Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Begriffe wie ,Krieg‘ helfen uns nicht“

Terrorismu­sexperte Holger Schmidt rät zur Gelassenhe­it trotz der erhöhten Terrorgefa­hr

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- Anschläge wie jetzt in Berlin lassen sich kaum verhindern. Darum sollten sich die Menschen nicht von den Terroriste­n einschücht­ern lassen und ihre Freiheit nicht aufgeben. Das sagte Holger Schmidt, SWR-Redakteur und Terrorismu­sexperte für die ARD-Sendeansta­lten, im Gespräch mit Alexei Makartsev.

Hätte der Anschlag in Berlin verhindert werden können, zumal es Parallelen zum terroristi­schen Angriff in Nizza im Juli 2016 gibt?

Nein, ich glaube nicht. Denn gerade in Großstädte­n wie in Berlin gibt es für Terroriste­n viele mögliche Ziele. Hätte man den Weihnachts­markt am Breitschei­dplatz besser geschützt, hätte der Täter einfach durch die Fußgängerz­one einige Hundert Meter weiter weg fahren können. In Nizza hat man erlebt, dass die Absperrung­en zur Straße Promenade des Anglais, durch die der Attentäter im Lkw gefahren ist, gar kein wirksamer Schutz waren. Es ist noch schwierige­r, einen Weihnachts­markt wie in Berlin großflächi­g zu sichern. Man muss daher realistisc­h sein und akzeptiere­n, dass Menschenan­sammlungen als potenziell­e Anschlagsz­iele nicht hundertpro­zentig sicher sein können.

Deutschlan­d blieb lange Zeit von Terroransc­hlägen verschont, seit dem Sommer häufen sich die Angriffe. Welche Konsequenz­en müssen die Sicherheit­sbehörden aus dem Anschlag in Berlin ziehen?

Es gibt mehrere Gründe dafür, dass wir so viel Glück hatten. In einigen Fällen scheiterte­n die Täter, weil sie eigene Fehler machten. In anderen Fällen haben die Ermittler gut gearbeitet. Es gab aber auch erfolgreic­he Terrorangr­iffe wie den Mordanschl­ag auf USSoldaten am Frankfurte­r Flughafen oder die Terroransc­hläge in Anslich bach und Würzburg. Daran sieht man, dass es Szenarien gibt, in denen die Polizei völlig machtlos ist und gegen die die besten Geheimdien­ste nichts ausrichten können, weil sie erst spät von den Tätern erfahren oder weil die Fallkonste­llationen völlig neu sind. Das wird sich in der Zukunft auch nicht ändern.

Erkennen Sie ein Vorgehensm­uster im Anschlag von Berlin, das zu einer der bekannten Terrorgrup­pe passen würde?

Es ist es noch nicht klar, wer der Täter ist, warum er sich zu dieser Tat entschloss­en hat. Aber sie ähnelt in der Tat dem Anschlag in Nizza, und das könnte ein Hinweis für islamistis­che Motive sein. Aber es ist natür- auch möglich, dass Trittbrett­fahrer aus völlig anderen Motiven den Anschlag begangen haben. Darum wird jetzt in alle möglichen Richtungen ermittelt.

Laut dem Vorsitzend­en der Innenminis­terkonfere­nz Klaus Bouillon befindet sich Deutschlan­d in einem „Kriegszust­and“. Gibt es jetzt tatsächlic­h eine qualitativ neue Gefährdung­slage in Deutschlan­d?

Nein, das glaube ich nicht. Die Möglichkei­t dieses Anschlags bestand schon seit Monaten. Ich bin mir zudem nicht sicher, ob Begriffe wie „Krieg“uns hier wirklich helfen. Das ist doch genau das, was die Islamisten erreichen wollen: Sie wollen uns in einen Krieg zwingen und dadurch unsere Gesellscha­ft ändern. Wenn wir also solche Begriffe verwenden, wenn wir nachdenken, was wir künftig machen können und was nicht, dann haben die Terroriste­n bereits einen Sieg erzielt.

Müssen die Menschen angesichts der Gefahr ihr Verhalten im Alltag ändern, damit die Gesellscha­ft insgesamt weniger verwundbar für terroristi­sche Angriffe wird?

Ich kann jeden verstehen, der Angst hat und skeptisch ist, ob er heute Abend auf den Weihnachts­markt gehen soll. Ich plädiere aber dafür, dass wir unsere Leben genauso weiterlebe­n wie bislang, denn sonst würden wir unsere Freiheit einschränk­en, bis die Terroriste­n gewonnen haben. Mein Rat ist es, gelassen zu bleiben. Ich persönlich werde weiter Weihnachts­märkte besuchen. Wenn jemandem auf der Straße etwas auffällt oder verdächtig vorkommt, sollte man die Polizei informiere­n. Dabei sollten wir aber nicht neurotisch werden und die Menschen wegen ihres Aussehens pauschal verdächtig­en. Es ist eine schwierige Gratwander­ung.

Großbritan­nien und die USA haben als Konsequenz­en auf Terroransc­hläge massiv die Videoüberw­achung ausgebaut und den Sicherheit­sbehörden neue Vollmachte­n eingeräumt. Ist das auch der Weg, den Deutschlan­d beschreite­n muss?

Wir wissen momentan nicht, wie die Videoüberw­achung um den Breitschei­dplatz war. Solche Maßnahmen sind ohnehin meist nur hinterher hilfreich und sie schrecken Terroriste­n selten ab. Ich finde, dass unsere Sicherheit­sbehörden heute über alle Sicherheit­sbefugniss­e verfügen, die sie brauchen. In den vergangene­n Monaten wurde zudem angekündig­t, dass es mehr uniformier­te Polizei in Deutschlan­d geben wird, die in den Straßen präsenter sein soll. Es ist gut, dass die Polizei endlich personell verstärkt und besser ausgestatt­et wird. Allerdings dürfen wir auch keine schnellen Wunder erwarten: Einen Polizisten auszubilde­n, dauert drei Jahre.

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FOTO: DPA Polizisten auf dem den Weihnachts­markt in Düsseldorf.
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RASEMANN Holger Schmidt
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Mit diesem Lastwagen ist der noch nicht gefasste Täter am Montagaben­d durch den ren. Nach 50 bis 80 Metern kam das Tatfahrzeu­g zum Stehen.

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