Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Der Geläuterte
James Arthur hat sich Zeit genommen, sein Leben in den Griff zu bekommen
Erst war er ganz oben und dann ganz unten. Mit seinem zweiten Album ist James Arthur, das englische Teufelchen mit der Engelsstimme, gerade erfolgreich dabei, sich zu resozialisieren.
Das Album beginnt wie ein James-Bond-Film. Mit bläseruntermaltem Bombast, mit Dramatik, mit Wucht. Angefeuert von allen sprichwörtlichen Pauken und Trompeten singt James Arthur mit seiner fulminant geölten Prachtstimme in „Back From The Edge“, dem Titellied seines zweiten Albums, darüber, zurück zu sein. Ja, mehr als das. Zurück von den Toten, zurück vom Abgrund, zurück im Leben. „Back from the Dead/ Back to the Start/ Back to my Heart“, so geht der Refrain. „Ich wollte das Album auf jeden Fall mit so einem richtigen Starkmacher-Song eröffnen“, sagt Arthur, 28 Jahre alt. „Du solltest gleich mittendrin sein in meiner Geschichte und dich beim Hören gewissermaßen riesengroß und unbesiegbar fühlen.“
Nach dieser einleitenden Kraftansage geht es dann deutlich nachdenklicher weiter auf Arthurs Album, schnell stellt sich der Engländer auf die Euphorie-Bremse. Denn die vergangenen zwei, drei, vier Jahre im Leben und Wirken des James Arthur, sie waren nun einmal keine durchgängige, ruckelfreie Heldensaga. Sondern die Geschichte eines Underdogs, der ganz schnell ganz weit hoch schnellt, nur um dann noch tiefer abzustürzen und sich mühsam wieder aufzurappeln. „Back From The Edge“ist durch und durch ein Mainstream-Pop-Album, und es gibt auch nicht vor, etwas anderes zu sein. Doch in Sachen Wahrhaftigkeit, Authentizität und Persönlichkeit stellt es in diesem Jahr die allermeisten Konkurrenzprodukte klar in den Schatten. „Ich bin schon wahnsinnig dankbar und auch erleichtert darüber, wie fantastisch es gerade bei mir läuft“, so der Sänger, den wir am Telefon erreichen.
Die Erleichterung ist spürbar
In Arthurs Stimme schwingt Erleichterung, auch Genugtuung, aber kein Triumphgefühl mit. Sicher, er steht mit seiner Single „Say You Won’t Let Go“, dem wohl poppigsten und eingängigsten Stück der Platte und noch dazu einem der wenigen, die nicht so sehr von ihm selbst, sondern von einer fiktiven Liebesbeziehung handeln, überall in Europa sehr weit oben. Auch sein Album läuft gut, in Großbritannien kam es auf Platz eins und hält sich auch im harten Weihnachtsgeschäft hervorragend. Doch die große Klappe verkneift er sich trotzdem lieber. „Für mich ist es einfach sehr schön und sehr bedeutsam, wieder dort zu sein, wo ich in meiner Karriere schon einmal gewesen bin.“
Spulen wir zurück. James Arthur ist ein Arbeiterklassejunge aus Middlesbrough in North Yorkshire, der seine Kindheit und Jugend nicht gerade im Streichelzoo, sondern in eher robusten Verhältnissen verbrachte. Die Eltern trennten sich kurz nach seiner Geburt, die Schule war sein natürliches Habitat ebenfalls nicht. James bekam so oft eins auf die Nase, dass er heute Probleme beim Atmen hat und sich laut britischer Boulevardmedien in Kürze einer chirurgischen Nasenkorrektur unterziehen wird. Aber seine Stimme, die war damals schon besonders. James Arthur sang in einer Reihe von lokalen Bands, 2012 schließlich nahm er an der Castingshow „The X Factor“teil und gewann. Seinen Überhit von damals dürften die meisten noch im Ohr haben. Das schmachtende, ganz leicht auch schmalzige „Impossible“wurde europaweit ein überwältigender Erfolg, auch das Debütalbum lief blendend. Dann jedoch ging der Schlamassel los. Durch eine ganze Serie von unbedachten Äußerungen – wie homophoben Kommentaren und Beleidigungen gegen Kollegen – sowie ein zunehmend erratisch-durchgeknalltes Gesamtverhalten schleuderte Arthur sich in Rekordzeit selbst ins Abseits. Schließlich ließ ihn sogar seine Plattenfirma Syco (die von Mogul Simon Cowell geleitet wird) wegen Untragbarkeit öffentlich fallen.
„Ich war verloren damals“, bekennt James Arthur im Rückblick. „Die ganze Situation mit dem Ruhm und der Aufmerksamkeit der Medien hat mich vollständig überfordert.“ Arthur, so stellte sich heraus, leidet an einer Angststörung in Verbindung mit Depressionen, und dass seine anfänglichen Selbstmedikationsversuche mit Alkohol und Tabletten einen eher kontraproduktiven Effekt hatten, lernte er schnell. „Irgendwie war ich noch das totale Kind, das mental einfach noch nicht ausgerüstet war für solch ein Leben.“
Den Dämonen die Stirn bieten
James Arthur tauchte erst einmal ab und ließ sich professionell therapieren. „Es war hilfreich, dass ich nicht mehr im Mittelpunkt stand, sondern dass die Leute mich allmählich vergaßen. So konnte ich alles sacken lassen und in Ruhe und ohne Zeitdruck verarbeiten. Ich lernte, wieder an mich zu glauben und mein Selbstwertgefühl zu erhöhen.“
Auf „Back From The Edge“erzählt er nun die Geschichte seines außergewöhnlichen Trips zwischen Ekstase und Desaster. „I Am“, „Sober“, „Phoenix“und insbesondere das wunderbar gesungene, sehr intime „Train Wreck“malen das Bild eines gefallenen Stars, der seinen Dämonen die Stirn bietet und am Ende als Geläuterter wieder in die Gesellschaft aufgenommen wird. Sogar Simon Cowell hat ihn jetzt wieder lieb und gab ihm einen neuen Vertrag. „Das ist meine zweite Chance“, weiß Arthur, „ein zweites Mal werde ich es nicht versauen.“