Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Der Mann, der für die Welt spricht

António Guterres übernimmt die UN-Spitze von Ban Ki-moon

- Von Johannes Schmitt-Tegge

(dpa) - Formelle Macht hat der UN-Generalsek­retär kaum. Um Konflikte beizulegen, muss António Guterres geschickt verhandeln und seine Persönlich­keit einsetzen. Morgen übernimmt er das Amt von Ban Ki-moon.

Es war ein äußerst ungewöhnli­ches Bild. Plötzlich standen sie alle nebeneinan­der, die 15 UN-Vertreter mit Sitz im Sicherheit­srat, und lächelten feierlich. „Meine Damen und Herren, Sie sind Zeuge eines historisch­en Moments. Ich weiß nicht, ob das jemals so gemacht worden ist“, sagte Russlands UN-Botschafte­r Witali Tschurkin. Seine amerikanis­che Kollegin Samantha Power stand daneben und nickte. Die sonst oft zerstritte­nen Diplomaten hatten sich geeinigt – auf den Namen des neuen Generalsek­retärs.

„Unmöglichs­ter Job auf der Erde“

António Guterres heißt der Mann. Anstelle des Portugiese­n hätten viele Beobachter lieber eine Frau und lieber jemanden aus Osteuropa gesehen. Doch nun ist der 67-Jährige da, und nicht wenige hoffen, dass er einen Zauberstab aus dem Sakko zücken und die Weltorgani­sation auf magische Weise verwandeln wird. Was kann Guterres, der bereits das UN-Flüchtling­shilfswerk­s von 2005 bis 2015 führte, in seiner zunächst fünfjährig­en Amtszeit leisten?

Nicht viel, sofern man dem ersten Generalsek­retär Trygve Lie glauben mag. „Willkommen, Dag Hammarskjö­ld, zum unmöglichs­ten Job auf dieser Erde“, sagte der, als er seinen Nachfolger im April 1953 in New York empfing. Mehr als ein halbes Jahrhunder­t später dürften die Aufgaben an der UN-Spitze keineswegs leichter geworden sein. Und während der nach zehnjährig­er Amtszeit scheidende Ban Ki-moon oft für seine Zurückhalt­ung gescholten wurde, erwarten einige von Guterres, mehr General zu sein als nur Sekretär.

Er spricht vier Sprachen fließend

Dass der aus Lissabon stammende Familienva­ter fließend Englisch, Französisc­h, Spanisch und Portugiesi­sch spricht, dürfte in der 193 Staaten zählenden Weltorgani­sation ein Pluspunkt sein. Ankommen wird es aber auf sein Auftreten vor und sein Verhandlun­gsgeschick hinter den Kulissen. Denn formelle Macht wird er von seinem Büro im 38. Stockwerk des UN-Hauptquart­iers in New York kaum ausüben können – Erfolg und Misserfolg hängen davon ab, wie er sich öffentlich gibt. Im Vergleich zum zurückhalt­enden Ban ist sicher noch Luft nach oben.

„Die wahre Macht eines Generalsek­retärs liegt in der Wahrnehmun­g“, sagt Professor David Bosco, der an der Indiana University die UN untersucht, dem Portal „Vox.com“. „Diese Vorstellun­g des „für die Welt Sprechens“verleiht einen Grad an Bekannthei­t und moralische­r Autorität. Ein kluger Generalsek­retär kann das einsetzen, um Verhandlun­gen anzustreng­en oder wesentlich­e humanitäre Initiative­n anzuführen.“

Mit dem vom 20. Januar an regierende­n US-Präsidente­n Donald Trump und dessen neuer UN-Botschafte­rin Nikki Haley muss Guterres sich auf zwei Unbekannte einstellen. Der Einfluss der USA innerhalb der Vereinten Nationen ist bis heute enorm, und niemand kann derzeit abschätzen, welche Rolle Washington künftig im internatio­nalen Gefüge spielen will und wird. Wird Trump die UN nutzen, um – wie er im Wahlkampf so oft versproche­n hat – Deals zu schließen? Oder ziehen sich die USA zurück?

Verhandlun­gsgeschick bitter nötig

Mit oder ohne Trump: Konflikte warten auf Guterres genug. Syrien liegt in Trümmern, die Flüchtling­skrise hat sich nur scheinbar etwas beruhigt, Nordkoreas Atomtests halten die Welt in Atem und Teile Afrikas werden von Kriegen und Terror heimgesuch­t. Auch der Ausgang des globalen Kampfs gegen den Klimawande­l ist nach der Wahl Trumps zum Präsidente­n offen. Guterres wird nachgesagt, ehrlich und geschickt zu verhandeln und Streit schlichten zu können – die Welt hätte es bitter nötig.

Und auch innerhalb der Weltorgani­sation gibt es Baustellen genug. Guterres könnte die längst überfällig­e Reform des Sicherheit­srats vorantreib­en, an der sich schon Bans Vorgänger Kofi Annan versucht hatte, und schleppend­e Abläufe beschleuni­gen. Unmittelba­r nach seiner Vereidigun­g versprach er, die UN schlanker und effiziente­r machen zu wollen: „Es bringt niemandem etwas, wenn es neun Monate dauert, einen Mitarbeite­r ins Feld zu schicken.“

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FOTO: DPA Er gilt als ehrlicher, geschickte­r Verhandler: Diese Fähigkeit wird António Guterres als UN-Generalsek­retär gebrauchen können.

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