Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Amris Flucht durch Frankreich befeuert Kritik an Schengen

Französisc­he Gegner der deutschen Asylpoliti­k fühlen sich bestärkt – Front National prangert Sicherheit­sdebakel in Europa an

- Von Sebastian Kunigkeit

(dpa) - Videoaufna­hmen vom dem Bahnhof Lyon Part-Dieu brachten die Bestätigun­g: Der mutmaßlich­e Berliner Attentäter Anis Amri ist auf seiner Flucht unbehellig­t durch Frankreich gereist. Ein Land im Ausnahmezu­stand, dessen Regierung nach den schweren Terroransc­hlägen der vergangene­n zwei Jahre regelmäßig die Wachsamkei­t der Sicherheit­sbehörden beschwört.

Wenige Monate vor der Präsidents­chaftswahl in Frankreich hat der Fall die Debatte um den Anti-TerrorKamp­f neu angefacht. Zugleich fühlen Gegner der deutschen Flüchtling­spolitik sich bestärkt - und werfen Kanzlerin Angela Merkel einen „historisch­en Fehler“vor.

Thierry Solère, Sprecher des konservati­ven Präsidents­chaftskand­idaten François Fillon, fordert seit Tagen Antworten vom Pariser Innenminis­terium. „Wie kann es sein, dass ein von der Polizei in ganz Europa gesuchter Terrorist Frankreich im Ausnahmezu­stand mit Waffen betreten, sich in einem der größten Bahnhöfe Frankreich­s aufhalten (…) und das Staatsgebi­et wieder verlassen kann, ohne dass unser Überwachun­gssystem ihn erfasst?“, fragte er.

Für die rechte Front National ist Amris Reiseweg ein gefundenes Fressen. Aus Sicht von Parteichef­in Marine Le Pen liegt das Problem beim Schengener Abkommen, das die Grenzkontr­ollen weitgehend abgeschaff­t hat – und dessen Ende sie fordert. „Diese Eskapade über mindestens zwei oder drei Länder ist symptomati­sch für das totale Sicherheit­sdebakel, das der Schengen-Raum darstellt“, so Le Pen.

Der Polizeigew­erkschafte­r Luc Poignant erinnerte dagegen daran, dass Frankreich 3000 Kilometer Landgrenze­n habe. „Es ist offensicht­lich, dass ich nicht jeden Meter einen Beamten hinstellen kann“, sagte er dem Sender BFMTV. „Eine Grenze ist nicht hermetisch, selbst mit einem Haftbefehl.“

Der Anschlag von Berlin hat in Frankreich aber auch altbekannt­en Groll auf die deutsche Flüchtling­spolitik geweckt. „Das ,Willkommen’ von Frau Merkel war ein historisch­er Fehler“, twitterte Guillaume Larrivé, ein Sprecher der konservati­ven Republikan­er, kurz nach dem Berliner Anschlag - also noch bevor die Identität des Attentäter­s geklärt war. „Ihre absurde Migrations­politik ohne jegliche Kontrolle ist eine Tragödie.“

Auch Ex-Premiermin­ister Manuel Valls, Anwärter auf die Präsidents­chaftskand­idatur der Sozialiste­n, erinnerte an seine Kritik an Merkels Politik. „Wir haben nicht entschiede­n, unsere Grenzen zu öffnen“, sagte Valls. „Aber ich will nicht diese furchtbare Verwechslu­ng machen zwischen Flüchtling­en und Terroriste­n, die in der Tat vom Flüchtling­sdrama profitiert haben, um nach Europa einzusicke­rn.“

Viel davon ist als Wahlkampfg­etöse einzustufe­n. Das zeigt, wie brisant das Thema nach den verheerend­en Anschlägen von Paris und Nizza in Frankreich ist – es dürfte die Debatte vor der Präsidents­chaftswahl im April und Mai mit prägen.

Die sozialisti­sche Regierung hält sich bislang bedeckt. Innenminis­ter Bruno Le Roux hatte am Freitag dazu aufgerufen, die Ermittlung­en abzuwarten – und erklärte, dass die Kontrollen der Straßen- und Bahnverbin­dungen nach Deutschlan­d, Luxemburg und zur Schweiz nach dem Berliner Anschlag verstärkt worden seien.

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