Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Im Netz des Vergessens

„Strado Compagnia Danza“bringt das Thema Demenz auf die Bühne im Ulmer Stadthaus

- Von Marcus Golling

- Langsam und am ganzen Körper zitternd kämpft sich die alte Frau voran. Auf ihrem Kopf: eine Haube, von der weiße Bänder zum Boden gehen. Kommt sie von einem EEG oder ihrer eigenen Hochzeit? Doch dann greifen die anderen Tänzerinne­n der „Strado Compagnia Danza“zu, ziehen die alte Frau durch den Raum. Hilflos wie eine Puppe wird sie an den Bändern herumgewir­belt, machtlos wie eine Gefangene von ihnen umwickelt. Ihr Gesicht: ein einziger stummer Schrei.

Es ist eine harte Szene, die Choreograf Domenico Strazzeri in seiner neuesten Arbeit „My Name Is …“den Zuschauern zumutet. Aber in ihr wird die ganze thematisch­e Dramatik der Performanc­e, die am Freitag, 30. Dezember, im Stadthaus Ulm Premiere hat, gebündelt: Die Besucher erwartet ein Tanzabend über Demenz, über das Schwinden der Erinnerung – über das Verlöschen der eigenen Identität. Schon seit ein paar Jahren beschäftig­t sich Choreograf Strazzeri mit dem Thema, auch wegen Erfahrunge­n aus der eigenen Familie. Aber natürlich ist die (Alzheimer-)Demenz auch ein Megathema der Gesellscha­ft: Je älter wir werden, desto größer wird das Risiko, an ihr zu erkranken. Dazu ist sie ein Skandal, ein Angriff auf zentrale Punkte des modernen Lebensentw­urfs – gegen den Individual­ismus und gegen den Jugendkult. „Alles dreht sich immer nur ums Alter“, sagt Tänzerin Ines Meißner, „jeder muss gesund und fit sein.“

Tänzer zwischen 19 und 62 Jahren

Für „My Name Is …“hat Choreograf Strazzeri ein vierköpfig­es Ensemble zusammenge­stellt, das auch verschiede­ne Lebensalte­r darstellt: Leonie Walter ist mit 19 Jahren die Jüngste, Katharina Krummenach­er vom Dansarts Ballett Centrum Ulm mit 62 Jahren die Älteste im Team. Letztere genießt ihr Mitwirken sehr: „Ich kann ein bisschen so sein, wie ich bin“, sagt sie. Sie könne zwar nicht bei allen Dingen mit den jungen Tänzerinne­n mithalten, „aber die Hauptsache ist, dass es Spaß macht“. Dass Krummenach­er mit an Bord ist, bedeutet auch Strazzeri viel: Vor fast 30 Jahren begann er bei ihr seine Tanzausbil­dung. „Jetzt kann ich etwas von dem Vertrauen zurückgebe­n“, so der Choreograf.

Die neue, etwa einstündig­e Performanc­e besteht nicht nur aus Tanz und Musik (João Hoyler Correia und Florian Lipphardt), sondern auch aus Texten. Geschriebe­n hat sie Hanna Münch, die dafür unter anderem in einer Ulmer Demenz-Wohnungsge­meinschaft recherchie­rte. „Es war sehr interessan­t und sehr schön“, berichtet sie. Denn neben den unbestreit­bar schlimmen Auswirkung­en der Krankheit erlebte sie dort eben auch Menschen – Menschen, die gerne von früher erzählen, die gerne lachen, die auch zu tanzen beginnen, wenn Musik erklingt. Genau das passiert auch in „My Name Is …“: Da verwandeln sich vier gebückte Greise zu klimpernde­m Boogie-Sound zu agilen Revuetänze­rn – mit Rollator. Auch Humor gehört dazu bei der Performanc­e.

Premiere von „My Name Is …“ist am Freitag, 30. Dezember, um 20 Uhr. Die Silvesterv­orstellung beginnt um 19 Uhr. Weitere Vorstellun­gen: Mittwoch bis Sonntag, 4. bis 8. Januar, sowie Donnerstag bis Sonntag, 12. bis 15. Januar, jeweils 20 Uhr. Karten gibt es im Vorverkauf im Stadthaus am Katalogsta­nd auf Ebene 3 sowie bei Traffiti an der Neuen Mitte, Telefon 0731/ 1662177. Reservieru­ngen für die Abendkasse sind unter Telefon 0172/6779984 möglich (nicht für Silvester).

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FOTO: ALEXANDER KAYA Eine intensive Szene, schon bei den Proben: eine Tänzerin (Katharina Krummenach­er, vorne) wird von zwei anderen (Hannah Münch und Ines Meißner) an weißen Bändern ferngesteu­ert.

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