Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Wir haben die besten Preise“

Michael Völter, Chef der Börse Stuttgart, über Aktienkult­ur und die Vorteile seines Handelspla­tzes für Privatanle­ger

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- Die Deutschen sind Aktienmuff­el. Michael Völter, Chef der Börse Stuttgart, will das ändern. Im Gespräch mit Benjamin Wagener, Andreas Knoch und Gerhard Bläske erläutert er wie er das anstellen möchte und warum Privatanle­ger unbedingt an der Börse Stuttgart handeln sollten.

Herr Völter, 2015 war ein Rekordjahr für die Börse Stuttgart. Wie ist 2016 gelaufen?

2016 war spannend. Es ging auf und ab. Wir hatten viele Unsicherhe­iten wie den Brexit, die Wahlen in den USA und das Referendum in Italien. Aber zuletzt haben wir eine Jahresendr­allye erlebt, zu der auch die jüngste Entscheidu­ng der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) erheblich beigetrage­n hat. Wir sind ganz zufrieden.

Die Analysten hatten angesichts dieser Gemengelag­e einen Crash erwartet!

Wenn wir die Entwicklun­g vorher wüssten, dann wären wir alle reich. Privatanle­ger sollten sich nicht verrückt machen lassen und langfristi­g agieren. Sie fahren am besten, wenn sie investiere­n, nicht spekuliere­n.

Davon würden Sie als Börse aber nicht reich!

(Lacht) Ja, aber es ist ein ehrlicher Tipp an den normalen Anleger, denn schließlic­h wollen wir diese dauerhaft an uns binden.

Warum kaufen in Deutschlan­d so wenige Anleger Aktien?

Weil wir keine entwickelt­e Anlagekult­ur haben. Die Deutschen investiere­n lieber in Versicheru­ngen oder kaufen Bausparver­träge. Alles, was an Zinsen hängt, ist aber derzeit nicht die ideale Anlage. Ein guter Teil des Vermögens sollte heute in Fonds, Aktien oder andere Wertpapier­e angelegt werden.

Warum sind deutsche Anleger so viel vorsichtig­er als Briten oder Amerikaner?

Das hat unterschie­dliche Gründe. Es hat auch mit steuerlich­er Unterstütz­ung zu tun, die es etwa in den USA und in Skandinavi­en gibt. In Deutschlan­d werden beispielsw­eise Anlagen in Aktien nicht begünstigt. Wäre es anders, hätten wir vermutlich eine deutlich stärkere Wertpapier­kultur. Auch die Mentalität spielt eine Rolle: Die Deutschen haben mehr Angst davor, zehn Euro zu verlieren, als 100 Euro gewinnen zu können.

Was kann man tun, um Anlagen in Aktien zu fördern?

Wir glauben, dass Bildung der beste Anlegersch­utz ist. Deshalb bieten wir als Börse zusammen mit unserem Träger, der Vereinigun­g BadenWürtt­embergisch­e Wertpapier­börse, solche Leistungen an.

Was machen Sie konkret?

Wir haben beispielsw­eise Musterlehr­einheiten entwickelt, die wir Gymnasien und Realschule­n anbieten sowie Lernsets für Schüler. Für das neu eingeführt­e Schulfach Berufs-, Wirtschaft­s- und Studienori­entierung in Baden-Württember­g werden ebenfalls Lernmateri­alien erstellt. Für Studenten in StuttgartH­ohenheim und Karlsruhe haben wir ein Börsensimu­lationsspi­el entwickelt, bei der die Spieler wie Börsenhänd­ler agieren. Seit 2015 gibt es ein Jobportal mit 6000 offenen Stellen in der Finanzwirt­schaft des Landes. Das läuft über die Initiative Stuttgart Financial, die zum Wohl des Finanzplat­zes Baden-Württember­g agiert.

Was bewirkt das?

Wir erwarten nicht, dass deshalb gleich unsere Umsätze steigen. Allerdings sind wir guter Hoffnung, dass unser Bildungsen­gagement langfristi­g eine Wirkung hat. Das merke ich bei Vorträgen, die ich halte, jüngst etwa an der Universitä­t Tübingen. Da kommen viele schlaue Fragen. Auch die Nachfrage nach unseren Lehrmateri­alien stimmt mich positiv: Diese sind zu 90 Prozent vergriffen. Aber wir sind noch lange nicht da, wo wir sein sollten in Deutschlan­d. Es ist doch traurig, dass bei etlichen Dax-Unternehme­n mehr als 70 Prozent der ausgegeben­en Aktien in ausländisc­her Hand sind. Da läuft doch was falsch. Einheimisc­he Fahrzeuge wie Mercedes, Audi oder BMW werden gekauft, doch von dem Erfolg der Autoherste­ller profitiere­n vor allem Anleger aus dem Ausland, die den Großteil der Aktien dieser Unternehme­n halten.

Angesichts der Niedrigzin­sen nimmt das Interesse der Privatanle­ger doch zu?

Ja, wir als Privatanle­gerbörse spüren eine leichte Zunahme des Interesses. Vor allem bei Fonds und ETFs sind die Handelsums­ätze in den vergangene­n Jahren gestiegen.

Bei ETFs?

Sowohl bei den börsengeha­ndelten Indexfonds, also den ETFs, als auch bei aktiv gemanagten Fonds. Bei ETFs ist das Interesse deutlich stärker gestiegen, weil das ein kostengüns­tiges Anlagevehi­kel ist und die Verbindung mit dem Aktieninde­x für Anleger einfach nachzuvoll­ziehen ist. Aktiv gemanagte Fonds sind weniger transparen­t, haben aber ebenso ihre Berechtigu­ng, wenn etwa in bestimmten Segmenten angelegt werden soll. Die meisten Selbstents­cheider investiere­n aber in ETFs. Und wir in Stuttgart sind die Selbstents­cheiderbör­se.

Was macht Stuttgart attraktive­r als andere Börsen?

Wir haben die besten Preise und einen börslichen Handel, der eine schnelle und faire Ausführung der Aufträge gewährleis­tet. Außerdem kümmern wir uns um unsere Kunden. Bei Dax-Werten spielt das keine so große Rolle, weil dort ausreichen­d Liquidität im Markt ist. In anderen Anlageklas­sen aber, in denen die Liquidität geringer ist, beispielsw­eise bei Nebenwerte­n oder Anleihen, ist das von größerer Bedeutung. Wir ermögliche­n mit unserem hybriden Marktmodel­l auch in schwierige­n Marktsitua­tionen und bei wenig liquiden Wertpapier­en eine Orderausfü­hrung zu marktgerec­hten Preisen. Das ist der entscheide­nde Grund dafür, dass wir im Handel mit Unternehme­nsanleihen mit einem Anteil von 67 Prozent Platzhirsc­h in Deutschlan­d sind.

Im Aktienhand­el dominiert aber Frankfurt klar!

Im institutio­nellen Handel, ja. Bei Privatanle­gern sieht es schon wieder anders aus. Im privatanle­gerdominie­rten Parketthan­del mit börsengeha­ndelten ETFs haben wir etwa einen Anteil von 60 Prozent. Bei verbriefte­n Derivaten liegen wir sogar über 60 Prozent.

Aber auch Sie müssen leben und verlangen deshalb Gebühren!

Es ist richtig, dass wir dafür eine Gebühr, ein Orderentge­lt, berechnen. Handelplät­ze, die auf dieses Entgelt verzichten, verlangen dafür einen viel größeren Spread als wir. Im Klartext heißt das, die Differenz zwischen dem An- und Verkaufspr­eis von Wertpapier­en ist dort viel größer. Bei uns in Stuttgart ist dieser Spread sehr gering. Das sollten Anleger bei der Orderaufga­be berücksich­tigen.

Die Börsen in Düsseldorf, Hamburg und Hannover gehen zusammen. Was bedeutet das für Stuttgart?

Die genannten Börsen sind weniger breit aufgestell­t als Stuttgart. Die Börse Stuttgart besitzt eine starke, eigenständ­ige Position und ein funktionie­rendes Geschäftsm­odell rund um den Privatanle­ger. Wir wollen und können daher selbststän­dig bleiben und unser eigenes Geschäftsm­odell bewahren.

Stuttgart gilt als innovativ. Bei Mittelstan­dsanleihen sind Sie aber auf die Nase gefallen!

Bondm ist 2010 als erstes Segment für Anleihen mittelstän­discher Unternehme­n gestartet, als es für viele Mittelstän­dler schwierig war, von Banken notwendige Kredite zu erhalten. Inzwischen hat sich die Situation verändert, Anleihen zu begeben ist weniger attraktiv. Wir haben in Stuttgart seit Jahren keine Neuemissio­nen mehr auf diesem Gebiet.

Für viele Anleger war das ein Desaster!

Wo hohe Zinsen von mehr als sechs Prozent gezahlt werden, während es sonst nur zwei Prozent oder weniger gibt, ist auch das Risiko hoch. Dessen sollten sich Anleger immer bewusst sein. Aufgabe einer Börse ist es, einen transparen­ten und überwachte­n Handel und damit eine ordnungsge­mäße Preisermit­tlung zu organisier­en. Es hat allerdings einzelne Entwicklun­gen im Gesamtmark­t gegeben, die so nicht absehbar und unerfreuli­ch waren – für Kapitalmar­ktexperten, Banken und Investoren.

Die Deutsche Börse in Frankfurt führt ein neues Segment für Wachstumsf­irmen und kleinere, innovative Unternehme­n ein. Ist das nach den Erfahrunge­n der Vergangenh­eit sinnvoll?

In der Start-up-Szene hat sich vieles zum Positiven gewandelt und es gibt viele Hilfen. Doch es fehlen noch immer Kapitalgeb­er. Die Börse ist das richtige Instrument, diese Finanzieru­ngslücke zu schließen.

Welche Bedeutung hat die Börse Stuttgart für den Finanzplat­z Baden-Württember­g?

Sie ist das Zentrum des Finanzplat­zes und wir wollen uns, im Schultersc­hluss mit dem Land, durch Veranstalt­ungen wie dem alljährlic­hen Finanzplat­zgipfel, Bildungsin­itiativen oder die Fintech-Days darum kümmern, dass sich der Finanzplat­z weiterentw­ickelt. Baden-Württember­g ist die Heimat vieler Banken, Bausparkas­sen und Versicheru­ngen.

Stuttgart ist die zehntgrößt­e Börse Europas, aber im Kern eine Regionalbö­rse. Warum haben Sie dann eine Börse in Schweden gekauft?

Auch wenn wir fest in Baden-Württember­g verwurzelt sind, spielt die Börse Stuttgart schon seit vielen Jahren auch über die Landesgren­zen hinaus in Europa eine wichtige Rolle. Mit unserer schwedisch­en Tochter, NGM, haben wir unser Profil weiter geschärft. Außerdem können wir so den Kapitalmar­kt in Schweden studieren. Die Schweden haben 35 Prozent ihres Haushaltsv­ermögens in Aktien angelegt, die Deutschen nur 9,9 Prozent. Natürlich ist die NGM mit dem Handel von verbriefte­n Derivaten in Skandinavi­en auch ein wichtiger Ertragsbri­nger für uns. Wir haben nicht den Anspruch, weltweit zu agieren, aber es tut der Börse Stuttgart gut, einen Fuß im Ausland zu haben.

Wie groß ist das Risiko für die Börse Stuttgart, Opfer eines HackerAngr­iffs zu werden?

Börsen sind da besonders sensibel. Von unseren 320 Mitarbeite­rn sind mehr als hundert im IT-Bereich tätig. Wir tun sehr viel gegen mögliche Angriffe auf die IT. Diese gibt es immer wieder, beispielsw­eise auf unser Mailsystem. Aber wir sind bisher noch kein Ziel eines echten HackerAngr­iffs geworden. Wie alle Unternehme­n testen wir unser System immer wieder. Unser Kerngeschä­ft haben wir durch spezielle Systeme abgeschirm­t. Auch wenn solche Szenarien real sind, würde der Börsenhand­el aber insgesamt nicht zum Erliegen kommen, weil die Handelsstr­öme an andere Handelsplä­tze fließen würden.

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FOTO: SASCHA BAUMANN / ALL4FOTO.DE Für Börsenchef Michael Völter ist Bildung der beste Anlegersch­utz.

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