Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Die Poesie des Augenblicks
Hilti Art Foundation in Vaduz beendet das Ausstellungsjahr mit „Kirchner, Léger, Scully & mehr“
- Private Kunstsammlungen gibt es im Vierländereck am Bodensee zahlreiche. Zu den besonders wertvollen gehört etwa die Hilti Art Foundation in Vaduz, deren Schwerpunkt auf der Klassischen Moderne liegt. Seit 2015 ist sie öffentlich zu bestaunen – und zwar im eigenen, dem Kunstmuseum Liechtenstein angegliederten würfelförmigen Gebäude. Auf die Ausstellungspremiere folgt jetzt zum Jahresende die Fortsetzung unter dem Titel „Kirchner, Léger, Scully & mehr“.
Kurator Uwe Wieczorek darf sich in doppelter Hinsicht glücklich schätzen. Zum einen kann er bei 250 hochkarätigen Gemälden, Skulpturen und Objekten, die die HiltiKollektion inzwischen umfasst, aus dem Vollen schöpfen. Zum anderen ist er völlig frei in seiner Entscheidung, welche Werke wie präsentiert werden. „Da vertraut mir Sammler Michael Hilti voll und ganz“, sagt der Kunsthistoriker. Statt alle Exponate für die neue Schau auszutauschen, hat er einige Arbeiten, die bereits Teil der ersten Ausstellung waren, jetzt in einen neuen Kontext gesetzt.
Mensch spielt eine große Rolle
Zum Beispiel Max Beckmanns großartiges „Selbstbildnis mit Glaskugel“: Er schaut einen mit tief verschatteten Augenhöhlen, missmutigem Mund und in der Hand eine Glaskugel an, während sich im Hintergrund eine Tür ins schwarze Nichts öffnet. Als der Künstler 1936 dieses düstere Selbstporträt malte, hetzten die Nationalsozialisten längst gegen ihn und diffamierten sein Werk als „entartet“. Wenig später floh Beckmann mit seiner Frau nach Amsterdam. Bei der Eröffnungsschau war das Bild an prominenter Stelle im Untergeschoss zu bewundern. Nun hängt es im ersten Stock zwischen weiteren Gemälden des Malers. Das Ganze ist diesmal so gruppiert, dass es nah an seiner Biografie bleibt. Es beginnt mit einem Stillleben von 1928 und endet mit einem Alptraum im Exil von 1942/43.
Geblieben sind die edlen Wandfarben, die angenehm lockere Hängung und ebenso die Themen in den drei Etagen. Der Mensch spielt eine große Rolle in der Hilti-Sammlung und damit auch wieder in der Ausstellung. Zum Auftakt geht es fast ausschließlich um das weibliche Geschlecht. Mal steht die Poesie des Augenblicks im Vordergrund, mal die reine Kunstfigur, mal die Reduktion auf die Umrisse aus der Distanz. Besonders reizvoll ist hier die Gegenüberstellung von Fernand Légers vollplastischer „Tänzerin“(1929) und Picassos abstrakter „Frau im Sessel“(1932). Beide setzen ihre Figur aus Linie, Form und Farbe zusammen, aber jeder auf seine Weise.
Ein Gemälde, das das Zeug zum Publikumsliebling hat, ist „Stillleben mit Orangen und Tulpen“(1909) von Ernst Ludwig Kirchner. Zu finden ist das farbenprächtige Gemälde in leuchtenden Orange- und Fuchsiatönen im ersten Stock gleich neben Beckmann. Auch von Kirchner werden erstmals mehrere Beispiele aus verschiedenen Schaffensperioden gezeigt, die sich bei ihm vor allem stilistisch unterscheiden. Am Ende der Reihe hängt eine beeindruckende Seelenlandschaft, die 1919 in Davos entstanden ist. Dorthin hatte sich der Künstler zurückgezogen, um die kriegsbedingten Angstzustände loszuwerden.
Die Leidenschaft des Sammlers
Die Arbeiten der Klassischen Moderne in der Kollektion des Werkzeugherstellers und Spezialisten für Befestigungstechnik stammen aus den Beständen der Familie. Die Entscheidung, welches Werk angekauft wird, liegt aber letztlich beim Kunstbeirat, in dem Fachleute sitzen. Wenn keine Übereinstimmung herrscht, dann wird eine Malerei, eine Skulptur auch nicht erworben.
Michael Hiltis persönliche Sammelleidenschaft findet ihren Ausdruck erst in der dritten Etage: Kunst der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart hinein. Farbkissen von Gotthard Graubner, asymmetrische Kompositionen von Sean Scully, Neonarbeiten von François Morellet und Keith Sonnier schätzt der Kunstliebhaber besonders. In diesen gegenstandslosen Werken geht es um hell und dunkel, warm und kalt, um Licht und Transzendenz.
„Ich bevorzuge Kunstwerke, die mich inspirieren und positiv stimmen“, erzählt der Unternehmer. Tatsächlich hat Hiltis eigene Kollektion Ähnlichkeit mit der von Siegfried Weishaupt aus Schwendi. Vielleicht kommt es eines Tages ja zu einem gemeinsamen Ausstellungsprojekt der beiden Sammler. Kurator Wieczorek ist nicht abgeneigt – aber vorerst will er aus den eigenen Beständen schöpfen. Denn da steckt noch viel Potenzial drin.