Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Dinner for One – The same procedure as every year?
Es gibt Abläufe, die ändern sich nie. „The same procedure as every year?“Aber sicher doch! Wenn am Silvesterabend so kurz vor sieben die Gäste eintrudeln, versammeln sich alle vor dem Fernseher. Auf irgendeinem der Dritten Programme läuft „Dinner for One“– der Abend kann beginnen. Rituale wie dieses wirft man nicht leichtfertig über Bord. Und: Der Sketch hat unseren Horizont in den vergangenen Jahrzehnten so was von erweitert. Nahezu bedeutungslos wäre unser Leben, wenn wir nicht wüssten, wie sehr die Briten ihre Mulligatawny Soup lieben (scharfe Currysuppe, Überbleibsel aus indischen Kolonialzeiten, für alle, die das nicht wissen). Und sollten die Kinder doch irgendwann in ihrem Leben im Salon eines britischen Landguts landen, können sie wenigstens einmal in ihrem Leben den entscheidenden Satz anbringen: „You may now serve the soup!“Ohne den Spruch der Jubilarin „I think we’ll have champagne with the bird!“wäre das Neue Jahr nicht wert, an den Start zu gehen.
Und noch eine Erkenntnis nimmt man mit: Mit dem passenden Getränk lässt sich vieles ertragen, auch die englische Küche. Butler James gibt den Ton vor, für den Silvesterabend und das kommende Jahr: Haltung bewahren, auch wenn ein dämlicher Tigerkopf einen ins Straucheln bringt. Skol!
Bei Gott, wie habe ich gelacht über den mehr oder minder trinkfesten Butler James,die verschmitzte Miss Sophie, die viel zu früh verblichenen (Friede ihrer Asche!) Sir Toby, Admiral von Schneider, Mister Pommeroy und Mister Winterbottom sowie den unseligen Tigerkopf. Echt lustig damals, kurz nach der Währungsreform! Inzwischen hat es der Sketch ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft – als weltweit am häufigsten wiederholte Fernsehproduktion. Na prima! Da will ich mal kein Spielverderber sein.
Obwohl: Sadomasochistische Züge, die die gefühlt 1823. Wiederholung von „Dinner for One“zwingend erfordert, sind mir seit frühesten Kindheitstagen fremd. Die zahllosen Liter Alkohol, die den von intellektuellem Ballast weitgehend befreiten Steinzeitsketch auch heute noch erträglich machen würden, hat mir mein gestrenger Leib- und Leberarzt strikt untersagt. Und mein Schulenglisch („This is Ben“, „This is a pencil“) hat sich durch das alberne Gestammel von Miss Sophie und James auch nicht wesentlich weiterentwickelt.
Ganz ehrlich, liebe May und lieber Freddie: Die beste Zeit liegt hinter euch. Lustig war gestern, langweilig ist heute. Verschont mich mit dem Quatsch, den ich nachts um drei auswendig nachplappern kann. The same procedure as last year? Never!
Ein Silvesterabend ohne Sir Toby – unvorstellbar! Von Katja Waizenegger Sadomasochistische Züge sind mir seit eh und je fremd. Von Dirk Uhlenbruch