Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Wohlfahrtsutopie zur digitalen Revolution
Ein bedingungsloses Grundeinkommen findet immer mehr Anhänger – auch in der Wirtschaft
- 2017 beginnt ein erstaunliches Experiment. In der finnischen Stadt Oulu erhalten 2000 ausgeloste Arbeitslose ein bedingungsloses Grundeinkommen. Der Staat überweist ihnen 560 Euro pro Monat – einfach so, ohne Gegenleistung, zwei Jahre lang. Das Geld wird nicht angerechnet auf zusätzliche Verdienste, die die Auserkorenen möglicherweise erwirtschaften.
Die finnische Regierung will herausfinden, wie Erwerbslose sich verhalten, wenn ihr Lebensunterhalt problemlos gesichert ist: Nehmen sie das Geld, genießen das Leben und frönen dem Müßgiggang? Oder betrachten die Arbeitslosen die regelmäßige öffentliche Überweisung als Basis und Anreiz, endlich den Tätigkeiten nachgehen zu können, zu denen sie sich immer schon berufen fühlten?
Einkommen aus Steuermitteln
Das bedingungslose Grundeinkommen ist die große Vision zur Weiterentwicklung des westlichen Sozialstaats, auch in Deutschland. Idealtypisch soll es so funktionieren: Jeder erwachsene Bürger erhält aus Steuermitteln beispielsweise 1000 Euro pro Monat, Kinder 500 Euro. Eine Gegenleistung verlangt die Gesellschaft nicht. Alle anderen Sozialtransfers wie Hartz IV, Sozialgeld oder Grundsicherung im Alter werden abgeschafft.
Die Debatte darüber kam hierzulande in Schwung wegen der HartzGesetze, die die rot-grüne Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder ab 2003 einführte. Manche Linke und Grüne, aber auch Drogerie-Unternehmer Götz Werner oder Dieter Althaus, Ex-CDU-Ministerpräsident von Thüringen, sahen im Grundeinkommen eine wahlweise zivilisierte, freiheitliche oder billigere Alternative zum harten Hartz-IV-Regiment.
Beflügelt unter anderem durch das finnische Experiment nimmt die alte Diskussion jetzt eine neue Wendung. Einflussreiche Personen, die sich früher nicht eingemischt haben, sagen nun, dass man über die Idee des Grundeinkommens nachdenken sollte. Zum Beispiel Siemens-Chef Joe Kaeser hält „eine Art Grundeinkommen“für „völlig unvermeidlich“. Seine Begründung: Im Zuge der vierten industriellen Revolution, der Digitalisierung, blieben sonst Arbeitnehmer „auf der Strecke, weil sie mit der Geschwindigkeit auf der Welt einfach nicht mehr mitkommen“.
Thimotheus Höttges, Vorstand der Deutschen Telekom, sieht es ähnlich: „Ein bedingungsloses Grundeinkommen kann eine Grundlage sein, um ein menschenwürdiges Leben zu führen.“Und kürzlich äußerte sich Elon Musk, der Chef des kalifornischen E-Auto-Herstellers Tesla: „Die Chance ist recht hoch, dass wir irgendwann, wegen der Automatisierung, ein allgemeines Grundeinkommen oder so etwas ähnliches haben werden.“
Die Digitalisierung: Das ist das wichtigste neue Argument für das Grundeinkommen. Wahre HiobsPrognosen sind im Umlauf. Manche Wissenschaftler halten die Hälfte der Arbeitsplätze in Industrieländern für gefährdet, weil sie in den kommenden Jahrzehnten dem verstärkten Einsatz von internetgesteuerten Produktionsprozessen zum Opfer fallen könnten. Ob es jemals so weit kommt, weiss keiner. Frühere epochale technische Innovationen wie die Elektrifizierung und die Einführung des Computers haben viele Jobs vernichtet, aber auch Millionen neuer Arbeitsplätze geschaffen. Klaus Dörre, Soziologe an der Universität Jena, erklärt, dass das Arbeitsvolumen, die Gesamtzahl der in Deutschland bezahlten und geleisteten Arbeitsstunden, seit 1991 nur leicht gesunken ist. Die Erfahrung mit früheren Modernisierungsschüben deutet nicht daraufhin, dass bald die Hälfte der Jobs ersatzlos wegfällt.
Wie vor zehn Jahren trifft die Sozialvision aber auch heute auf erbitterte Ablehnung. Kein Wunder – bricht sie doch mit der herrschenden Arbeitsethik. Der biblische Satz „Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot essen“würde nicht mehr gelten, wäre der Lebensunterhalt für jeden garantiert. „Solidaritätsgedanke und Leistungsprinzip werden außer Kraft gesetzt“, bemängelt SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles. Wer leert die Mülltonnen, wenn niemand mehr gezwungen ist, solche Jobs anzunehmen, lautet eine praktische Frage.
Kaum zu finanzieren
Clemens Fuest, Chef des Münchner ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, argumentiert außerdem, dass das bedingungslose Grundeinkommen „nicht bezahlbar“sei. Dafür spricht einiges: Bekämen Erwachsene 1000 Euro monatlich und Minderjährige die Hälfte, summierten sich die Kosten in Deutschland auf 840 Milliarden Euro pro Jahr – etwa ein Viertel der Wirtschaftsleistung. Selbst wenn man im Gegenzuge alle aktuellen Sozialleistungen abschaffte, bliebe eine erhebliche Finanzierungslücke, die sich wohl nur durch drastische Steuererhöhungen schließen ließe.
„Ein bedingungsloses Grundeinkommen kann eine Grundlage sein, um ein menschenwürdiges Leben zu führen.“
Thimotheus Höttges, Chef der Deutschen Telekom
Aus dieser Rechnung mag sich die geringe Höhe des Grundeinkommens im finnischen Experiment erschließen. Angesichts der hohen Lebenshaltungskosten in einem reichen Staat wie Finnland stellen 560 Euro jedoch höchstens einen Einstieg dar – eine sorgenlose Existenzsicherung ist mit so bescheidenen Beträgen nicht verbunden. Manche Manager und Unternehmer finden aber gerade das erstrebenswert: Für sie ist das Grundeinkommen kein Mittel zum Ausbau des Sozialstaates, sondern zu seiner Verschlankung.
Großzügiger dachten dagegen die Initiatoren der Schweizer Volksinitiative, die im vergangenen Juni zur Abstimmung kam. Sie empfahlen 2500 Franken (etwa 2300 Euro) als monatliche Zahlung pro Erwachsenem. 77 Prozent der abstimmungsberechtigten Bürger lehnten die Einführung eines solchen Grundeinkommens ab, immerhin 23 Prozent aber waren dafür. In einem erfolgreichen und rationalen Gemeinwesen wie der Schweiz spricht sich ein Viertel der Bürger für diese Vision aus? Völlig utopisch scheint die Idee doch nicht zu sein.