Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Eine Stadt bleibt immer in Bewegung“
Bürgermeister Marcus Schafft über schwierige Themen und wirtschaftliche Entwicklungen
Riedlingens Bürgermeister Marcus Schafft im SZ-Jahresinterview.
(uno) - Wie war das abgelaufene Jahr 2016 für die Stadt Riedlingen? Was waren die großen Themen? Wo liegen Schwerpunkte 2017? Im zweiteiligen Interview mit der SZ nimmt Bürgermeister Marcus Schafft Stellung. Im ersten Teil spricht er über schwierige Themen, das Gesundheitszentrum und dass es schwer werden könnte, den Schlachthof in Riedlingen zu halten.
Auf einer Skala von eins (ganz schlecht) bis zehn (sehr gut): Wie war das Jahr 2016 für die Stadt Riedlingen?
Es waren Schwierigkeiten da. Da ist der Rückzug der Firma Müller mit all seinen Folgen zu nennen. Man sieht auch an anderer Stelle, dass nun Vorgänge zum Teil nach Jahren auf den Punkt kommen. Aber man sieht auch, dass an der Masse der Vorgänge Lösungsmöglichkeiten da sind und diese auch abgearbeitet werden. Insofern war es ein gutes Jahr. Aus meiner Sicht hat sich auch die Stimmungslage im Gemeinderat in der zweiten Jahreshälfte positiv verändert. Auch in der Außenwahrnehmung.
Was waren für Sie drei herausragende Ereignisse oder Themen?
Dass sich die SRH Fernhochschule für den Standort Riedlingen entschieden hat. Auch die Entscheidung von Kolping hier eine Immobilie zu erwerben, war wichtig. Und, dass wir beim Thema Gesundheitszentrum beim Thema Ärztehaus in die Offensive gegangen sind. Der Theatersommer war für uns alle ein ganz wichtiges Thema. Der hat uns alle begeistert.
Und welches waren die schwierigsten Themen?
Eines davon war die Debatte um den Verlauf der Stromtrasse. Doch so eine Entscheidung wird nur alle 100 Jahre getroffen. Der Gemeinderat hat eine Positionierung getroffen und die Firma Amprion arbeitet seinen Teil ab. Aus Sicht der Stadt ist es auch positiv, dass Riedlingen mit der Ostumfahrung im vordringlichen Bedarf ist – auch wenn es unterschiedliche Interessen gibt. Und dass Müller den Standort in der Innenstadt aufgegeben hat. Man sieht aber auch, welche Prozesse und Überlegungen dies ausgelöst hat.
Die Realisierung des Gesundheitszentrums steht Spitz auf Knopf. Ende März fällt wohl eine Entscheidung. Wie bewerten Sie die Lage?
Es ist derzeit eine ganz schwierige Situation. Vieles hängt davon ab, ob eine Personalie – nämlich die eines internistischen Belegarztes – durch die Sana positiv beantwortet wird und ob Sana weiterhin den Prozess stationär mitträgt. Positiv ist, dass die St. Elisabeth-Stiftung (SES), die Sana und der Kreis die Überlegungen der Stadt, sich um das Thema Ärztehaus zu kümmern, positiv aufgenommen haben. Das hat auch extern positive Reaktionen ausgelöst. Da haben sich auch Ärzte nochmals bei mir gemeldet und Interesse signalisiert.
Woran hängt es nun? Einzig und allein an einer verbindlichen Zusage von Sana?
Es wäre schlecht eine Rollenverteilung nach Gut und Böse vorzunehmen. Klar ist, dass es entgegen der ersten Einschätzung aller schwierig ist, Ärzte zu finden, die dieses Modell bespielen. Wobei ich weiterhin davon überzeugt bin, dass das Runde-Konzept ein sehr moderndes Modell ist, dass den jetzigen Anforderungen im Gesundheitsmarkt entspricht. Der Flaschenhals ist die personelle Ressource. Wobei ich auch davon überzeugt bin, dass die Entscheidung richtig ist, zunächst im bisherigen Haus zu bleiben und damit das wirtschaftliche Risiko zu senken. Es muss uns gelingen, die richtige Person anzusprechen. Die Bedingungen zum Jahreswechsel sind durch das Absenken der wirtschaftlichen Hürden eher besser geworden. Wenn es jetzt nicht klappt, wird es richtig schwierig.
Aber der Zeitruck ist da.
Zum Jahreswechsel wird sich klären, ob die Gespräche mit einem Arzt zu einem positiven Ende kommen.
Und ihre Einschätzung auf Ende März: Da braucht die St. Elisabeth ein klares Signal, wie es dort weitergeht?
Wir sind in der Phase der Entscheidungsreife. Ich gehe davon aus, dass dies zu einem vernünftigen Ende kommt und wir eine Innere aufbauen können. Aber im Moment fehlt mir einfach die Vorstellung, wieso das nicht möglich sein soll.
Erst in der Vorbereitungsphase ist das Thema Fachmarktzentrum auf dem Stadthallenareal. Bei dem Thema ist umstritten, ob dies der Innenstadt helfen kann.
Lassen Sie mich die Frage andersherum aufbauen: Was passiert denn, wenn der Impuls nicht gesetzt wird? Dann sieht es zum jetzigen Zeitpunkt nicht gut aus. Daher wollen wir einen Impuls setzen, der der Innenstadt hilft, aber nicht zu stark ist. Im Fachmarktzentrum muss man Sortimente abbilden, die größere Flächen in Anspruch nehmen und nicht in der Altstadt möglich sind. Den qualifizierten Bedarf, den ich auch auf kleineren Flächen abbilden kann, findet sich in der Altstadt. Es ist unsere Aufgabe diese Verschränkung der „erweiterten Innenstadt“und der Altstadt auch durch die entsprechenden Angebote zu erhöhen. Dazu passt die neue Brücke bestens, die wir 2017 bauen. Und dann haben wir noch die Verschränkung durch unterschiedliche Angebote. Zudem: Wenn am Tuchplatz neue Wohnungen entstehen, hilft das auch der Alt- stadt, weil damit neue Konsumenten dazu kommen.
Aber eigentlich benötigt man den Frequenzbringer in der Innenstadt!
Es gibt klare Aussagen von Müller und Rossmann, dass sie an der jetzigen Stelle in der Altstadt nicht tätig sein wollen. Wir haben noch andere Optionen, an denen wir arbeiten. Aber es wäre noch zu früh, um darüber öffentlich zu sprechen. Aber ich erwarte auch die Impulse und Ideen aus den Reihen der Geschäftsleute, was man tun soll, um die Altstadt interimsweise und dauerhaft zu stärken. Und als Zweites müssen wir die Planungen an der Stadthalle konsequent abarbeiten. Die Stadt muss dabei die Leitungsfunktion haben.
Es gibt auch Kritik: Wie kann man dieses „Filetstück“mit Blick auf die Altstadt für einen solchen Gewerbeklotz wegwerfen.
Die Innenstadt muss wieder „ins Laufen kommen“– das ist die Herausforderung. Und darum kann Riedlingen froh sein, dass sie Flächen in der Nähe der Altstadt anbieten kann. Jeden Meter, den ich weiter weg gehe, gefährdet den Impuls in die Altstadt hinein. Und man muss auch erkennen: Eine Stadt bleibt immer in Bewegung.
Um welchen Preis?
Eine Stadt ist nun mal ein System, das sich immer neu entwickelt. Es gibt Infrastrukturen, die wir nicht halten werden. Schlachthof und Viehzentrale sind wichtig – aber wenn mir darüber die ganze Altstadt kippt, dann muss ich abwägen. Und es bleibt festzuhalten: Nach heutigen Ordungsgesichtspunkten gehören eine Viehzentrale und ein Schlachthof in ein Gewerbegebiet. Die Stadt sieht sich als Partner der Unternehmen. Aber wenn wir dort im größeren Stil Entwicklungen vorantreiben, kommen wir nicht umhin, auch über Veränderungen des Standorts der Unternehmen zu sprechen. Auf diese Zusammenhänge habe ich 2015 in Ihrer Zeitung schon hingewiesen. Die Viehzentrale hat von uns Angebote für Standorte bekommen. Beim Schlachthof ist es leider eher unrealistisch, dass ein neuer in Riedlingen gebaut wird.
Es gibt genügend Kritiker, die angesichts der Brücke oder des Mohren den Markenkern Riedlingens verloren sehen, nämlich sein Ensemble.
Der Ensembleschutz der Altstadt verhindert, dass die Altstadt weggerissen oder umgekrempelt wird. Und das ist gut und notwendig. Aber in Bereichen ohne Ensembleschutz ist es notwendig, dass sich dort Veränderungen ergeben können, um eine „Ausnahme“wie die Altstadt erhalten zu können. Ich kann doch nicht die ganze Stadt Riedlingen unter Museumsschutz stellen. Wer das fordert, der fordert damit den Bau eines Marktes auf der grünen Wiese – mit all seinen Problemen.
Vor einem Jahr hatten Sie im Interview gesagt, dass das Einzelhandelskonzept (EHK) modifiziert werden müsse. Aber das ist nicht passiert.
Das steht weiter hinten in der Ablaufkette: Zuerst gilt es die Flächenplanung zu machen und erst dann kann das EHK angepasst werden. Spätestens, wenn das Stadthallenareal kommt, muss dieses vom EHK erfasst werden.
Das ist eine räumliche Erweiterung, aber keine inhaltliche Veränderung.
Da kann es im Detail zu Veränderungen kommen, aber im Kern wird es weiterhin innenstadt-relevante Sortimente geben.
2017 steht noch der Brückenneubau an. Für den Handel, nach dem Müller-Weggang, kommt dies zu einem unguten Zeitpunkt.
Ein Brückenneubau ist immer der falsche Zeitpunkt. Doch die Kanalbrücke hat ihre Lebenszeit erreicht und muss erneuert werden. Das müssen wir nun durch bestimmte Maßnahmen abfangen. Es sollte uns etwa gelingen, übergangsweise innenstadtnah, etwa auf dem Marktplatz, weitere Parkplätze zu schaffen. Das werden wir mit dem Landratsamt besprechen. Aber es kommt auch eine neue Brücke, nämlich die Fußgängerbrücke, zum richtigen Zeitpunkt dazu. Eine offene Anmerkung sei mir noch gestattet: Dass die Firma Müller auf das Stadthallenareal reflektiert, ist doch schon 2011 erkennbar gewesen. Und die Renovierung der Kanalbrücke wird seit einigen Jahren geschoben...
Wie stehen Sie zur Öffnung der Donaustraße?
Ich bin skeptisch. Denn wenn ich die Donaustraße öffne, werden dort Autos vor den Geschäften halten. Das zieht Probleme nach sich – etwa des Brandschutzes oder dass wir mit dem unfreundlichen Gesicht des Ordnungsrechts auftreten müssen. Letztlich entscheidet aber die Verkehrsbehörde des Landratsamts.
Vor gut einem Jahr wurde der Riedlinger City- und Marketingverein (RCM) etabliert. Hat sich dieses doch komplizierte Konstrukt aus Stadt, HGR und RGW bewährt?
Aus meiner Sicht hat sich dies bewährt. Natürlich läuft nicht alles sofort ganz rund. Natürlich wünscht man sich, dass es etwas schneller geht. Aber nun arbeiten wir alles ganz sauber ab. Man darf auch nicht mitten im Lauf alles hinterfragen. Wir haben eine Evaluierungsphase nach drei Jahren eingeplant, nicht schon nach einem Jahr. Aber aus meiner Sicht läuft der Prozess gut. Mit den vorhandenen Personalressourcen machen wir gute Arbeit. Im Standortmarketingprozess gingen wir zudem davon aus, dass mehr Geld zur Verfügung steht. Die Stadt hat ihren Beitrag im Übrigen bereitgestellt.
Doch das RCM hat wieder um Gelder der Stadt gebeten, um die Brückenbauzeit werblich abzufedern. Hängt das RCM nun beständig und immer stärker am Tropf der Stadt?
Das sind zwei Ebenen: Das Standortmarketing ist durchfinanziert, die Budgets sind zur Verfügung gestellt. Aber wir haben nun eine Sondersituation mit dem Brückenbau und dem Weggang von Müller. Nun gibt es den zusätzlichen Wunsch nach Unterstützung. In so einer Situation muss man offen miteinander reden und gemeinsam eine Lösung finden. Ich bin auf das Gewerbe zugegangen, und wollte hören, was sie benötigen – aber auch, was der Handel beitragen will. Das ist doch keine „One-City-Show“.
Ein Sprung zum Gewerbe: Was Ansiedlungen angeht, ist 2016 nichts passiert. Ist das Gewerbegebiet Neufra überhaupt zu retten?
Neufra ist ein dickes Brett, das wir bohren müssen. Wir müssen dort Retentionsraum schaffen, weil es im kartierten Hochwassergebiet liegt. Dafür müssen wir Lösungen entwickeln, um die innere Erschließung angehen zu können. Da sind wir dabei. Aber im Übrigen ist es nicht so, dass gar nichts passiert wäre. Die Firma Blank ist am Bauen, auf der Klinge haben sich Unternehmen angesiedelt und es gibt auch Veränderungen in der Kastanienallee.
Aber das Betzenweiler Unternehmen Reck ist nicht nach Riedlingen, sondern nach Dürmentingen.
Wir hatten keine erschlossenen Flächen anzubieten. Das Thema war relativ rasch durch.
Sollte die Stadt andere Gewerbegebietsflächen andenken?
Aus meiner Sicht müssen wir zweigleisig fahren. Zum einen müssen wir überlegen, welche Flächen kann man kurzfristig retten? Und mittelfristig sollten wir Neue ausweisen. Dabei sind wir mit einer anderen Kommune im Gespräch über ein interkommunales Gewerbegebiet. Im Zuge der Ostumfahrung würde sich ein Gewerbegebiet dort anbieten.