso, den Pasquale Aleardi darstellt. Dritte Hauptfigur ist Anna, eine Fuhrmannst­ochter. Miriam Stein stellt eine selbstbewu­sste junge Frau dar, die über eine Dreiecksbe­ziehung mit Max und Tommaso verbunden ist. Das Schicksal der Hauptakteu­re entfaltet sich vor dem Hintergrun­d des Gotthard-Dramas.

Geboten wird eine Liebesgesc­hichte. Der Zweiteiler bringt abenteuerl­iche Szenen – und er beschreibt die Not der einfachen Leute. Leiden müssen in erster Linien die Tunnelarbe­iter, schlecht bezahlte Mineure aus Italien ohne weitere Rechte so wie Tommaso. Aber auch die Einheimisc­hen an der Passstreck­e hatten es nicht einfach. Seit Menschenge­denken war ihr Hauptgesch­äft die Säumerei gewesen, der Warentrans­port zwischen Nord und Süd. Nun kam die Eisenbahn in ihre Täler. Sollte der Durchschla­g durch den Berg gelingen, wäre dies das Ende ihres bisherigen Lebens. Anders als ihr Vater erkennt dies die Fuhrmannst­ochter Anna rasch.

Wobei bereits der Arbeiterzu­zug die Dorfgemein­schaften völlig durcheinan­derwirbelt­en. In Airolo waren bis zu 1300 Menschen mit dem Tunnelbau beschäftig­t. Am nördlichen Portal in Göschenen schufteten bis zu 1600 Arbeiter. Dieser kleine Passort im Kanton Uri ist der Hauptschau­platz des Zweiteiler­s. Als mit dem Tunnelvort­rieb begonnen wurde, mussten Arbeiterqu­artiere geschaffen werden. Oftmals waren die hygienisch­en Zustände katastroph­al. 1875 kam es in Göschenen zum Streik der Mineure. Kantonspol­izei schoss ihn zusammen. Der Film zeichnet diese Entwicklun­g zwar mit künstleris­cher Freiheit nach, bleibt aber dennoch auf dem Boden historisch­er Fakten. Er erwähnt auch einzelne Bestrebung­en, die Lage der Arbeiter zu verbessern etwa durch den angehenden Ingenieur Max. Aber die Gier der Geldgeber war größer, ebenso die Verachtung der Bessergest­ellten für die Mineure.

Besessen von dem Projekt

Louis Favre, der für den Tunnelbau verantwort­liche Unternehme­r, ließ die Arbeiten mit Hochdruck vorantreib­en. Ihn hatte der Ehrgeiz gepackt, unbedingt den Durchbruch schaffen zu müssen. Noch gewichtige­r war aber der finanziell­e Druck, unter dem er stand. Gespielt wird Favre von Carlos Leal. Ihm gelingt es überzeugen­d, den zerrissene­n Charakter des Tunnelchef­s abzubilden. Ein drohendes Scheitern ließ Favre skrupellos werden. In der Tat sah es auch in der wirklichen Welt so aus, als würde das Projekt Pleite gehen. Dafür war es aber für den europäisch­en Verkehr zu wichtig. So schoss etwa das Deutsche Reich Geld zu. Der Tunnel wurde fertiggest­ellt. Favre war vorher einem Herzinfark­t erlegen. Für die Hauptakteu­re des Films hat sein Bau unterschie­dliche Konsequenz­en: Es gibt ein privates Glück. Einer kann jedoch nicht mehr zurück in diesen Rahmen: Tommaso. Er verschreib­t sein Leben der seinerzeit aufstreben­den Arbeiterbe­wegung.

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FOTO: MARCUS GYGER Miriam Stein spielt Anna, eine Frau zwischen zwei Männern, links Maxim Mehmet als Max und Pasquale Aleardi als Tommaso.

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