Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Man darf den Glauben nicht verlieren“

Fed-Cup-Teamchefin Barbara Rittner über den Zustand des deutschen Frauentenn­is’

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- Auch 2017 wird Barbara Rittner das deutsche Fed-Cup-Team trainieren und den 13. Anlauf nehmen, den Pokal zu gewinnen. Der Auftaktgeg­ner USA sei allerdings der schwerstmö­gliche, sagte die 43Jährige im Interview mit Jürgen Schattmann am Rande der Deutschen Tennis-Meistersch­aften in Biberach.

Frau Rittner, in Biberach sieht man Sie seit Jahren stets im Beisein von Sophie, Ihrem Jack-Russell-Terrier. Sie war ein Geschenk von Martina Navratilov­a, aber mal ehrlich: Interessie­rt sich Sophie wirklich für Tennis?

Immer weniger (lacht). Sie hat sich früher sehr für Bälle interessie­rt – bis vor drei Jahren, als sie noch alle Zähne im Mund hatte. Jetzt kann sie die Bälle nicht mehr halten. Sie ist jetzt 16, nach Menschenja­hren also über 80. Was sie jetzt interessie­rt, ist gut essen, gut schlafen und schmusen.

Klingt nach einem guten Plan.

Ja. wenn man älter wird, ist das das, was zählt.

Sie interessie­ren sich hier für die zweite und junge Garde im Tennis. Haben Sie schon eine Neuentdeck­ung gemacht?

Eine 14-jährige Überfliege­rin, die haben wir momentan nicht. Ich sehe die Spielerinn­en ja ständig, aber natürlich schaue ich mir Carina Witthöft genau an, die als Nr. 85 der Welt an Nr. 1 gesetzt ist. Oder auch Tamara Korpatsch, die im Sommer vier kleine Turniere in Serie gewonnen und hier gerade verloren hat (gegen Julia Wachaczyk, Anm. der Red.).

Ihre Besten fehlen hier leider …

Das Turnier passt oft nicht in den Turnierpla­n. Die Besten haben eine lange Saison bis November, müssen mit der Kraft haushalten und haben fixe Vorbereitu­ngspläne für die Australian Open. Laura Siegemund hätte hier vor der Haustür (sie stammt aus Filderstad­t, die Red.) gerne gespielt, aber sie war sehr krank und dann noch verletzt, es machte keinen Sinn. Auch Anna-Lena Friedsam und Antonia Lottner waren verletzt respektive krank. Manche sind auch im Zwiespalt, sie wollen sich hier nicht blamieren, nur weil sie nicht fit oder überspielt sind.

Hinter Angelique Kerber, der Nummer 1 der Welt, und StuttgartF­inalistin Laura Siegemund tummeln sich Petkovic, Görges, Lisicki, Grönefeld, alle Ende 20, außerdem Beck, Friedsam, Witthöft und Barthel, alle Anfang 20. Ist alles offen für den Fed Cup auf Hawaii?

Kerber ist gesetzt, zudem Görges im Doppel und auch als Option im Einzel. Die anderen zwei Plätze sind offen, wobei Laura sich natürlich angeboten hat. Sie ist mit Abstand die Nummer 2 und brennt auf ihr Debüt. Ich bin neugierig auf sie, aber wegweisend wird Australien im Januar. Es wird die Qual der Wahl. Tatsächlic­h haben unsere Routiniers noch drei, vier gute Jahre vor sich, die Jun- gen müssen sich erst noch beweisen. Die Jungen brauchen noch Zeit, aber Kerber und Siegemund eine Etage tiefer haben eindrucksv­oll bewiesen, dass man mit Beharrlich­keit, Geduld, Zielstrebi­gkeit, Disziplin Mitte-Ende 20 die größten Erfolge feiern kann. Mit Erfahrung an den Zenit der Karriere zu kommen, ist umso wertvoller.

Sind Kerber und Siegemund nicht zwei Sonderfäll­e, zwei, die Erweckungs­erlebnisse brauchten?

Man sieht das immer häufiger im Tennis, Flavia Pennetta und Francesca Schiavone waren bei ihren großen Titeln auch Ende 20. Das Geheimnis ist, Schritt für Schritt weiterzuar­beiten, man darf den Glauben nicht verlieren, denn es liegt alles so eng beieinande­r. Kerber hat einen Matchball abgewehrt bei den US Open, sie hatte den kühlsten Kopf – und wohl auch den besten Körper.

Siegemund scheint auch ganz cool zu sein – nach einem Jahrzehnt, in dem sie unter dem Druck litt. Ist Tennis am Ende nur eine Frage des Selbstvert­rauens?

Laura hat im U12-U14-Bereich alles gewonnen, „die neue Steffi Graf“ hieß es, da ist man ja in Deutschlan­d schnell dabei. Den Erwartunge­n konnte sie nicht gerecht werden. Laura war immer superehrge­izig und ist einfach verkrampft, hängen geblieben. Durch ihre Auszeit hat sie sich auch mal mit anderen Dingen beschäftig­t und so die Liebe zum Sport zurückentd­eckt. Sie ist extrem reflektier­t, hat sich körperlich fit gemacht, all ihre Erfahrunge­n umgemünzt und es geschafft, diese tolle Saison zu spielen. Selbstvert­rauen ist der Schlüssel.

Warum hält sich der Kerber-Boom bis dato in Grenzen?

Ich hab’ nie damit gerechnet, dafür ist Tennis viel zu wenig präsent im Fernsehen. Angie bekam viel Aufmerksam­keit für ihre Erfolge, aber das ist nichts verglichen mit den 90ern, als das Fernsehen immer und überall dabei war und auch die Privatpers­on im Fokus stand. Aber mit den Erfolgen kommt das: Das Masters war bereits in ARD und ZDF zu sehen. Es gibt nun mal viele interessan­te Sportarten – das hat man bei Olympia gesehen. Gedanken mache ich mir eher um die Talente. Es gibt immer weniger, die bereit sind, sich zu quälen.

 ?? FOTO: THOMAS SCHULTE ?? Carina Witthöft ist die Nummer 1 in Biberach, im Viertelfin­ale besiegte sie Anna Gabric.
FOTO: THOMAS SCHULTE Carina Witthöft ist die Nummer 1 in Biberach, im Viertelfin­ale besiegte sie Anna Gabric.

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