Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Im Mittelpunk­t steht der Zauberer Mann

Münchner Literatura­rchiv Monacensia nach Renovierun­g wieder eröffnet

- Von Christa Sigg Monacensia,

- Mit der Monacensia öffnet das „Literarisc­he Gedächtnis der Stadt München“nach einer grundlegen­den Sanierung wieder seine Tore.

Man weiß gar nicht so recht, wo man sich hinsetzen will. Ins lichte Atelier oder gleich nebenan ins Café, das von der hellen Wintersonn­e durchspült wird? In die bequemen Lesesessel im Obergescho­ss oder vielleicht doch ins Turmzimmer mit Aussicht? „Das ist schon reserviert“, unterbrich­t Elisabeth Tworek, die Leiterin der Monacensia, die Überlegung­en. „Hier darf sich ein Professor niederlass­en, der an einer Werkausgab­e Frank Wedekinds arbeitet.“Wer das dann ist, wird sich bestimmt bald zeigen, die getäfelte Stube gehört mit ihren schlichten Deckenfres­ken zu den schönsten Plätzen im frisch renovierte­n Hildebrand­haus. Im noblen Bogenhause­n sitzt das 150 000 Bände starke „Literarisc­he Gedächtnis der Stadt München“, in das man seit Anfang Dezember wieder eintauchen darf.

Wobei dieses „Erinnerung­svermögen“natürlich immer funktionie­rt hat. Ein Archiv – und das ist im Fall der Monacensia mit mehr als 200 Nachlässen und um die 350 000 weiteren Dokumenten beträchtli­ch – muss ja weiterhin zugänglich sein. Zumal, wenn es um die Säulenheil­igen des literarisc­hen Münchens geht, also um Frank Wedekind und Oskar Maria Graf, um Annette Kolb und die freizügige Gräfin zu Reventlow, um Lion Feuchtwang­er und natürlich den alles überragend­en Thomas Mann sowie dessen auch nicht gerade schreibfau­le Sippe.

Seit Herbst 2013 wurde die ehemalige Künstlervi­lla Adolf von Hildebrand­s (1847-1921) grundlegen­d saniert, und das war bitter nötig. Einige Räume konnten aus statischen Gründen gar nicht mehr genutzt werden, deshalb hat sich jetzt nach der Überholung die für die Monacensia bespielbar­e Fläche mit 780 Quadratmet­ern mehr als verdoppelt. Und man bemerkt sofort die neue Luftigkeit. Das wird sich auch nicht ändern, wenn Wissenscha­ftler an den modernen PC-Arbeitsplä­tzen grübeln und sich die Bücherrega­le weiter füllen mit noch ziemlich lebendigen Münchner Autoren von Friedrich Ani bis Uwe Timm, Lena Gorelik, Hans Pleschinsk­i oder Dagmar Leupold.

Dazu kommt die vom Architekte­n Lorenz Wallnöfer realisiert­e Öffnung des Hauses, die vor allem von einem gläsernen Anbau auf der Südseite markiert wird. Durch diese Art Wintergart­en konnte die ursprüngli­che Atelieratm­osphäre wieder hergestell­t werden. Denn die bislang zugemauert­en Tore sind jetzt durchgängi­g, und an den Wänden hängen typische Reliefs des Deutschröm­ers Hildebrand, der München den monumental­en Wittelsbac­her Brunnen am Lenbachpla­tz beschert hat.

Wie es sich für ein Haus der Literatur gehört, ist in diesem großzügige­n Raum auch nach der Renovierun­g eine stattliche Büchersamm­lung untergebra­cht. Die Bibliothek des emigrierte­n Peter de Mendelssoh­n zählt zu den Kostbarkei­ten der Monacensia, sein literarisc­her Nachlass zu den wichtigste­n Quellen der Thomas-Mann-Forschung.

Blick auf wilde Zeit der Stadt

Von diesem einladende­n Forum aus gleitet man dann auch gleich ins sinnliche Zentrum des Hauses mit der Dauerausst­ellung – und schaut auf eine Laute. Frank Wedekind hat auf dem bauchigen Instrument seine unverschäm­ten Lieder begleitet, und damit blüht die wildeste Zeit der Stadt auf. Elisabeth Tworek, die hier einen anregenden wie kurzweilig­en Rundgang kuratiert hat, lässt das heute so gediegen brave München mächtig schillern.

In Wort und Bild und Ton feiert die Bohème der 1910er- und 1920erJahr­e wilde Partys. Man wundert sich, dass die Damen und Herren überhaupt noch zur Feder greifen konnten, bei all den vollen Gläsern und leeren Flaschen, zwischen Revue und bitterböse­m Kabarett. Wie gut, dass es damals auch „Menschen von Erziehung“gab, die „saubere Wäsche und einen heilen Anzug“trugen und keine Lust darin empfanden ,„mit ungepflegt­en jungen Leuten an absinthkle­brigen Tischen anarchisch­e Gespräche zu führen“. Aus den „Buddenbroo­ks“wäre andernfall­s nie etwas geworden, das hat Thomas Mann klar erkannt – und sich ferngehalt­en von Schwabinge­r Exzessen und „mühsamen“Konspirati­onen. Dennoch wurde aus dem unterkühlt distinguie­rten Lübecker ein für seine Verhältnis­se leidenscha­ftlicher Münchner. Der Stadt sei er „von Herzen zugetan“, schrieb er 1955 wenige Wochen vor seinem Tod an Oberbürger­meister Thomas Wimmer.

Zwischen „Bohème und Exil“hat sich unfassbar viel getan im literarisc­hen München der Thomas-MannÄra. Und obwohl die neue Dauerschau keineswegs überladen ist und vor allem Lust machen soll, tiefer zu schürfen, kann man auf den paar Quadratmet­ern leicht der Welt abhandenko­mmen.

Maria-Theresia-Str. 23, in München. Öffnungsze­iten: Mo.-Mi. 9.30-17.30 Uhr, Do. 12-19 Uhr, Dauerausst­ellung auch Sa., und So. 11-18 Uhr, Eintritt frei.

 ?? FOTO: EVA JÜNGER ?? Blick in die neue Dauerausst­ellung der Monacensia. Hinter den Sesseln sieht man von links Tilly und Frank Wedekind auf dem Weg zur Probe in den Kammerspie­len, in der Mitte Oskar Maria Graf als Rekrut auf einer Postkarte an die Geschwiste­r 1914 und...
FOTO: EVA JÜNGER Blick in die neue Dauerausst­ellung der Monacensia. Hinter den Sesseln sieht man von links Tilly und Frank Wedekind auf dem Weg zur Probe in den Kammerspie­len, in der Mitte Oskar Maria Graf als Rekrut auf einer Postkarte an die Geschwiste­r 1914 und...

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