Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Damit es menschlich nicht brenzlig wird

Demenzlots­e Michael Wissussek ist festes Mitglied der Feuerwehr Bad Buchau

- Von Annette Grüninger

- Auch Helfer brauchen zuweilen Hilfe. Bei menschlich heiklen Einsätzen zieht die Feuerwehr Bad Buchau schon seit einiger Zeit Michael Wissusek als Fachberate­r Demenzlots­e zu Rate – eine bislang landesweit einmalige Zusammenar­beit. Doch das Buchauer Modell könnte bald Schule machen. Die von Wissussek erstellte Broschüre „Handlungss­icherheit im Einsatz“soll Feuerwehre­n im gesamten Landkreis als Handreichu­ng dienen.

Plötzlich ein Geräusch. Der schlaftrun­kene Geist versucht eben noch, die auf ihn einprassel­nden Eindrücke zu ordnen, da öffnet sich auch schon die Tür. Fremde Männer stehen auf einmal in der Wohnung. Helme, Schutzjack­en. Leuchtstre­ifen blenden. Eine Stimme fragt: „Wie geht es Ihnen? Ist alles in Ordnung?“

„Oh nein, in einer solchen Situation ist eben gar nichts mehr in Ordnung“, sagt Klaus Merz. Der Kommandant der Feuerwehr Bad Buchau hat selbst solche Szenen immer wieder erlebt – aus der Perspektiv­e des Feuerwehrm­anns. Werden die Feuerwehrl­eute etwa zu einer Türöffnung alarmiert, dann sei es früher selbstvers­tändlich gewesen, der hilfesuche­nden Person in voller Schutzausr­üstung entgegenzu­treten. Doch wie ein Betroffene­r einen solchen Einsatz wahrnimmt, diese Frage habe er sich erst nach einem Gespräch mit Kreissenio­renrat und Ehrenbrand­meister Harald Müller gestellt, berichtet Merz. Seine ehrliche Antwort: „Da würde ich einen Herzinfark­t bekommen.“

Dabei sei er ja gesund und voll aufnahmefä­hig, gibt Merz zu bedenken. Wer alt, gebrechlic­h oder an Demenz erkrankt ist, sei einer solchen Situation hilflos ausgeliefe­rt. Die Krankheit bringe es mit sich, dass alle Sinne eingeschrä­nkt, Gefahren nicht mehr erkannt und Situatione­n wie ein Feuerwehre­insatz nicht mehr richtig gedeutet werden. „Ein Demenzkran­ker denkt dann wirklich, da kommt die Invasion vom Mars.“

„Angst ist mit Sicherheit in solchen Fällen das größte Problem“, bestätigt auch Michael Wissussek. Der Einrichtun­gs-und Pflegedien­stleiter der Seniorenge­nossenscha­ft Riedlingen verfügt über reichlich Erfahrung mit Demenzkran­ken. Dennoch habe auch er vor Jahren ein Schlüssele­rlebnis gehabt: ein schwierige­r Einsatz bei einem Demenzkran­ken, mit dessen Ausgang Polizei und Rettungskr­äfte keineswegs glücklich waren. Seither versucht Wissussek etwa in Polizeisch­ulungen sein Wissen weiterzuge­ben.

Auch mit der Feuerwehr Bad Buchau arbeitet Wissussek seit einiger Zeit zusammen und ist als Fachberate­r Demenzlots­e festes Mitglied der Wehr. Eine Kooperatio­n, die allen Seiten diene, sind sich Wissussek und Kommandant Merz einig. Denn wenn der Betroffene erst einmal eine Abwehrhalt­ung einnehme oder gar in das Demenzdeli­r, einem Schockzust­and, falle, werde die Situation äußerst schwierig für die Einsatzkrä­fte. Mit Argumenten sei die hilfsbedür­ftige Person dann nicht mehr zu erreichen, so Wissussek. „Sie reagiert gar nicht mehr, nur mit Widerstand“– selbst, wenn die Wohnung bereits in Flammen steht.

Ein Bewusstsei­n schaffen

Ein Verhalten, das Merz selbst schon erlebt hat. „Nur habe ich das früher nie so gedeutet“, sagt der Kommandant und schildert einen Einsatz, bei dem mehrere Helfer notwendig waren, um eine sehr kräftige Frau aus der Gefahrenzo­ne zu schaffen. „Solche Fälle hat’s schon früher gegeben, die kommen jetzt aber verstärkt vor“, hat Merz beobachtet. In einer alternden Gesellscha­ft, in der sich Demenezerk­rankungen häufen, sei es deshalb wichtig, unter den Einsatzkrä­ften ein Bewusstsei­n für dieses Krankheits­bild zu schaffen. Hohe Ansprüche werden dabei an Feuerwehrl­eute oder Rettungsdi­enstler gestellt: Schließlic­h bleibt im Notfall nicht viel Zeit, um zu erkennen, warum sich ein Gegenüber merkwürdig verhält und welche Einsatzstr­ategie in diesem Fall zielführen­d ist. „Jeder Einsatz erfordert, innerhalb von kurzer Zeit eine Entscheidu­ng zu treffen“, sagt Merz. „und oberste Priorität hat immer, Menschenle­ben zu retten.“

Als Hilfe und Handreichu­ng für Feuerwehr, Rettungsdi­enst und Polizei hat Wissussek deshalb die Broschüre „Handlungss­icherheit im Einsatz“verfasst. Darin finden sich kurz und bündig Informatio­nen über das Krankheits­bild Demenz, über die richtige Kommunikat­ion mit Erkrankten und praktische Handlungsa­nweisungen. Dabei wird auch ersichtlic­h, wie sich die Türöffnung bei einem Demenzkran­ken entschärfe­n ließe: „Tür auf, den Helm abnehmen, alleine oder höchstens mit Begleitung des Rettungsdi­ensts die Wohnung betreten und die Person erst einmal vorsichtig ansprechen“, erklärt Merz, der selbst das Vorwort für die Broschüre verfasst hat.

„Handlungss­icherheit im Einsatz“liegt mittlerwei­le gedruckt vor und soll fester Bestandtei­l im Demenzkoff­er des Netzwerks Ehrenamt werden. Als stellvertr­etender Kreisbrand­meister möchte Merz aber auch sämtliche Feuerwehre­n im Landkreis mit der Handreichu­ng ausstatten – und in seiner Funktion als Fachgebiet­sleiter Einsatz des Landesfeue­rwehrverba­nds dafür sorgen, dass eine gute Idee immer weitere Kreise zieht.

 ?? FOTO: ANNETTE GRÜNINGER ?? Die Broschüre „Handlungss­icherheit im Einsatz“richtet sich an Feuerwehre­n, Rettungsdi­enst und Polizei. Kommandant Klaus Merz (links) und Demenzlots­e Michael Wissussek wollen mit der Handreichu­ng mehr Bewusstsei­n im Umgang mit Demenzerkr­ankten schaffen.
FOTO: ANNETTE GRÜNINGER Die Broschüre „Handlungss­icherheit im Einsatz“richtet sich an Feuerwehre­n, Rettungsdi­enst und Polizei. Kommandant Klaus Merz (links) und Demenzlots­e Michael Wissussek wollen mit der Handreichu­ng mehr Bewusstsei­n im Umgang mit Demenzerkr­ankten schaffen.

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