Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Einsamer Maurer Gottes
Ein Mönch baut seit 55 Jahren alleine eine Kathedrale – Pläne für das Werk gibt es nicht
- Seit 55 Jahren hat der 91-jährige Justo Gallego nichts anderes getan, als vor den Toren Madrids alleine an seinem Gotteshaus zu mauern. Von morgens bis abends. In der brütenden Hitze des Sommers und auch in den kühlen Wintertagen, an denen in Zentralspanien die Temperaturen auf null Grad sinken. Der Mann ist ein lebendes Beispiel dafür, dass Glaube und ein fester Wille tatsächlich Berge versetzen können.
„Der Besuch der Kathedrale ist kostenlos, aber wir übernehmen keine Verantwortung für mögliche Unfälle“, warnt ein Schild am Eingang. Aus gutem Grund: Justo Gallego baut sein Gotteswerk mit himmlischem Beistand, aber ohne Architekten, ohne Maurer und ohne Baugenehmigung. Und mit Materialen, die er auf Schutthalden findet oder von Baufirmen gespendet bekommt.
Alle Kenntnisse sind angelesen
„Es gibt keine Pläne“, krächzt Gallego, der mit roter Mütze und blauem Arbeitsmantel inmitten seines Werkes steht. „Alles ist hier oben“, erzählt er und tippt sich an den Kopf. Er habe viele Bücher über Burgen und Kathedralen gelesen – das muss reichen. „Die wahren Fundamente des Tempels liegen im unverrückbaren Glauben“, heißt es in einer kleinen Dokumentation über die Kathedrale.
Der Mönch bestätigt das: „Ich mache das für meinen Glauben,“sagt er. Als junger Mann war er ins Kloster eingetreten. Doch nachdem er Jahre später an Tuberkulose erkrankte, musste er den Orden der Zisterziensermönche verlassen, weil man seine ansteckende Krankheit fürchtete. Nachdem er dem Tod von der Schippe gesprungen war, beschloss Gallego, sich für seine Genesung zu bedanken: „Ich wollte dem Herrn einen Tempel bauen.“Das war 1961 – fünf Jahre später machte er sich an sein einsames Werk.
Inzwischen ist die „Kathedrale“, wie er sie selbst nennt, zu stattlicher Größe gewachsen: Gut 50 Meter lang und 20 Meter breit. Das Kirchenschiff wird von einer 22 Meter messenden blauen Kuppel gekrönt. Zwei Türme, die noch nicht fertig sind, rahmen das Eingangsportal und sollen einmal 60 Meter hoch in den Himmel wachsen. Mehr als ein halbes Jahrhundert arbeitet Gallego mit primitiven Werkzeugen bereits an seinem Traum – und er wird angesichts seiner 91 Lebensjahre sein persönliches Meisterwerk vermutlich nicht beenden können.
Doch der eigenwillige Sakralbau wurde bereits, auch ohne Vollendung, zum Wahrzeichen des 20 000Seelen-Ortes Mejorada del Campo, rund 20 Kilometer östlich der spanischen Hauptstadt Madrid. Die unglaubliche Geschichte dieses Gotteshauses zieht Touristen und Kirchenfreunde aus aller Welt an und machte Mejorada del Campo zum Wallfahrtsort. Sogar das New Yorker Museum of Modern Art widmete dem originellen Bau schon eine Foto-Ausstellung.
Streng genommen ist Justo Gallegos persönliches Meisterwerk allerdings keine Kathedrale, weil hier kein Bischof residiert. Rechtlich ist der Tempel vielmehr ein illegaler Bau, den der Ex-Mönch auf einem vom Vater geerbten Acker setzte, und der von der Bauaufsicht jederzeit stillgelegt werden könnte. Deswegen tut sich auch Spaniens katholische Kirche schwer, den letzten Willen des Baumeisters anzunehmen und diesen sakralen „Schwarzbau“als Schenkung anzunehmen.
Bis zum letzten Atemzug
Doch möglicherweise wird auch hier irgendwann der himmlische Wille siegen. Nicht umsonst wird Gallegos verrücktes Bauwerk in der spanischen Öffentlichkeit bereits als „Kathedrale des Glaubens“bezeichnet. Der 91-Jährige, der bis zu seinem letzten Atemzug an seinem Tempel weiterschuften will, gibt sich derweil bescheiden und hat nur zwei Bitten an die Nachwelt: „Ich will in meiner Kirche beerdigt werden.“Und: „Ich möchte, dass man sich an mich als christliches Beispiel erinnert.“