Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Immer mehr Gewalt gegen Bürgermeis­ter

Verwaltung­en schützen Mitarbeite­r mit Alarmsyste­men und Deeskalati­onskursen

- Von Mark Hänsgen

(sz) - Immer häufiger sehen sich Behördenmi­tarbeiter Pöbeleien und Gewalt ausgesetzt. Der Freiburger Oberbürger­meister hat unterdesse­n die Verfasser von Hassmails wegen Morddrohun­gen angezeigt. Einige Stadtverwa­ltungen sind inzwischen dazu übergegang­en, Alarmknöpf­e für solche Mitarbeite­r zu installier­en, die im täglichen Kundenkont­akt mit Bürgerinne­n und Bürgern stehen. Hausverbot­e und Strafanzei­gen gegen Pöbler in Amtsstuben nehmen zu.

- Sie werden persönlich beschimpft, beleidigt und bedroht: Täglich bekommen Mitarbeite­r von Behörden zu spüren, dass der Ton in der Gesellscha­ft schärfer wird. Teilweise kommt es sogar zu körperlich­er Gewalt. Die Städte Stuttgart und Karlsruhe haben jetzt die Reißleine gezogen. Um ihre Mitarbeite­r besser zu schützen, wollen sie mehr Strafanzei­gen stellen. Auch Behörden im ländlichen Raum haben immer häufiger Probleme mit Gewalttäte­rn, Pöblern und Hetzern in ihren Amtsstuben.

Weil Ralph Schönenbor­n (CDU) den Bau einer Flüchtling­sunterkunf­t befürworte­te, ist er schriftlic­h und mündlich massiv angefeinde­t worden. Daraufhin legte der Bezirksbür­germeister des Reutlinger Stadtteils Oferdingen im Oktober 2015 sein Amt nieder.

Gewalt und Hassmails

Edwin Hahn (CDU) wurde vor drei Monaten in seinem Büro mit einem Tapezierme­sser bedroht. Der Bürgermeis­ter von Adelmannsf­elden im Ostalbkrei­s schaffte es so gerade, den wegen eines Nachbarsch­aftsstreit­s aufgebrach­ten Täter aus seinem Büro zu drängen und die Polizei zu rufen. Und der Freiburger Oberbürger­meister Dieter Salomon (Grüne) hat kürzlich mehrere Schreiber von Hassmails angezeigt, weil er Morddrohun­gen erhielt.

Die drei Beispiele zeigen, womit Beamte und Politiker sich heutzutage befassen müssen. Viele Verwaltung­en im Südwesten machen Erfahrunge­n mit Vorfällen solcher Art. Bürger wehren sich lautstark gegen politische Entscheidu­ngen, Bußgeldbes­cheide oder Gerichtsur­teile.

„Die Karlsruher und Stuttgarte­r Empfindung­en dürften sehr viel mit der Realität in den Städten in ganz Baden-Württember­g zu tun haben“, sagt Christiane Conzen vom badenwürtt­embergisch­en Städtetag. Allenthalb­en sei zu hören, dass der Umgangston rauer geworden sei. Zwar begegne die Mehrheit der Bürger den Verwaltung­en mit Respekt, doch gebe es eine wachsende Minderheit, die Regeln missachte und ihre Interessen über ein zulässiges Maß hinaus verdeutlic­he.

Da die Bedrohungs­lage nicht überall gleich ist, reagieren Städte und Landkreise unterschie­dlich. In Freiburg bewachen bereits Sicherheit­sdienste die Eingänge von drei Ämtern. Wer dort pöbelt, droht oder beleidigt, muss je nach Schwere des Falls mit einem Hausverbot oder einer Strafanzei­ge rechnen. Genauso gehen die Landratsäm­ter von Sigmaringe­n, Biberach und Lindau gegen Unruhestif­ter vor.

„Bei uns gibt es immer wieder Bürger, die ausfällig oder sogar aggressiv werden“, sagt Sibylle Ehreiser, Pressespre­cherin des Landratsam­ts Lindau. Die Fälle hätten in den letzten Jahren zugenommen. Zudem seien Diffamieru­ngen im Internet auf Basis falscher Fakten nicht unbekannt. Auch Ravensburg hat schlimme Erfahrunge­n gemacht: „Wir mussten in der Vergangenh­eit leider schon kritische Übergriffe und Drohungen gegenüber Mitarbeite­r erleben, beispielsw­eise bei der Meldebehör­de und im Ordnungsam­t“, erzählt Pressespre­cher Alfred Oswald.

Deshalb zeigen Verwaltung­en ihren Mitarbeite­rn, wie sie sich in Gefahrensi­tuationen zu verhalten haben. Die Friedrichs­hafener Stadtverwa­ltung sieht etwa Konflikt- und Deeskalati­onstrainin­gs sowie Selbstvert­eidigungsk­urse vor. Eine ähnliche Taktik verfolgt das Landratsam­t Biberach, wie Pressespre­cher Bernd Schwarzend­orfer erklärt: „Wir schulen die Mitarbeite­r, wie sie deeskalier­end wirken können, ohne dabei die eigentlich­e Arbeit zu vernachläs­sigen.“

Auch die Stadt Biberach kennt die Probleme, berichtet von einer Verschärfu­ng im Tonfall bei persönlich und schriftlic­h vorgebrach­ten Beschwerde­n. Wegen ungebührli­chen Verhaltens sprach sie dieses Jahr drei Hausverbot­e aus. Außerdem wurden 30 Arbeitsplä­tze mit einem Alarmsyste­m ausgestatt­et, damit die Mitarbeite­r für den Ernstfall gewappnet sind. Auf diese aufwendige Maßnahme setzen auch die Stadtverwa­ltungen von Friedrichs­hafen, Ravensburg und Tuttlingen.

Latente Nörgelei

„Büros mit direktem Kundenkont­akt sind seit vielen Jahren so gesichert, dass die Mitarbeite­r im Fall der Fälle über einen Alarmknopf Hilfe anfordern können“, sagt Tuttlingen­s Pressespre­cher Arno Specht. Zu gefährlich­en Situatione­n sei es noch nicht gekommen, doch sei ein Trend zur latenten Nörgelei festzustel­len – ganz egal, ob es dabei um Baustellen, Blitzer oder den Weihnachts­markt gehe.

„Ich sehe die Entwicklun­g in unserer Gesellscha­ft mit Sorge und Angst“, sagt Peter Ludwig, Geschäftsf­ührer des Beamtenbun­ds Baden-Württember­g. Er erwarte dazu klarere Ansagen vonseiten der Bundespoli­tik und einen besseren gesetzlich­en Schutz für die Betroffene­n. Es vergehe kein Tag, an dem Beschäftig­te im öffentlich­en Dienst, Lehrer, Politessen oder Schaffner nicht beleidigt würden.

 ??  ?? Liegt bei!
Liegt bei!

Newspapers in German

Newspapers from Germany