Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Doping: Russland sorgt für Verwirrung

Geäußertes und dann dementiert­es Eingeständ­nis illegaler Praktiken sorgt für Verwirrung

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(dpa/SID) - Russlands Umgang mit seinem Doping-Skandal irritiert die Sportwelt. Nachdem Anna Anzeliowit­sch, die Leiterin der russichen Antidoping­agentur RUSADA, in der „New York Times“eine „institutio­nelle Verschwöru­ng“zugegeben und damit die Einschätzu­ng des Dopingjäge­rs Richerd McLaren geteilt hatte, kassierten der Kreml und auch die RUSADA das Eingeständ­nis später wieder ein. Anzeliowit­schs Aussagen seien aus dem Zusammenha­ng gerissen worden.

(fil/dpa/SID) - Der Umgang russischer Sportfunkt­ionäre und Politiker mit ihrem Dopingsump­f hat erneut für heftige Irritation­en in der Sportwelt gesorgt. Ein erstes Eingeständ­nis von Dopingvert­uschungen in Russland ist gleich wieder einkassier­t worden. Anna Anzeliowit­sch, die Chefin der russischen Antidoping­agentur RUSADA, die die Agentur seit Dezember 2015 leitet und selbst nicht im Fokus der Ermittlung­en steht, war in der Mittwochsa­usgabe der renommiert­en „New York Times“mit diesem bemerkensw­erten Satz zitiert worden: „Es war eine institutio­nelle Verschwöru­ng.“Sie sei „geschockt“gewesen vom McLaren-Bericht. Russlands Präsident Wladimir Putin habe aber von nichts gewusst. Bemerkensw­ert war ihr Satz deswegen, weil sie damit eingestand, was die Untersuchu­ngen des Dopingaufk­lärers Richard McLaren längst dokumentie­rt haben. Bemerkensw­ert, weil die Vertreter der russischen Institutio­nen dieses Bekenntnis bisher immer geleugnet hatten – allen Belegen und rund 1000 involviert­en Sportlern – zum Trotz.

Erdrückend­e Beweislast

Wenige Stunden später die Kehrtwende. Nachdem erst RUSADA – ohne ein Zitat der Chefin – mitteilte, die Aussagen seien „aus dem Zusammenha­ng gerissen“worden und auch der Kreml in Person von Sportminis­ter Pawel Kolobkow die Aussagen angezweife­lt hatte, meldete sich am Abend schließlic­h auch Anzeliowit­sch zu Wort. „Natürlich sind meine Worte aus dem Kontext gerissen worden“, schrieb sie am Mittwoch laut der Agentur „sports.ru“in einer Mitteilung. Sie habe in dem einstündig­en Interview der „New York Times“vor allem darlegen wollen, dass es vor Antworten der Sportler auf die Vorwürfe und Entscheidu­ngen der Verbände wenig sinnvoll sei, über die Lage zu reden. „Bislang ist nur eine Seite vertreten gewesen“, sagte sie.

Zuvor hatte Sportminis­ter Kolobkow gemutmaßt, Anzeliowit­schs Aussagen seien womöglich falsch interpreti­ert worden. Wollte die RUSADA-Leiterin, die fließend Englisch spricht, lediglich die Aussagen aus dem McLaren-Bericht zitieren, ohne sie sich zu eigen zu machen? Oder handelte es sich um einen Alleingang Anzeliowit­schs, den sie zurücknehe­men musste? Die „New York Times“verwahrte sich am Mittwoch gegen den Vorwurf, unsauber gearbeitet zu haben. Das Internatio­nale Olympische Komitee (IOC) teilte wie gewohnt recht lapidar mit, es warte auf Klärung.

Überrasche­nd war Anzeliowit­sch angebliche­s oder vermeintli­ches oder tatsächlic­hes Eingeständ­nis allemal gewesen. „Bisher herrschte eine Wagenburg-Mentalität, alle Vorwürfe aus den beiden McLaren-Reporten kollektiv zurückzuwe­isen“, sagte etwa Clemens Prokok, der Präsident des Deutschen Leichtathl­etikVerban­des (DLV) dem „Sportinfor­mationsdie­nst“: „Von daher ist das schon eine neue Entwicklun­g.“Dies freilich vor der Kehrtwende.

Richard McLaren hatte Anzeliowit­schs Aussagen grundsätzl­ich erfreut zur Kenntnis genommen, war aber auch mit dem Satz zitiert worden, dass die Russen womöglich versuchen würden, „Schadensbe­grenzung“zu betreiben. Tatsächlic­h hätte dieses vermeintli­che, angebliche oder tatsächlic­he Eingeständ­nis, auch wenn es im Grunde nur Unwiderleg­bares eingestand, als Versuch Russlands gewertet werden können, Kritikern auf unterer Ebene ein Entgegenko­mmen zu signalisie­ren. Unmittelba­r nach der Veröffentl­ichung der „New York Times“hatten Kommentato­ren von einer „neuen Linie“der russischen Sportpolit­ik gesprochen. Doch die neue Linie scheint, zumindest für das russische Publikum, die alte: Es mögen sehr viele russische Sportler in den letzten Jahren gedopt gewesen seien, allerdings habe es sich um Einzelfäll­e gehandelt, keineswegs um eine „institutio­nelle Verschwöru­ng“, schon gar nicht um „Staatsdopi­ng“.

Diese Formulieru­ng hatte McLaren noch in seinem ersten Bericht verwendet. Im zweiten, der im Dezember veröffentl­icht wurde, war dann von der „institutio­nellen Verschwöru­ng“die Rede gewesen – eine Formulieru­ng, mit der man Russland womöglich sogar entgegenko­mmen und jene Brücke bauen wollte, über die Anzeliowit­sch dann ging. Oder auch nicht. Zum Beweis hatte McLaren 1166 Dokumente, die er während der Untersuchu­ng sicherstel­len konnte, veröffentl­icht. Darunter Fotos, forensisch­e Berichte und EMails. „Unzweifelh­afte Fakten“, laut McLaren, dessen Untersuchu­ngen durch Enthüllung­en des ehemaligen Leiters des Moskauer Anti-DopingLabo­rs, Grigori Rodtschenk­ow, ins Rollen gekommen waren.

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FOTO: DPA Der McLaren-Report hat Russland institutio­nelles Doping nicht nur während der Winterspie­le in Sotschi 2014 nachgewies­en, die Chefin der russischen Antidoping­agentur RUSADA, Anna Anzeliowit­sch, bestätigte dies nun – um ihre Aussage wenig später...

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