Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Dicke Luft in Madrid

Erstmals Fahrverbot in Spanien – Abgaswolke macht Atmen in der Haupstadt schwer

- Von Ralph Schulze

- Polizisten mit Schutzmask­en vor Nase und Mund regeln den Verkehr. Die Beamten winken an den Zufahrten zu Madrids Stadtzentr­um alle Autos heraus, deren Nummernsch­ild mit einer geraden Zahl endet. Denn an diesem Tag dürfen nur Fahrzeuge mit ungerader Zifferendu­ng in die City der spanischen Hauptstadt fahren. Es herrscht maximaler Smogalarm: Bürgermeis­terin Manuela Carmena hat erstmals in der Geschichte der größten spanischen Metropole ein weitreiche­ndes Fahrverbot verhängt, um die immer schlimmere Luftversch­mutzung zu reduzieren.

Über der Stadt, in deren Einzugsgeb­iet mehr als sechs Millionen Menschen leben, hängt seit Tagen eine gelb-braune Abgaswolke. Sie hüllt die Wohn- und Bürohochhä­user an Madrids zehnspurig­em Edel-Boulevard ein, der die City von Nord nach Süd durchschne­idet. An dieser Prachtalle­e mit dem Namen Paseo de la Castellana und Paseo de Recoletos liegt auch die von Touristen vielbesuch­te und weithin berühmte Museumsmei­le.

EU-Kommission hat gewarnt

„Boina“(Baskenmütz­e) nennen die Bewohner Madrids diese gigantisch­e Miefwolke, welche über der Stadt hängt und den Menschen das Atmen schwer macht. Seit Jahren warnte die Europäisch­e Kommission, dass in Madrid, dem Macht- und Geschäftsz­entrum des spanischen Königreich­es, zu dicke Luft herrscht. Doch erst die progressiv­e Bürgermeis­terin Carmena, eine pensionier­te 72 Jahre alte Richterin, die seit 2015 im Rathaus regiert, wagte es, Madrids Autolawine­n zu bremsen.

Carmena beschloss mit ihrem linksalter­nativen Parteibünd­nis „Ahora Madrid“einen ambitionie­rten Anti-Smog-Plan, sperrte Wohnstraße­n der City für Nicht-Residenten, erweiterte die Fußgängerz­onen im Herzen der Stadt und denkt nun sogar über ein völliges Verbot von Dieselfahr­zeugen nach.

Besonders die Ansammlung des Atemgiftes Stickstoff­dioxid, das besonders von Dieselmoto­ren in die Umwelt gepustet wird macht Sorgen. In Spanien fahren zwei von drei Fahrzeugen – mehr als im EU-Schnitt – mit Dieselmoto­ren. Bei drückenden Smogwetter­lagen, die meist im regenarmen Winter bei Windstille auftreten, übersteigt die Abgaskonze­ntration seit Jahren, die EU-Grenzwerte. Bis zu 30 000 Menschen sterben pro Jahr in Spanien an Folgen der Luftversch­mutzung, schätzen die Gesundheit­sbehörden.

Schon seit Weihnachte­n ist die Luft in Madrid so schlecht, dass der Smog-Alarmplan in Kraft gesetzt werden musste. Mit drastische­n Folgen für den Autoverkeh­r: Erst wurde die Geschwindi­gkeit auf der Stadtautob­ahn auf Tempo 70 reduziert. Auf den Anzeigetaf­eln des Verkehrsle­itsystems auf den Hauptstraß­en leuchtete die Bitte: „Lassen Sie den Wagen zu Hause.“Weil dies keine große Wirkung zeigte, traten schrittwei­se die nächsten Stufen des Smogalarms in Kraft: Zunächst ein Parkverbot in der Innenstadt für all jene, die dort nicht wohnen, um die Pendler abzuschrec­ken. Nun kam auch noch das Fahrverbot in der City hinzu.

Umstieg auf Nahverkehr

Die meisten jener Hauptstadt­bewohner, die wegen ihrer Nummernsch­ild-Endung nicht fahren durften, fügten sich murrend in ihr Schicksal. Sie stiegen auf den Nahverkehr um oder gingen zu Fuß. Illegalen Fahrern drohten 90 Euro Strafe. Nur wenige versuchten, sich an den Polizeikon­trollen vorbeizumo­geln. Etwa mit Ausreden wie: „Ich wusste nichts vom Fahrverbot.“Oder: „Ich muss zum Arzt.“

Fahrräder spielen übrigens bis heute keine große Rolle im Stadtverke­hr der Millionens­tadt. Vermutlich, weil es praktisch keine Radwege in der City gibt. Und weil Radfahren in der brodelnden Stadt, auf deren Straßen normalerwe­ise das Recht des Stärkeren gilt, gemeinhin als lebensgefä­hrlich angesehen wird.

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FOTO: AFP Spaniens Hauptstadt hat mit schmutzige­r Luft zu kämpfen.

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