Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Von der Leyen würdigt vergessene­n Einsatz

Bundesvert­eidigungsm­inisterin trifft vor Weihnachte­n deutsche Soldaten in Afghanista­n

- Von Michael Fischer und Christine-Felice Röhrs

(dpa) - Es gab Zeiten, da ist der Bundesvert­eidigungsm­inister alle zwei Monate nach Afghanista­n gereist, um nach dem Rechten zu sehen. Später waren es alle drei Monate, dann sank die Besuchsfre­quenz auf zwei Mal im Jahr. Inzwischen kommt die Verteidigu­ngsministe­rin nur noch vor Weihnachte­n vorbei. Wie in den vergangene­n drei Jahren steht sie am Donnerstag auf dem Adventsmar­kt des Camp Marmal, spricht mit Soldaten.

Von der Leyen war es wichtig, trotz des Anschlags in Berlin nach Afghanista­n zu kommen. Als am Montag der Lastwagen in den Weihnachts­markt raste und zwölf Menschen starben, war sie im westafrika­nischen Mali unterwegs. Auf dem Rückflug entschied sie sich dafür, trotzdem nach Afghanista­n zu reisen – allerdings mit kleiner Pressedele­gation und verkürztem Programm.

Der Besuch wirft ein seltenes Schlaglich­t auf einen Einsatz, der immer noch der größte der Bundeswehr ist. In Deutschlan­d wird er aber kaum wahrgenomm­en. Andere Einsätze sind in den Vordergrun­d getreten. In ihrem Tagesbefeh­l zum Jahresende nennt von der Leyen zuerst Afrika, den Kampf gegen den Islamische­n Staat (IS) und die Marine-Einsätze im Mittelmeer. Afghanista­n wird erst später genannt, obwohl es auch in diesem Einsatz um den Kampf gegen den Terror und die Bekämpfung von Fluchtursa­chen geht.

Trauerfeie­rn live im Fernsehen

Früher war das anders. Da waren noch mehr als 5000 Soldaten am Hindukusch. Ständig gab es Meldungen über Anschläge auf Bundeswehr­patrouille­n, über Gefechte, Tote und Verletzte. Trauerfeie­rn wurden live im Fernsehen übertragen. Im Bundestag wurde heftig über den Einsatz gestritten und es gab Debatten darüber, welche Panzer und Artillerie­geschütze in den Einsatz gehören. Der Afghanista­n-Einsatz hat die Bundeswehr und die Gesellscha­ft verändert.

Und jetzt? „Wir wissen, dass sich in Deutschlan­d niemand für uns interessie­rt“, sagt ein Hauptfeldw­ebel im Camp Marmal. „Aber deswegen sind wir nicht hier. Wir wollen den Menschen hier helfen.“

Nach dem Ende des Kampfeinsa­tzes vor zwei Jahren war die Truppe auf unter 1000 Soldaten geschrumpf­t. Von den 800 Soldaten, die jetzt in Masar-i-Scharif sind, sind 37 für die Aufgaben Beratung und Ausbildung abgestellt. Die anderen kümmern sich um die Verwaltung des Einsatzes.

Dabei ist das Ende der Gewalt in Afghanista­n nicht näher gerückt – im Gegenteil. Um 22 Prozent ist laut UN die Zahl der „bewaffnete­n Auseinande­rsetzungen“2016 gegenüber 2015 angestiege­n (bis Oktober). Die Zahl der zivilen Opfer wächst weiter, die Kriegsvert­riebenen gehen in die Hunderttau­sende: Mitte Dezember sind es mit 580 000 Menschen schon mehr als doppelt so viele wie zu Anfang des Jahres noch befürchtet. Gegenden, die als recht sicher galten, sind es nicht mehr.

Im November hatten erstmals seit langem die Taliban wieder Deutsche angegriffe­n. In Masar-i-Scharif versuchten sie, sich mit einem Lastwagen voller Sprengstof­f in das deutsche Generalkon­sulat zu bomben. Sechs Menschen wurden getötet, 128 verletzt. Der Knall war zwölf Kilometer weit zu hören.

Erst 2013 war das Generalkon­sulat in einem belebten Teil der Stadt eröffnet worden. Als ein Symbol für die Wende vom Militärisc­hen zum Zivilen war es gedacht. Jetzt zieht sich das Zivile wieder ins Militärisc­he zurück: Das Konsulat liegt hinter den Mauern eines Nato-Feldlagers – eine Kapitulati­on vor der Gewalt.

Die mit von der Leyen reisenden Journalist­en dürfen die neue Behausung der Vertretung nicht sehen. Es handele sich um einen „Hochsicher­heitsberei­ch“. Eigentlich ist in einem Konsulat ganz normaler Besucherve­rkehr zur Ausgabe von Visa oder Pässen vorgesehen.

In ihrer Ansprache schlägt von der Leyen den Bogen vom internatio­nalen Kampf gegen den Terror zu den Ereignisse­n in Berlin. „Sie stehen dafür ein, dass wir uns nicht unterkrieg­en lassen vom Terror, dass wir uns wehren, gegen diejenigen, die die Menschen terrorisie­ren“, sagt sie. Die Soldaten in Masar-i-Scharif stimmt sie darauf ein, dass sie noch eine Weile bleiben müssen. „Es ist so viel erreicht worden. Das dürfen wir nicht dadurch gefährden, dass wir vorschnell abziehen.“

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FOTO: AFP Ursula von der Leyen spricht bei einem Kurzbesuch auf dem Stützpunkt Camp Marmal in der Stadt Masar-iScharif mit deutschen und afghanisch­en Generälen.

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