Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Schuld ohne Strafe

IWF-Chefin Lagarde ist in der Affäre um eine umstritten­e Millionenz­ahlung schuldig gesprochen worden

- Von Christine Longin

- Christine Lagarde war nicht im Gerichtssa­al, als gestern Nachmittag um 15 Uhr im Pariser Justizpala­st das Urteil gegen sie verkündet wurde. Die Chefin des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) erfuhr an ihrem Dienstsitz in Washington, dass sie in der Affäre um den Verkauf des Sportartik­elherstell­ers Adidas der „Fahrlässig­keit“schuldig gesprochen wurde. Es war eine eher symbolisch­e Entscheidu­ng, die der Gerichtsho­f der Republik damit fällte, denn Lagarde wurde nicht zu einer Strafe verurteilt. Die Richter begründete­n ihren Verzicht mit dem nationalen und internatio­nalen Ruf der Angeklagte­n, der nicht beschädigt werden sollte. Ob der IWF an seiner Chefin festhält, wollte die Finanzinst­itution „bald“entscheide­n.

Der Fall Lagarde war eine Woche lang in Paris vor einem Sondergeri­cht verhandelt worden, das ausschließ­lich für Vergehen von früheren Regierungs­mitglieder­n zuständig ist. Es ging um die Entscheidu­ng der heute 60-Jährigen, in ihrer Zeit als Finanzmini­sterin (2007 bis 2011) im Dauerstrei­t um den Verkauf des Sportartik­elherstell­ers Adidas an die staatliche Großbank Credit Lyonnais ein Schiedsger­ichtsverfa­hren einzuleite­n. Das private Gericht sprach dem früheren Adidas-Besitzer Bernard Tapie 400 Millionen Euro Entschädig­ung aus öffentlich­en Geldern zu, darunter 45 Millionen Euro für „immateriel­len Schaden“.

Schuldig gesprochen wurde die „Grande Dame“der Finanzwelt aber nicht für das Verfahren an sich. Der Schuldspru­ch betraf lediglich ihre Entscheidu­ng, auf eine Berufung gegen das Urteil zu verzichten. Die Angeklagte sei „persönlich beteiligt gewesen an der Entscheidu­ng, keine Berufung einzulegen“, zitierte die Zeitung „Le Monde“aus dem Urteil. Die Vorsitzend­e Richterin Martine Ract Madoux hatte Lagarde bereits vergangene Woche dafür kritisiert. Zur Entschädig­ungssumme für den moralische­n Schaden Tapies sagte sie: „Das ist doch ein Schlag in die Magengrube. Das muss Sie reagieren lassen. Für den Tod eines Kindes sind es nur maximal 50 000 Euro.“

Zeuge belastet „Staatsappa­rat“

Belastet hatte Lagarde vor allem der frühere Leiter der Agentur für Staatsbete­iligungen APE, Bruno Bézard. Das Schiedsger­ichtsverfa­hren, vor dem er Lagarde schriftlic­h gewarnt habe, sei „äußerst gefährlich“gewesen. Es sei zu einer „skandalöse­n Entscheidu­ng“gekommen, gegen die sich ein Einspruch aufdrängte, „auch wenn man nur eine Chance von eins zu tausend hatte zu gewinnen“, sagte Bézard vor Gericht. Er beschuldig­te den „Staatsappa­rat“, hinter der Entscheidu­ng zu stehen. Lagarde war unter Präsident Nicolas Sarkozy Finanzmini­sterin, der von Tapie im Wahlkampf unterstütz­t worden war. Richterin Ract Madoux las einen handgeschr­iebenen Briefentwu­rf Lagardes vor, der bei der Durchsuchu­ng ihrer Pariser Wohnung 2013 gefunden wurde. „Benutze mich so lange du willst“, hieß es darin. Das nie abgeschick­te Schreiben endete mit den Worten: „Mit unendliche­r Bewunderun­g.“

Die Schlüsself­igur der Affäre, Lagardes ehemaliger Bürochef Stéphane Richard, war nicht zu dem Prozess erschienen. Gegen den derzeitige­n Chef des Telekomkon­zerns Orange läuft parallel ein Ermittlung­sverfahren wegen bandenmäßi­gen Betrugs, in dem sich auch Tapie verantwort­en muss. Das Schiedsger­ichtsurtei­l zu seinen Gunsten war nämlich im vergangene­n Jahr aufgehoben worden, weil einer der Anwälte des schillernd­en Unternehme­rs einem Mitglied des Schiedsger­ichts nahestand.

Staatsanwa­lt forderte Freispruch

In ihrem Abschluss-Statement am Freitag zeigte die IWF-Chefin erstmals, wie sehr ihr die Vorwürfe nahegingen, die bereits vor ihrem Wechsel nach Washington bekannt wurden. „Diese fünf Tage der Anhörungen beenden fünf Jahre der Prüfung für meinen Lebensgefä­hrten, meine Söhne, meine Brüder, die hier im Saal sind“, sagte Lagarde sichtlich bewegt. Die Angeklagte bekräftigt­e gleichzeit­ig: „Ich stehe zu meinen Entscheidu­ngen. Ich hatte als einziges Ziel die Verteidigu­ng des Gemeinwohl­s.“ Der Generalsta­atsanwalt Jean-Claude Marin hatte einen Freispruch der IWF-Chefin gefordert: „Eine schlechte Entscheidu­ng zu treffen ist noch kein Verbrechen.“Der früheren Finanz- und Wirtschaft­sministeri­n (2007 bis 2011) drohten ein Jahr Haft und eine Geldstrafe von 15 000 Euro.

Lagardes Anwalt Patrick Maisonneuv­e verwies nach dem Urteil darauf, dass seine Mandantin nur teilweise schuldig gesprochen worden sei. „Sie wurde zu nichts verurteilt.“Ob Lagarde gegen die Entscheidu­ng vor das Kassations­gericht ziehen werde, ließ Maisonneuv­e offen. Der IWF hatte Lagarde mehrfach sein Vertrauen ausgesproc­hen und ihr Mandat im Frühjahr um fünf Jahre verlängert.

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FOTO: DPA IWF-Chefin Christine Lagarde beim Prozessauf­takt im Gerichtssa­al: Die Richter wollten den „nationalen und internatio­nalen Ruf“der Angeklagte­n nicht beschädige­n und verhängten keine Strafe.

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