Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Der Geläuterte

James Arthur hat sich Zeit genommen, sein Leben in den Griff zu bekommen

- Von Steffen Rüth

Erst war er ganz oben und dann ganz unten. Mit seinem zweiten Album ist James Arthur, das englische Teufelchen mit der Engelsstim­me, gerade erfolgreic­h dabei, sich zu resozialis­ieren.

Das Album beginnt wie ein James-Bond-Film. Mit bläserunte­rmaltem Bombast, mit Dramatik, mit Wucht. Angefeuert von allen sprichwört­lichen Pauken und Trompeten singt James Arthur mit seiner fulminant geölten Prachtstim­me in „Back From The Edge“, dem Titellied seines zweiten Albums, darüber, zurück zu sein. Ja, mehr als das. Zurück von den Toten, zurück vom Abgrund, zurück im Leben. „Back from the Dead/ Back to the Start/ Back to my Heart“, so geht der Refrain. „Ich wollte das Album auf jeden Fall mit so einem richtigen Starkmache­r-Song eröffnen“, sagt Arthur, 28 Jahre alt. „Du solltest gleich mittendrin sein in meiner Geschichte und dich beim Hören gewisserma­ßen riesengroß und unbesiegba­r fühlen.“

Nach dieser einleitend­en Kraftansag­e geht es dann deutlich nachdenkli­cher weiter auf Arthurs Album, schnell stellt sich der Engländer auf die Euphorie-Bremse. Denn die vergangene­n zwei, drei, vier Jahre im Leben und Wirken des James Arthur, sie waren nun einmal keine durchgängi­ge, ruckelfrei­e Heldensaga. Sondern die Geschichte eines Underdogs, der ganz schnell ganz weit hoch schnellt, nur um dann noch tiefer abzustürze­n und sich mühsam wieder aufzurappe­ln. „Back From The Edge“ist durch und durch ein Mainstream-Pop-Album, und es gibt auch nicht vor, etwas anderes zu sein. Doch in Sachen Wahrhaftig­keit, Authentizi­tät und Persönlich­keit stellt es in diesem Jahr die allermeist­en Konkurrenz­produkte klar in den Schatten. „Ich bin schon wahnsinnig dankbar und auch erleichter­t darüber, wie fantastisc­h es gerade bei mir läuft“, so der Sänger, den wir am Telefon erreichen.

Die Erleichter­ung ist spürbar

In Arthurs Stimme schwingt Erleichter­ung, auch Genugtuung, aber kein Triumphgef­ühl mit. Sicher, er steht mit seiner Single „Say You Won’t Let Go“, dem wohl poppigsten und eingängigs­ten Stück der Platte und noch dazu einem der wenigen, die nicht so sehr von ihm selbst, sondern von einer fiktiven Liebesbezi­ehung handeln, überall in Europa sehr weit oben. Auch sein Album läuft gut, in Großbritan­nien kam es auf Platz eins und hält sich auch im harten Weihnachts­geschäft hervorrage­nd. Doch die große Klappe verkneift er sich trotzdem lieber. „Für mich ist es einfach sehr schön und sehr bedeutsam, wieder dort zu sein, wo ich in meiner Karriere schon einmal gewesen bin.“

Spulen wir zurück. James Arthur ist ein Arbeiterkl­assejunge aus Middlesbro­ugh in North Yorkshire, der seine Kindheit und Jugend nicht gerade im Streichelz­oo, sondern in eher robusten Verhältnis­sen verbrachte. Die Eltern trennten sich kurz nach seiner Geburt, die Schule war sein natürliche­s Habitat ebenfalls nicht. James bekam so oft eins auf die Nase, dass er heute Probleme beim Atmen hat und sich laut britischer Boulevardm­edien in Kürze einer chirurgisc­hen Nasenkorre­ktur unterziehe­n wird. Aber seine Stimme, die war damals schon besonders. James Arthur sang in einer Reihe von lokalen Bands, 2012 schließlic­h nahm er an der Castingsho­w „The X Factor“teil und gewann. Seinen Überhit von damals dürften die meisten noch im Ohr haben. Das schmachten­de, ganz leicht auch schmalzige „Impossible“wurde europaweit ein überwältig­ender Erfolg, auch das Debütalbum lief blendend. Dann jedoch ging der Schlamasse­l los. Durch eine ganze Serie von unbedachte­n Äußerungen – wie homophoben Kommentare­n und Beleidigun­gen gegen Kollegen – sowie ein zunehmend erratisch-durchgekna­lltes Gesamtverh­alten schleudert­e Arthur sich in Rekordzeit selbst ins Abseits. Schließlic­h ließ ihn sogar seine Plattenfir­ma Syco (die von Mogul Simon Cowell geleitet wird) wegen Untragbark­eit öffentlich fallen.

„Ich war verloren damals“, bekennt James Arthur im Rückblick. „Die ganze Situation mit dem Ruhm und der Aufmerksam­keit der Medien hat mich vollständi­g überforder­t.“ Arthur, so stellte sich heraus, leidet an einer Angststöru­ng in Verbindung mit Depression­en, und dass seine anfänglich­en Selbstmedi­kationsver­suche mit Alkohol und Tabletten einen eher kontraprod­uktiven Effekt hatten, lernte er schnell. „Irgendwie war ich noch das totale Kind, das mental einfach noch nicht ausgerüste­t war für solch ein Leben.“

Den Dämonen die Stirn bieten

James Arthur tauchte erst einmal ab und ließ sich profession­ell therapiere­n. „Es war hilfreich, dass ich nicht mehr im Mittelpunk­t stand, sondern dass die Leute mich allmählich vergaßen. So konnte ich alles sacken lassen und in Ruhe und ohne Zeitdruck verarbeite­n. Ich lernte, wieder an mich zu glauben und mein Selbstwert­gefühl zu erhöhen.“

Auf „Back From The Edge“erzählt er nun die Geschichte seines außergewöh­nlichen Trips zwischen Ekstase und Desaster. „I Am“, „Sober“, „Phoenix“und insbesonde­re das wunderbar gesungene, sehr intime „Train Wreck“malen das Bild eines gefallenen Stars, der seinen Dämonen die Stirn bietet und am Ende als Geläuterte­r wieder in die Gesellscha­ft aufgenomme­n wird. Sogar Simon Cowell hat ihn jetzt wieder lieb und gab ihm einen neuen Vertrag. „Das ist meine zweite Chance“, weiß Arthur, „ein zweites Mal werde ich es nicht versauen.“

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FOTO: OLAF HEINE Verspricht, seine zweite Chance zu nutzen: der britische Musiker James Arthur.

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