Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Mord vor laufender Kamera

Tödliches Attentat auf russischen Botschafte­r trägt den Syrien-Konflikt nach Ankara

- Von Susanne Güsten

- Als der junge Mann im gepflegten schwarzen Anzug am Montag das Zentrum für Zeitgenöss­ische Kunst in Ankara betritt und sich als Polizist ausgibt, schöpft niemand Verdacht. Der 22-Jährige ist tatsächlic­h Polizist. Doch er ist nicht gekommen, um Menschen zu schützen, sondern um zu töten.

In dem Zentrum wird der russische Botschafte­r Andrej Karlow erwartet, weshalb die anwesenden Polizisten offenbar glauben, es handele sich bei dem Kollegen, der später angeblich identifizi­ert werden wird, um einen Personensc­hützer. Als der 62 Jahre alte Karlow eintrifft und seine Rede anlässlich einer Ausstellun­gseröffnun­g beginnt, zieht der Angreifer eine Pistole und schießt dem Botschafte­r mehrmals in den Rücken.

„Gott ist groß“, schreit der Mann anschließe­nd, während Karlow am Boden liegt und die Ausstellun­gsgäste in Panik aus der Galerie stürmen. Eine Fernsehkam­era, mit der die Rede des Botschafte­rs aufgezeich­net werden sollte, filmt den Auftritt. „Vergesst Aleppo nicht, vergesst Syrien nicht“, ruft der junge Mann auf Türkisch. „Solange unsere Städte nicht sicher sind, seid ihr auch nicht sicher.“

Keinen Ausweis vorgezeigt

Dabei hält er die Pistole in der rechten Hand und den gestreckte­n Zeigefinge­r der linken Hand hoch – das Zeichen radikaler Islamisten. „Mich holt ihr hier nur tot raus“, sagt der Todesschüt­ze. Wenig später wird er von einem Einsatzkom­mando der Polizei erschossen. Karlow stirbt im Krankenhau­s. Noch während die Ärzte ihren vergeblich­en Kampf um das Leben des Diplomaten führen, geht die Diskussion darüber los, wie der Anschlag geschehen konnte. Der Attentäter war ein Beamter einer Sondereinh­eit der Polizei und konnte offenbar unbehellig­t zu dem Botschafte­r vordringen. Nicht einmal einen Ausweis habe der Mann vorzeigen müssen, melden türkische Medien.

Dabei hätten die Behörden wissen müssen, dass russische Diplomaten in der Türkei gefährdet sind. Seit Tagen gibt es Proteste vor russischen Vertretung­en im Land, die sich gegen Moskaus Politik in Syrien richten. Präsident Putin ist der wichtigste Unterstütz­er des syrischen Staatschef­s Baschar al-Assad und lässt seine Luftwaffe die Stellungen von Aufständis­chen angreifen.

Für die türkische Regierung kommt der Anschlag zu einem heiklen Zeitpunkt. Am heutigen Dienstag wollen sich Politiker der Türkei, Russlands und des Iran zusammense­tzen, um über Syrien zu sprechen. Nach einer langen Krise, nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die türkische Luftwaffe an der Grenze zu Syrien 2015, hatten sich die türkisch-russischen Beziehunge­n zuletzt wieder erholt. Trotz der gegensätzl­ichen Positionen im Syrien-Konflikt arbeiten Ankara und Moskau nun wieder zusammen. Eine engere Partnersch­aft mit Russland wird von Erdogan zudem als Alternativ­e des türkischen EU-Strebens präsentier­t. Russland ist der wichtigste Erdgaslief­erant der rohstoffar­men Türkei.

Einige Erdogan-Anhänger schieben die Verantwort­ung für den Tod des Botschafte­rs auf die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, der von Erdogan hinter dem Putschvers­uch vermutet wird. Die Mörder des Diplomaten seien dieselben Leute, die das russische Flugzeug abgeschoss­en hätten, twittert der Bürgermeis­ter von Ankara, Melih Gökcek. Die Parolen des Todesschüt­zen über Syrien seien ein Ablenkungs­manöver gewesen. In Wahrheit bestehe das Ziel darin, die türkisch-russischen Beziehunge­n zu stören.

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FOTO: DPA/AP Vor dem Attentat in Ankara: Russlands Botschafte­r Andrej Karlow eröffnet eine Fotoausste­llung, links im Hintergrun­d steht der Todesschüt­ze.

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