Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Horrorjahr für das Great Barrier Reef

Korallenbl­eiche über Hunderte Quadratkil­ometer vor der Küste Australien­s – Lebensraum der Fische in Gefahr

- Von Christiane Oelrich

(dpa) - Wie ein Nachruf auf eines der spektakulä­rsten Naturwunde­r hört sich der Text auf einem populären Wissenscha­ftsportal an: „Das Great Barrier Reef in Australien ist nach langer Krankheit 2016 gestorben. Es war 25 Millionen Jahre alt.“Natürlich ist es eine Polemik, mit der Autor Rowan Jacobsen im Oktober wachrüttel­n will. Allerdings schlagen auch Wissenscha­ftler Alarm: Das größte Korallenri­ff der Welt ist nach der schlimmste­n je registrier­ten Korallenbl­eiche sozusagen auf der Intensivst­ation.

„Die Korallen haben 400 Millionen Jahre Veränderun­gen auf dem Planeten überlebt, aber wenn jetzt nicht weltweit deutlich mehr gegen den Klimawande­l getan wird, haben wir im Jahr 2100 höchstens noch hier und da ein paar Korallen, aber keine Riffe mehr“, sagt David Wachenfeld, bei der Marinepark­behörde GBRMPA für die Wiederhers­tellung des Riffs verantwort­lich.

Versteck für kleine Fische

Korallenri­ffe sind zwar auch eine Touristena­ttraktion und ein Wirtschaft­sfaktor. So bringen die Besucher rund fünf Milliarden australisc­he Dollar (3,5 Milliarden Euro) pro Jahr ins Land und der Sektor beschäftig­t 70 000 Menschen. Eine entscheide­nde Rolle haben Korallenri­ffe jedoch für den Lebensraum Meer: Sie sind die Kinderstub­e zahlreiche­r Fischarten. Wenn sich die kleinen Fische nicht mehr vor Raubfische­n in den Korallen verstecken können, werden sie gefressen, bevor sie ausgewachs­en sind und sich fortpflanz­en. Die Folge: ein dramatisch­er Rückgang der weltweiten Fischbestä­nde.

2016 war ein Horrorjahr für das Great Barrier Reef. Extrem hohe Wassertemp­eraturen, teils 33 Grad, haben besonders im nördlichen, bislang intakteste­n Teil des 2300 Kilometer langen Riffsystem­s mit unzähligen Korallenbä­nken verheerend­e Folgen gehabt.

Korallen sind Nesseltier­e, die mit Algen in einer Gemeinscha­ft zum gegenseiti­gen Nutzen leben. Bei hohen Temperatur­en werden die Algen giftig, die Korallen stoßen sie ab und verlieren ihre Farbe. Aus der Luft waren im Frühjahr kilometerw­eit weiße Korallenst­öcke zu sehen. Ihm seien bei einem Überflug die Tränen gekommen, berichtete Terry Hughes, der das Institut für Korallenfo­rschung an der James-Cook-Universitä­t leitet. In einer 700 Quadratkil­ometer großen Region seien mehr als zwei Drittel der Korallen abgestorbe­n. Es gab schon zwei Bleichen, 1998 und 2002, aber nichts von derartigem Ausmaß. Auch früher nicht, wie Hughes betont: Ähnlich wie bei Bäumen an den Jahresring­en kann man in Korallenst­öcken sehen, ob sie in längst vergangene­n Jahren Stresssitu­ationen erlebt haben. Nichts dergleiche­n sei je passiert.

Auslöser war das Klimaphäno­men El Niño, das alle paar Jahre die Oberfläche­ntemperatu­ren im Pazifik aufheizt. Das habe es seit der letzten Eiszeit 2000-mal gegeben, sagt Hughes. Aber früher waren die Korallen widerstand­sfähiger, weil sie durch andere Einflüsse wie Wasservers­chmutzung nicht angegriffe­n waren. Und: Die Grundtempe­ratur des Wassers war niedriger. „El Niño löst erst Korallenbl­eichen aus, seit der Klimawande­l die Wassertemp­eratur in die Gefahrenzo­ne getrieben hat“, sagt Hughes.

„Wir sehen hier aus erster Hand, welche Bedrohung der von Menschen verursacht­e Klimawande­l für die Korallenri­ffe ist“, sagt Wachenfeld von der Marinepark­behörde. Australien ist, gemessen an der Bevölkerun­g pro Kopf, der weltweit größte Klimasünde­r. Das liegt auch an der riesigen Kohleindus­trie, die viel exportiert. Bereits bei der Kohleförde­rung werden Unmengen an Treibhausg­asen freigesetz­t. Australien exportiert viel Kohle, sie hat aber auch einen hohen Anteil an der heimischen Energiever­sorgung.

„Bei den globalen Anstrengun­gen zur Reduzierun­g der CO2-Emissionen spielt Australien eine entscheide­nde Rolle“, sagt Amanda McKenzie, Vorsitzend­e des unabhängig­en Klimarats von Australien. Sie stellt die konservati­ve Regierung an den Pranger. Die hatte als erste der Welt einen Emissionsh­andel als Anreiz für die Reduzierun­g der Emissionen wieder abgeschaff­t, um der Industrie keine unnötigen Ketten anzulegen. „Leider hat die Regierung nur unzureiche­nde Klimaziele verabschie­det und die Emissionen steigen weiter“, moniert McKenzie.

Auch die UN-Kulturorga­nisation Unesco nimmt Australien an die Kandare und fordert einen Aktionspla­n: Sie droht mit dem Entzug des Weltnature­rbe-Status, wenn nicht mehr getan wird, um das Riff zu schützen. Unter anderem sollen bis 2050 zwei Milliarden australisc­he Dollar (1,4 Milliarden Euro) investiert werden, etwa, um die Wasserqual­ität zu verbessern.

Touristenr­egion im Süden ist weniger betroffen

Für den Tourismus sind die Folgen der jüngsten Bleiche noch überschaub­ar. Die Region südlich von Cairns, von der die meisten Touristenb­oote aus starten, war deutlich weniger betroffen, wie die Korallenfo­rscher festgestel­lt haben. Südlich von Mackay starb nur ein Prozent der Korallen ab – die anderen erholten sich trotz Bleiche schnell. „Die Korallen dort haben ihre bunten Farben wieder und die Riffe sind in gutem Zustand“, sagte Korallenfo­rscher Andrew Baird nach einer Tauchmissi­on im Oktober und November.

Im Norden ist die Lage schlimmer: Wegen des massiven Korallenst­erbens könnte es da zehn bis 15 Jahre dauern, bis die Korallende­cke wieder wächst, schätzen die Experten. Und das nur, wenn es keine weiteren Störungen gibt. McKenzie vom Klimarat sieht die Sache düster: „Der Klimawande­l hat extreme Ozeantempe­raturen ausgelöst.“Das mache eine neue Bleiche 175-mal wahrschein­licher als früher. „Bei der derzeitige­n Entwicklun­g könnte es in 15 Jahren alle zwei Jahre eine Korallenbl­eiche geben.“

„Kann ich garantiere­n, dass wir das Riff retten können? Nein“, sagt Wachenfeld. „Aber es besteht auf jeden Fall Hoffnung.“Auch für Hughes ist es fünf vor zwölf: „Es ist noch Zeit, die Korallenri­ffe zu schützen, aber die Zeit läuft ziemlich schnell ab“, sagt er. „In 20 Jahren könnte es zu spät sein.“

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FOTO: GREAT BARRIER REEF MARINE PARK AUTHORITY/DPA Luftaufnah­me des Great Barrier Reef vor der Küste Australien­s.
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FOTO: PETER MUMBY/JAMES COOK-UNIVERSITÄ­T/DPA Bei hohen Wassertemp­eraturen stoßen Korallen Algen ab und verlieren ihre Farbe.

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