Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Reise nach Jerusalem
Jürgen Sarnowsky über Entdecker und ihre Sicht auf das Fremde
Das Thema Entdeckungen klingt nach Spannung und Abenteuer. Entsprechend bewirbt der Verlag das Buch des Hamburger Historikers Jürgen Sarnowsky „Die Erkundung der Welt". Der andere Akzent im Titel ist bewusst gesetzt. Es geht um Reiseberichte als historische Quelle und um deren Wirkungsgeschichte.
Das ist natürlich etwas anderes. Und es könnte sogar heute noch interessanter sein. Vermutlich liegt aber die Konzeption des Buches zu weit zurück, als dass es die Fragestellung hätte aufnehmen können, welche „Narrative“, welche Vorstellungen von eigenen wie fremden Kulturen Menschen auf dem Globus hin- und herbewegen. Diese Thematik bleibt eher verdeckt. Allerdings bekommt man mit, wie lange es dauert, bis sich in der Begegnung von Kulturen so etwas wie ein Wirklichkeitssinn entwickelt.
So lange wie der Zeitraum, den Sarnowsky für seine konzentrierte Darstellung wählt: von den mittelalterlichen Pilgerreisen bis hin zu den Expeditionen Alexander von Humboldts 1800 bis 1804, die den „Durchbruch zur wissenschaftlichen Entdeckungsreise markieren“. Der Zeitrahmen entspricht Sarnowskys These: Die Reiseberichte führen von der „Verlockung“zur „Forschung“.
Bei der Lektüre erweist sich die ältere Epoche als die mit den aktuelleren politischen Bezügen, da der Tourismus religiös befeuert war. „Das Mittelalter“, schreibt Sarnowsky, „gilt als Epoche geringer Mobiliät, allerdings zu Unrecht.“Bauern, Handwerker, Händler zogen zu den Märkten, und der König war als Reisekönig unterwegs. Urkunden dokumentieren seinen Weg. Pilger kamen aus allen sozialen Schichten, die Ziele hat die Kirche theologisch sortiert. Im Spätmittelalter kommt Jerusalem als Fernreise hinzu.
Viele schreiben voneinander ab
Über die Wege dorthin gibt es entsprechende Berichte. „Dem geistlichen Ziel der Reise entsprechend konzentrieren sich die Berichterstatter nur auf die Heiligen Stätten und die dort zu erlangenden Ablässe. Das fremde Land und seine Bewohner finden kaum Berücksichtigung – oder nur als Hindernisse auf dem Weg zum eigenen Seelenheil.“Unter den Quellen finden sich viele deutsche Reiseberichte. Auffällig ist, dass jüngere Berichte zum Teil wortgenau die älteren übernehmen. Damit prägten die Reiseberichte Stereotypen aus, wie ja noch heute Reiseführer tun, die voneinander abschreiben.
Als rühmliche Ausnahme stellt Sarnowsky „Die Pilgerfahrt des Ritters Arnold von Harff aus Cöln“vor, die auch nicht die christlichen Pilgerstätten in Jerusalem, sondern Kairo ins Zentrum rückt. Seinem Bericht liegt ein Aufenthalt dort in den Jahren 1496 bis 1498 zugrunde. Harff fügt sogar ein Wörterbuch des Arabischen bei. Die Rundreise durch die arabische Welt, inklusive eines Besuchs in Mekka, für den sich der Kölner Autor in vorkarnevalistischer Rosenmontagslaune als Muslim verkleidet haben will, hält Sarnowsky für erfunden. Dennoch war Harff gut informiert. Seine Quellen waren zwei zum Islam konvertierte Händler aus Danzig und Basel, die ihn in Kairo mit den Gebräuchen und Glaubensregeln der Muslime vertraut machten.
Sarnowskys Buch hat einen sehr guten Anhang mit einer Zeittafel zu den Entdeckungsreisenden und einer Übersicht über ihre Reiseberichte sowie der entsprechenden wissenschaftlichen Literatur.