Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Wenn im Fernsehen die Adventskerzen brennen
Friedrichshafener Medienwissenschaftler Martin R. Herbers analysiert das TV-Programm in der Weihnachtszeit
- Martin R. Herbers, Mitarbeiter des Lehrstuhls für Allgemeine Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen, hat eine Arbeit über das Fernsehprogramm in der Weihnachtszeit verfasst. Redakteur Ralf Schäfer sprach mit dem Medienwissenschaftler.
Wird zu Weihnachten anders Fernsehen geschaut als sonst?
Die Weihnachtszeit ist immer eine Zeit der Ausnahmen. Man schließt das Jahr ab und gönnt sich etwas, vor allem Dinge, die besonders in die Zeit passen. Das betrifft nicht nur Glühwein und Weihnachtskekse, sondern auch das Fernsehprogramm: An Weihnachten laufen viele Filme, die zur Vorweihnachtszeit einfach dazugehören und während des Jahres nicht ausgestrahlt werden. Diese werden dann meist mit der ganzen Familie geschaut – anders als unter dem Jahr, in dem die Familienmitglieder ihr Programm meist selbst bestimmen.
Was wird zu Weihnachten gezeigt? Legendär sind die ZDF-Vierteiler „Lederstrumpf“, „Der Kurier des Zaren“oder „Die Schatzinsel“. Gibt es solche Kult-Filme immer noch?
Solche Filme gibt es immer noch – oder auch wieder. So zeigt RTL in diesem Jahr die Neuverfilmung der Winnetou-Reihe. Diese Figur begeisterte schon Generationen von Eltern und Großeltern und ich denke, dass sich auch die jüngere Generation für diese Geschichten begeistern wird. Im Bereich der „Kult-Filme“sind es hier vor allem die Märchenfilme, die immer wieder gezeigt werden und so die Weihnachtszeit einläuten. Allen voran natürlich die deutsch-tschechische Verfilmung des Märchens „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, die auch hier Jung und Alt vor den Fernseher bringt.
Wie thematisiert das Fernsehen das Thema Weihnachten? Gibt es Unterschiede zwischen öffentlichrechtlichen und privaten Sendern?
Erstaunlicherweise wird der christli- che Inhalt von Weihnachten in der Regel nur selten thematisiert. Dies ist im öffentlich-rechtlichen wie im privaten Rundfunk der Fall. Unterschiede gibt es in der Programmgestaltung: Im Privatfernsehen werden vor allem Komödien gezeigt, welche die eher weltlichen Aspekte des Weihnachtsfests ins Visier nehmen. Missglückte Familienfeiern (z. B. „Schöne Bescherung“oder „Kevin allein zu Haus“) und die Anstrengungen des Konsumtrubels (z. B. in „Versprochen ist versprochen“) stehen hier thematisch im Mittelpunkt. Romantische Komödien wie „Tatsächlich…Liebe“nehmen Weihnachten als Hintergrund für verschiedene Liebesgeschichten. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen setzt da eher auf Märchenfilme für Jung und Alt, aber auch Verfilmungen von Kinderbüchern. Die Filmreihe „Michel aus Lönneberga“etwa verkürzt den Kindern am Heiligen Abend die Zeit bis zur Bescherung.
Auffällig ist, dass es in der Adventszeit und über die Feiertage im Spätprogramm viele Horrorstreifen gibt. Was wollen die Sender uns damit sagen oder was wird da bedient?
Das Horror-Genre spielt mit individuellen, aber auch gesellschaftlichen Ängsten. Diese bahnen sich natürlich zu Weihnachten ihren Weg. Weihnachten hat ja eine schreckliche Komponente. Der Nikolaus wird auch vom schauerlichen Knecht Ruprecht begleitet, der die Kinder über das Jahr mahnt, sich gut zu benehmen. In Österreich kennt man den Krampus, der die Kinder in der Vorweihnachtszeit das Fürchten lehrt. So gibt es tatsächlich auch „Weihnachtshorror-Filme“, die mit diesen Ideen spielen. Dass Fernsehsender aber auch „reguläre“Horrorfilme ins Programm nehmen, hat nicht nur gesellschaftliche, sondern auch ökonomische Gründe: Die Sender erweitern so ihre Zielgruppen auf die „Weihnachtsmuffel“, die mit dem Trubel nichts am Hut haben wollen und hier einen Ausweg suchen. Den Sendern bringt dies letztlich Werbeeinnahmen.
Gibt es Unterschiede zwischen dem Angebot von Streaming-Diensten im Feiertagsangebot zu denen des TV-Programms?
Die großen Streaming-Anbieter wie Netflix oder Amazon Prime Video haben kein gesondertes Weihnachtsprogramm. Sie bieten aber das ganze Jahr über Zugriff auf verschiedene Weihnachtsfilme. Wenn man also seinen Lieblingsfilm im Fernsehen verpasst hat oder ihn sich noch einmal anschauen möchte, wird man bei diesen Anbietern fündig. Bei den Streaming-Anbietern ist also prinzipiell jeder Tag Weihnachten. Beim Fernsehen hingegen bleibt das Weihnachtsprogramm dem Jahresende vorbehalten und dient den Zuschauern als eine Art „medialer Adventskalender“.