Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
In die Jahre gekommen
Ein Chefwechsel sowie weitere Sanierungsarbeiten sollen auf Neuschwanstein einen Schlusspunkt hinter allerlei Querelen setzen
Schloss Neuschwanstein bei Füssen gehört zu den beliebtesten Touristenzielen in Deutschland (Foto: imago). Doch die Fassade bröckelt, im wahrsten Sinne des Wortes. 20 Millionen Euro steckt die bayerische Landesregierung in eine dringend notwendige Sanierung. Außerdem soll ein Chefwechsel interne Querelen aus der Vergangenheit befrieden.
- Hammerschläge ertönen, Maschinengewinde kreischen, chinesische Laute mischen sich in den Baulärm, auch Sprachfetzen aus anderen Herren Länder sind darunter. Eine Geräuschkulisse, erlebt im Hof von Schloss Neuschwanstein. Während Touristen selbst bei frostiger Witterung in die Räume des bayerischen Märchenkönigs Ludwig II. streben, schaffen Handwerker daran, dessen Edelgemäuer zu erhalten. „Wir schauen jetzt erst einmal, was alles kaputt ist“, ruft ein Steinrestaurator von einem Gerüst am Tor herunter.
Gut 20 Millionen Euro investiert die bayerische Staatsregierung in eine weitere Sanierungsphase. Das in den Bergausläufern hinter der Ostallgäuer Gemeinde Schwangau gelegene Schloss ist in die Jahre gekommen. Kein Wunder, sein Grundstein wurde 1869 gelegt. Nun zeigen Steinquader Verwitterungsspuren. Beim genauen Hinschauen lassen sich im Innern feuchte Wandstellen entdecken. In manchen Prunkräumen verblassen die Malereien. Zuletzt haben aber nicht nur Altersund Abnutzungserscheinungen diesem weltweit wirkenden Besuchermagneten zugesetzt. Üble Querelen in der Schlossverwaltung verdüsterten zusätzlich den Glanz des königlichen Bauwerks. Rassistische Bemerkungen des Personals, ruppige Führer, schwarze Kassen, Mobbing – in jüngster Zeit war Neuschwanstein immer mal wieder die Bühne für ein Schmierentheater.
Dritter Verwalter in drei Jahren
Doch nun soll alles auf dem bayerischen Vorzeigedenkmal besser werden. Es scheint, als habe sich der Freistaat als Eigentümer einen Ruck gegeben. So fließt nicht nur Geld für die Pflege des Ludwig’schen Erbes. Seit Mitte November hat das Schloss auch einen neuen Chefverwalter, den dritten innerhalb von drei Jahren. Johann Hensel heißt er. Der 60Jährige gilt als eine der erfahrensten Führungskräfte der Bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung. Kurz nach seinem Amtsantritt betonte Hensel: „Besucher sollen gerne ins Schloss reinkommen und mit einem guten Gefühl rausgehen.“Dies sei ein zentrales Ziel. Dass der Neue glaubte, eine solche Selbstverständlichkeit ausdrücklich einfordern zu müssen, ist ein Hinweis auf die Situation zuvor.
Wer das Schloss besuchte, konnte in den vergangenen Jahren mit seinem Rundgang durchaus Pech haben. Mancher stieß auf ruppige Führer, die fragende Gäste abbügelten und nur darauf schauten, sie in 30 Minuten durch die Räume zu treiben. Bayerische Gastlichkeit stellt man sich eigentlich anders vor. Über einen ganzen Zeitraum hinweg zieht sich aber gleich ein ganzer Reigen seltsamer Ereignisse. So sickerte etwa 2012 aus Neuschwansteins dicken Wänden durch, dass Schlossmitarbeiter bei Sonderführungen ein Stück weit in die eigene Tasche wirtschafteten. Fortan drangen immer mehr skurrile Nachrichten hinaus in die Öffentlichkeit. Zum Chronisten der Zwischenfälle wurde vor allem Paul Wengert. Er sitzt für die SPD im Bayerischen Landtag und betreut den Stimmkreis, in dem Neuschwanstein steht. Wie der Politiker berichtet, gab es zeitweise einen ganz speziellen Chef der Sicherheitskräfte. Dieser schob nach seinen Informationen gerne „in Kampfmontur einschließlich Sturmhaube“Dienst bei der Eingangskontrolle. Angeblich übte er auch vor Besuchern das Pumpen von Liegestützen mit freiem Oberkörper. Wengert ist auch zugetragen worden, dass sich dieser Mann gegenüber Mitarbeitern als „der liebe Gott“bezeichnete und ein entsprechendes Regiment führte.
Die Vorwürfe wurden von der Schlossleitung nie ernsthaft infrage gestellt – erstaunlich, denn die schwarze Liste ist lang. So geht es in einem anderen Hinweis an Wengert um einen Schlosswächter, der hübsche Besucherinnen anbaggerte. In einem anderen Fall zeigte ein Foto eine Neuschwanstein-Mitarbeiterin, die von Ludwigs Betstuhl mit dem Stinkefinger Richtung Altar grüßte. Einer der Tiefpunkte dürfte jedoch der 2015 von Zeugen dokumentierte Ruf eines Wachmannes über den mit Touristen gefüllten Hof hinweg gewesen sein. „Nigger, mach die Türe zu“, hat er demnach einer farbigen Reinigungskraft befohlen.
Wengert stieß zudem pikiert auf eine Betrunkenen-Geschichte. Sicherheitskräfte hätten demnach „eine Gruppe erkennbar alkoholisierter Gäste“durch die Schranken gelassen. Einige von ihnen hätten dann ins Schloss uriniert. Ob in einem solchen Fall der Wachmannschaft böser Wille unterstellt werden kann, sei dahingestellt. Vielleicht haben solche Pannen auch mit einer Überforderung zu tun. Jährlich quetschen sich im Schnitt 1,5 Millionen Menschen durch Säle, Hallen, Treppenhäuser oder Höfe. Darunter sind naturgemäß auch uninteressierte Zeitgenossen, die mit ihrer Reisegruppe nur den Besuch des Schlosses abhaken möchten. Das Benehmen kann dann gewöhnungsbedürftig sein. Schon bei einem normalen Besuch fallen einem im Schlosshof internationale Gäste auf, die minütlich aufs Pflaster speien. Andere klettern verbotenerweise Mauern hinauf, um einen besseren Hintergrund für das Selfi-Foto zu bekommen.
Großes Kino
Die vielen Besucher sind Segen und Fluch des Schlosses. Positiv ist das Geld, das sie liegen lassen – nicht nur auf Neuschwanstein, sondern auch drunten in Schwangau oder dem nahen Füssen. Der Märchenkönig und sein Traumschloss ist für die ländlich geprägte Region ein MarketingGlücksfall. Er bietet großes Kino. Auf der einen Seite steht die persönliche Tragik des Monarchen. Seine manische Neigung zum Schlösserbau hatte die königlichen Finanzen ruiniert. 1886 wurde er entmündigt und starb kurz darauf unter ungeklärten Umständen im Starnberger See. Neuschwanstein, sein wahnsinnigstes Projekt, blieb unvollendet. Aus dem Bauwerk hätte eine vieltürmige Gralsburg in mittelalterlicher Fantasieform werden sollen. Was fertig geworden ist, wirkt vor Ort zwar kleiner als auf den üblichen Schlossaufnahmen – für eine ritterliche Traumwelt reicht es aber.
Sanierung dringend nötig
Während die Besucher aber einerseits die Kassen klingeln lassen, setzen sie andererseits bereits durch ihren bloßen Besichtigungsgang dem bestaunten Objekt zu. Atemfeuchtigkeit schlägt sich auf Wänden, Möbeln, Textilien oder Gemälden nieder. Personen schrammen an Wänden entlang. Ihre Tritte nutzen Böden und Treppen ab. Neben dem menschlichen Einfluss schlägt aber noch das alpine Klima zu. Harscher Frost sprengt Mauerwerk. Reflektiert winters der Schnee die Sonnenstrahlen, werden lichtempfindliche Materialien geschädigt. Dies zusammengenommen sind die ursächlichen Gründe für die dringend nötige Schlosssanierung.
Wobei Neuschwanstein immer wieder saniert wird. Erst 2013 waren die Baugerüste am Hauptgebäude des Schlosses abgebaut worden. 13 Jahre lang hatten Arbeiter an der Fassade gearbeitet. Kostenpunkt: mehr als fünf Millionen Euro. Des Weiteren waren Textilien im Inneren restauriert worden. Als alles fertig war, gab es aber in König Ludwigs Wohnzimmererker eine üble Entdeckung. Schimmelpilze hatten sich großflächig ausgebreitet. Zudem rissen plötzlich historische Scheiben in den Dienerzimmern. Vonseiten der Schlossbeschäftigten wurde der Schwarze Peter an die Restauratoren übergeben. Sie hätten fehlerhaft gearbeitet. Aber wenigstens der Schimmel wäre wohl bei gutem Lüften zu verhindern gewesen – wenn sich jemand ums Fensteröffnen und -schließen gekümmert hätte.
Vorwurf Mobbing
Die Pannen wurden stillschweigend behoben. Nebenbei kam es zur Auswechslung des Schlossverwalters. Katharina Schmidt wurde Chefin der rund 30 fest angestellten Neuschwanstein-Mitarbeiter. Ihr wurde immer wieder angelastet, Mobbing als Führungsmittel anzusehen. Zweimal mahnte sie beispielsweise den Leiter des Führungsdienstes ab – grundlos, wie das zuständige Kaufbeurer Arbeitsgericht im Sommer entschied.
In den Fremdenverkehrseinrichtungen im Tal berichteten Kenner der Szene „von einem ganz üblen Betriebsklima“auf dem Schloss. Vergangenen Sommer berichtete die „Süddeutsche Zeitung“dann süffisant, wie Neuschwanstein bei starkem Besucherandrang auch noch einen Feuerwehreinsatz mit vier Fahrzeugen erlebte. Demnach hatte Chefin Schmidt in der Mikrowelle eine Brezel verkohlen lassen. Die Rauchmelder schlugen an.
In der heißen Jahreszeit muss es auch gewesen sein, als der alleroberste Schlossverantwortliche die Nase voll von den schlechten Nachrichten aus Neuschwanstein hatte. Bayerns staatliche Schlösser und Seen fallen in den Amtsbereich des Finanzministers. Dieser heißt Markus Söder (CSU) und wäre gerne Ministerpräsident anstelle des amtierenden Ministerpräsidenten Horst Seehofer. Öffentlichkeitswirksame Querelen am prominenten Ort sind da kontraproduktiv. Aus seinem Ministerium hieß es: Die Schlösserund Seenverwaltung solle „endlich für eine dauerhafte Befriedung“auf Neuschwanstein sorgen. „Personelle Änderungen“seien anzustreben. Dies ist nun geschehen. Schmidt ging. Indes lobt Cordula Mauß, Sprecherin der Schlösser- und Seenverwaltung, den Neuen: Johann Hensel habe „seine Arbeit mit großem Engagement übernommen“.
Die relativ besucherarme Winterzeit lässt ihm wenigstens etwas Zeit zum Durchatmen. Hensel muss dringend die Sanierung koordinieren. Sie wird im laufenden Besucherbetrieb geschehen. Sollten von fern angereiste Gäste wegen der Arbeiten Teile der königlichen Prunkräume beim Rundgang auslassen müssen, dürfte jedoch der nächste Ärger drohen. Schon momentan nervt manchen Gast das Werkeln im Schlosshof. „Muss das Hämmern jetzt sein?“, lautet ein Geschimpfe. „Arbeitet doch nachts.“